Gewalt in kirchlichen Heimen
Forschungsprojekt beleuchtet dunkles Kapitel

75 Interviews als Zeugnisse der Vergangenheit: Die Forschenden führten Gespräche mit ehemaligen Heimkindern, die über psychische, physische und sexualisierte Gewalt berichteten. | Foto: unsplash
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  • 75 Interviews als Zeugnisse der Vergangenheit: Die Forschenden führten Gespräche mit ehemaligen Heimkindern, die über psychische, physische und sexualisierte Gewalt berichteten.
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Ein Forschungsprojekt zu kirchlichen Heimen in Tirol nach 1945 bringt erschreckende Erkenntnisse ans Licht: Gewalt in Kinderheimen war keine Ausnahme, sondern traurige Realität. Im Rahmen einer Veranstaltung in Innsbruck lud das Land Tirol Betroffene und Mitwirkende ein, um gemeinsam über die Ergebnisse zu sprechen. Im Mittelpunkt stand dabei die aktive Aufarbeitung der Vergangenheit und die Bedeutung einer gelebten Erinnerungskultur.

TIROL. Unter dem Titel „Demut lernen“ veröffentlichten das Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und das Wissenschaftsbüro Innsbruck eine umfassende Studie zur Kindheit in kirchlichen Heimen in Tirol nach 1945. Die Forschung dokumentiert strukturelle, physische, psychische und sexualisierte Gewalt, die in diesen Einrichtungen herrschte. In Auftrag gegeben wurde das Projekt von der "Dreierkommission Martinsbühel", die 2019 vom Land Tirol, der Diözese Innsbruck und den Ordensgemeinschaften eingesetzt wurde.

Am 17.2. wurde das Buch „Demut lernen“ im Rahmen einer Veranstaltung im Landhaus in Innsbruck präsentiert. | Foto: Land Tirol/Dorfmann
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Präsentation im Landhaus Innsbruck

Am 17.2. wurde das Buch im Innsbrucker Landhaus vorgestellt. Im Beisein von Landesrätin Eva Pawlata und Bischof Hermann Glettler berichteten die Kommissionsvorsitzende Margret Aull, Projektleiter Dirk Rupnow sowie die wissenschaftlichen Autoren Ina Friedmann und Friedrich Stepanek über die Ergebnisse. Auch sieben Betroffene, die für das Projekt interviewt wurden, schilderten ihre Erfahrungen.

„Unrechtserfahrungen Gehör verschaffen“

„Es geht darum, die Betroffenen ernst zu nehmen und zu Wort kommen zu lassen. Darum haben wir beschlossen, die persönlichen Schicksale erneut in den Mittelpunkt zu stellen“, betont Pawlata. Sie unterstreicht zudem: „Ich stehe zur Verantwortung des Landes Tirol und bitte alle Betroffenen um Verzeihung.“

Bischof Glettler zeigt sich tief betroffen: „Alle Demütigungen, die Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Heimen zugefügt wurden, erschüttern mich zutiefst. Ich bitte um Vergebung und werde alles in meiner Macht Stehende tun, um zukünftige Übergriffe zu verhindern.“ Bis heute haben kirchliche Einrichtungen auf dem Gebiet der Diözese Innsbruck rund 7,6 Millionen Euro an Opferhilfen bereitgestellt.

Projektleiter Dirk Rupnow, Landesrätin Eva Pawlata, die wissenschaftlichen Autoren Ina Friedmann und Friedrich Stepanek, Kommissionsvorsitzende Margret Aull und Bischof Hermann Glettler. (v.l.) | Foto: Land Tirol/Dorfmann
  • Projektleiter Dirk Rupnow, Landesrätin Eva Pawlata, die wissenschaftlichen Autoren Ina Friedmann und Friedrich Stepanek, Kommissionsvorsitzende Margret Aull und Bischof Hermann Glettler. (v.l.)
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75 Interviews dokumentieren Gewalt

Ursprünglich sollte die „Dreierkommission Martinsbühel“ lediglich die Vorkommnisse im Heim Martinsbühel untersuchen. Doch schnell wurde klar, dass eine Ausweitung auf weitere Einrichtungen notwendig war. Im Rahmen des Projekts wurden insgesamt sieben Heime analysiert: Martinsbühel, Scharnitz, Josefinum/Volders, Bubenburg/Fügen, St. Josef/Mils, Thurnfeld/Hall und Elisabethinum/Axams. Während der zweijährigen Forschungsarbeit führten die Wissenschaftler 75 Interviews mit Zeitzeugen – zumeist ehemaligen Heimkindern. „Die Schilderungen verdeutlichen, dass eine angstbehaftete und gewaltgeprägte Atmosphäre herrschte“, erklärt Margret Aull. Neben struktureller Gewalt gab es Berichte über psychische Erniedrigung, physische Bestrafung und sexualisierte Übergriffe.

Lehren für die Zukunft

Seither wurden auf Landesebene Maßnahmen zur Prävention getroffen, darunter die Einrichtung der Kinder- und Jugendanwaltschaft Tirol, die Einführung von Vertrauenspersonen und die Festlegung pädagogischer Standards. „Dennoch müssen wir weiter wachsam bleiben und das Bewusstsein für Gewalt schärfen“, mahnt Pawlata.

Veröffentlichung und Verfügbarkeit

Der 400-seitige Abschlussbericht von 2022 ist auf den Webseiten des Landes Tirol, der Diözese Innsbruck und der Universität Innsbruck abrufbar. Das Buch „Demut lernen“, das den Bericht um 200 Seiten ergänzt, erschien im Dezember 2024 beim Studien Verlag und ist im Buchhandel erhältlich.

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