Leben am Limit
Jeder zehnte in Niederösterreich von Armut betroffen
14 Prozent der Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher, das ist jede zehnte Person oder 236.000 Menschen, sind von Armut betroffen.
NÖ. Knapp ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher ist armuts- oder zumindest ausgrenzungsgfährdet. In Niederösterreich sind davon etwa 236.000 Menschen betroffen. Wer als "Single" lebt, nagt mit einem Netto-Einkommen von 1.392 Euro an der Armutsgrenze, bei Alleinerziehenden mit einem Kind erhöht sich das Netto-Haushaltseinkommen auf 1.810 Euro. Besonders betroffen von Armut oder ihren Folgen sind Kinder, Frauen im Alter, Alleinerziehende oder Langzeitarbeitslose.
Armut grenzt aus
Mittags schnell auf ein Menü zum Wirten ums Eck oder nach der Arbeit mit den Kollegen auf einen Absacker ins Café – für manche ist das nicht leistbar. Die Folge ist sozialer Rückzug. Vor allem Kinder, die in einkommensschwachen Familien aufwachsen, in denen jeder Cent zweimal umgedreht werden muss, bekommen als Folge der Armut auch Ausgrenzung zu spüren.
"Meine Tochter geht jetzt in die Mittelschule und da haben viele Markenklamotten an. Als sie eines Tages nach Hause gekommen ist, sind ihr die Tränen übers Gesicht gelaufen. Sie wurde von ihren Schulfreundinnen gehänselt, weil sie keine Marken-Jeans und No-Name Sportschuhe trägt. Das hat mir das Herz gebrochen",
erzählt Manuela, eine Mama aus dem Weinviertel.
So wie Manuela geht es vielen Niederösterreicherinnen und Niederösterreichern. Aber wie kann man in einer solchen Situation richtig reagieren und wie kann man die eigenen Kinder unterstützen und stärken?
"Wenn Eltern mitbekommen, dass ihre Kinder gehänselt werden, sollten sie das am besten beim Lehrer ansprechen. Der wiederum kann im Unterricht das Thema behandeln",
rät Norman Schmid, Leiter der Landesgruppe NÖ des Berufsverbandes der Psychologinnen und Psychologen. In solchen Situationen sei es wichtig, den Kindern zu vermitteln, wie man wertschätzend miteinander umgehe und andere nicht auf ökonomische Details reduziere.
"Auf den Menschen kommt es an, nicht auf die Kleidung, die er trägt. Das müssen Kinder lernen."
Stärken können auch die Eltern ihren Nachwuchs. Wie das genau geht? Psychologe Schmid hat einen Tipp:
"Machen Sie ihren Kindern bewusst, dass das nicht ihr Problem, sondern das Problem der anderen ist. Andere zu hänseln zeugt nicht von gutem Charakter und es ist traurig, wenn man das ’nötig hat’. Zudem kann man den Kindern auch ein paar Sprüche oder Antworten mitgeben, falls sie wieder in eine solche Situation kommen. Und ich empfehle auch Filme zu schauen, in denen genau diese Problem behandelt wird. Wenn der ’Unterdrückte’ sich wehrt und Erfolg dabei hat, kann das für die Kinder als Vorbild wirken – übrigens auch für Erwachsene",
erklärt Norman Schmid.
Macht Armut einsam?
Finanzielle Probleme können sich auf die psychische Gesundheit auswirken. Sie können der Auslöser für psychische Störungen sein. Meist sind es Depressionen, die betroffenen Menschen rutschen ab.
"Die Sorgen nagen an den Menschen. Sie beginnen, sich mit anderen zu vergleichen und haben das Gefühl, auf Grund ihrer finanziellen Probleme minderwertig zu sein. Das Selbstbewusstsein rutscht in den Keller",
erklärt Schmid. Dann beginne sich die Spirale zu drehen. Denn wer sich ausgeschlossen fühlt, zieht sich zurück und rutscht somit womöglich weiter in die Depression ab, was sich wiederum negativ auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt.
"Darum ist finanzielle Absicherung so wichtig, etwa in Form von Arbeitslosengeld oder sozialen Unterstützungen. Die Diskussion, diese einzusparen, halte ich für falsch. Denn die Zahl derjenigen, die System ausnützen, ist verschwindend gering."
"Schämen Sie sich nicht"
Das große Problem der von Armut betroffenen Menschen sei Schamgefühl, wie Norman Schmid erklärt.
"Dabei ist das nicht angebracht. Wenig Geld zu haben, ist kein Grund, sich zu schämen."
Außerdem sei die soziale Teilnahme keine finanzielle Frage, ist der Psychologe überzeugt.
"Wichtig ist es, ehrlich zu sein. So mancher wird überrascht sein, wenn der Freund oder Kollege dann auf einen Kaffee einlädt, weil er eben gerne mit dem Betroffenen Zeit verbringen will. Oder man macht ein Picknick im Park aus, da kann man von zuhause etwas mitnehmen und muss es nicht teuer kaufen. Nutzen Sie den öffentlichen Raum, dafür ist er gedacht."
Und wer seine sozialen Kontakte pflegt, pflegt gleichzeitig seine psychische Gesundheit und das wiederum macht fit für Arbeit und Beruf.
"Ziehen Sie sich nicht zurück, sondern ergreifen Sie die Initiative für Unternehmungen, die nichts oder wenig kosten. Bleiben sie offen, mutig und ehrlich und laden Sie auch mal jemanden zu sich nach Hause auf einen Kaffee und eine Plauderei ein. Sozialkontakte sind keine Frage des Geldes!"
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