Frei im Theater: Schön ist die Welt
Zwischen Glamour und Abgrund

Der vormalige Operettenkönig der 20er- und frühen 30er-Jahre Paul Abraham (Kristoffer Nowak) wird in seinem inneren und äußeren Exil immer wieder mit den Schrecknissen des Naziregimes konfrontiert: hier etwa durch das plötzliche Erscheinen des in Auschwitz erschlagenen Textdichters Fritz Löhner-Beda (Florian Stern). | Foto: Birgit Gufler
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  • Der vormalige Operettenkönig der 20er- und frühen 30er-Jahre Paul Abraham (Kristoffer Nowak) wird in seinem inneren und äußeren Exil immer wieder mit den Schrecknissen des Naziregimes konfrontiert: hier etwa durch das plötzliche Erscheinen des in Auschwitz erschlagenen Textdichters Fritz Löhner-Beda (Florian Stern).
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Mit „Schön ist die Welt“ gelingt dem Tiroler Landestheater nach „Codename Brooklyn“ ein weiterer Augen- wie ohrenöffnender Theaterabend, der vor allem emotional lange nachwirkt.

Schon der Beginn dieses Abends, wie er in sich versunken dasitzt, dieser elegant gekleidete Herr im dunklen weiten Anzug und in steter Abfolge seinen Morgenkaffee entgegennimmt, lässt erahnen, da klingt etwas nach, im inneren Dunkel dieses Menschen, das dem äußeren folgte. Und sie wird so unversehens und unausgesprochen greifbar, jene nach wie vor größte Katastrophe der Menschheit, die so unfassbar viele Leben und Existenzen vernichtete, Sehnsüchte und Träume über Nacht zerplatzen ließ, Menschen jüdischer Herkunft erst von aller gesellschaftlicher Teilhabe kategorisch ausschloss, dann systematisch verfolgte und ermordete.

Das bewegte Leben des Operettenkönigs Pauls Abraham
Als ob sie das herannahende Dunkel geahnt hätten, beschworen sie davor in geradezu überschwänglicher Weise Glanz, Weite, Buntheit und Exotik (heute würde man vielleicht sagen: Diversität) umso emphatischer herbei: die Operettenkönige, Diven und Soubretten im Wien und Berlin der 20er- und frühen 30er-Jahre. Wie etwa Paul Abraham, den wir gleich am Anfang – von Kristoffer Nowak berückend gespielt – an einem Kaffeehaustischchen sitzen sehen. Das bewegte Leben des ungarisch-deutschen Komponisten jüdischer Herkunft ist ein geradezu paradigmatischer Bühnenstoff und war in den letzten Jahren immer mal wieder an deutschen Theatern zu sehen – nun also auch in dem von der gefeierten Opernregisseurin Anna Bernreitner ungemein feinsinnig gestalteten „Operettenweltschmerztheater von Glanz und Vertreibung“ in den Kammerspielen des TLT. Der so vermeintlich hoffnungsfrohe Titel dieses Abends „Schön ist die Welt“, angelehnt an die gleichnamige Lehár-Operette, spiegelt dabei jenes große kollektive Verdrängen, Verschweigen und Vergessen wider, das mit dieser finsteren Epoche lange verbunden war.

Die beklemmenden Schicksale seiner Weggefährtinnen
In einigen wenigen Szenen abseits der zwanzig ausgewählten Operettenhits jener Ära reißt Bernreitner oft nur über feine Andeutungen die beklemmenden Schicksale von Abrahams jüdischen Weggefährt:innen an, die gemeinsam mit ihm die damalige Operettenszene prägten. Da erscheint etwa sein davor erbitterter Konkurrent Emmerich Kálmán als weiß gekleideter Dandy (Benjamin Chamandy), dessen Karriere 1938 ebenfalls jäh endete, irrlichtert der wohl bedeutendste Textdichter jener Zeit Fritz Löhner-Beda (Florian Stern) durch die Szenerie , der bei der Zwangsarbeit in Auschwitz erschlagen wurde, tauchen plötzlich die schillernden Berliner Theater-Impresario-Brüder Fritz und Alfred Rotter (Andrea de Majo, Hansjörg Sofka) auf, die 1933 mit ihrem verschachtelten Entertainment-Imperium eine Skandalpleite hinlegten und auf ihrer Flucht regelrecht gejagt wurden, wird die Servierdame zur Sängerin Gita Alpár (Jennifer Maines), die ebenfalls nie mehr an ihre Vorkriegskarriere anknüpfen konnte und im Exil offenbar ihre Stimme verlor, gesellt sich die Sängerin Rosy Bársony (Anastasia Lerman) in pink-rosa Robe dazu, der zumindest ein kleines Comeback gelingen sollte.

Raffinierter Spannungsbogen, herzzerreißende Momente
Erst allmählich wird deutlich, dass diese zwischen Traum(a), Hoffnung und Melancholie changierende Erinnerungen einzig Abrahams Kopf entspringen. Denn bereits im amerikanischen Exil ereilte den davor überaus produktiven Komponisten eine schwere geistige Erkrankung, die ihn bis zu seinem Tod 1960 vom Rest der Welt abkapselte und unter Verschluss hielt. Der von Bernreitner so geschaffene raffinierte Spannungsbogen zwischen operettenhaftem Glamour und jenen biografischen Notizen, in denen sich die finsteren Abgründe jener Zeit eröffnen, macht tatsächlich den besonderen Reiz dieses Abends aus. Die damaligen Gassenhauer, für die man sich sonst eher schwer erwärmen könnte, erhalten so eine ganz eigene zartbittere Note: Angefangen von den ungeheuer selbstbewusst vorgetragenen weiblichen Bekenntnissen wie „Ich bin eine Frau, die weiß was sie will“ oder „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“ über die sehr nah am Kitsch gebauten Schmonzetten á la „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ bis hin zum reichlich abgefahrenen Tanzsong der Marke „Känguru“ aus Paul Abrahams Operette „Ball im Savoy“, die Andrea de Majo entsprechend gewitzt choreografierte. Einer der großen und herzzerreißenden Momente dieses Abends ist zweifelsohne, wenn Florian Stern, der sich die Rolle des Fritz Löhner-Beda mit Jakob Nistler teilt, zu „Dein ist mein ganzes Herz“ aus Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ im gestreiften KZ-Hemd wie fremdgesteuert mit leerem Blick am hinteren Bühnenrand entlanggeht. Nicht minder berührend, wie Kristoffer Nowak, der wechselweise mit Stefan Riedl den Operettenkönig Paul Abraham verkörpert, mit seinen inneren Dämonen kämpft. Benjamin Chamandy, Jennifer Maines, Anastasia Lerman und Andrea de Majo brillieren nicht nur als glamouröse Interpret:innen besagter Operetten-Highlights, sondern überspielen in geradezu grandioser Weise die Abgründe und Schmerzpunkte ihrer Figuren.

Live-Band mit Studierenden des Konservatoriums
Ausstattungsleiter Michael Zimmermann genügen indes zwei große weiße Palmen und einige Kaffeehaustische, um die künstlerischen Zufluchts- und Sehnsuchtsorte jener Zeit anzudeuten. In seinen farbenfroh schillernden Kostümen spiegeln sich noch einmal der Glanz und die Unbeschwertheit einer Ära, die dem Wahn einer zerstörerischen Ideologie weichen musste. Die musikalische Leitung dieses Operettenabends der etwas anderen und subtil aufklärerischen Art liegt erneut in den bewährten Händen von Hansjörg Sofka. Als sich die von ihm wie üblich mit feinem Drive dirigierte Live-Band beim Schluss-Applaus dem Publikum präsentiert, staunt man nicht schlecht: Anders als sonst waren dieses Mal Studis des Tiroler Landeskonservatoriums am Werk, die sich auf das musikalische Crossover mit Neugier und spürbarer Spielfreude einließen. Mit „Schön ist die Welt“ gelingt dem Tiroler Landestheater jedenfalls ein weiterer Augen- wie ohrenöffnender Theaterabend, der vor allem emotional lange nachwirkt.

Der vormalige Operettenkönig der 20er- und frühen 30er-Jahre Paul Abraham (Kristoffer Nowak) wird in seinem inneren und äußeren Exil immer wieder mit den Schrecknissen des Naziregimes konfrontiert: hier etwa durch das plötzliche Erscheinen des in Auschwitz erschlagenen Textdichters Fritz Löhner-Beda (Florian Stern). | Foto: Birgit Gufler
Gehören einer vormals glanzvollen Epoche an: Benjamin Chamandy als Komponist Emmerich Kálmán und Anastasia Lerman als die Sängerin Rosy Bársony. | Foto: Birgit Gufler
Die Polonaise jener Zeit nennt sich unter anderem  „Känguru“ und ist ein reichlich abgefahrener Song aus Paul Abrahams Operette „Ball im Savoy“. V.l.n.r.: Andrea De Majo (Fritz Rotter), Benjamin Chamandy (Emmerich Kálmán), Anastasia Lerman (Junge Frau im Hotel/Rosy Bársony), Jennifer Maines (Kellnerin/Gitta Alpár), Kristoffer Nowak (Paul Abraham).

© Birgit Gufler  | Foto: Birgit Gufler
Im Kaffeehaus einer verlorenen Zeit: Benjamin Chamandy (Emmerich Kálmán), Anastasia Lerman (Junge Frau im Hotel/Rosy Bársony), Jennifer Maines (Kellnerin/Gitta Alpár), Andrea De Majo (Fritz Rotter), Hansjörg Sofka (Alfred Rotter). | Foto: Birgit Gufler
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