Serie: Gute Impfung, schlechte Impfung
Start der Serie: Österreich hält "Rekord" in der EU – unsere Kinder bekommen 50 Spritzen
Die Therapie von Krebs, Diabetes oder Blinddarmentzündung erfolgt im Normalfall nach international gültigen Leitlinien. Ob man in New York oder in Wien ins Krankenhaus geht, sollte keinen großen Unterschied machen. Ganz anders ist die Lage hingegen beim Impfen. Kaum zwei Länder haben idente Impfpläne.
Die Windpocken-Impfung (Feuchtblattern) wird beispielsweise in 17 EU-Ländern – darunter Österreich – im Babyalter empfohlen. Elf Länder finden die frühe Impfung hingegen nicht so wichtig. Dort wird erst geimpft, wenn die Kinder die normalerweise unkompliziert verlaufende Kinderkrankheit bis zur Pubertät nicht selbst durchgemacht haben.
Neun EU-Länder empfehlen Impfungen während der Schwangerschaft, der Rest nicht. In den meisten EU-Ländern wird der Tetanus-Status geprüft, wenn eine Wunde im Spital genäht werden muss. Sechs Länder haben hingegen die Tetanus-Auffrischung ganz einfach abgeschafft – ohne dass es deswegen zu mehr Krankheitsfällen gekommen wäre.
Viele Wege bei Hepatitis
Besonders kurios ist die Lage bei Hepatitis B, einer Krankheit mit ähnlichen Infektionswegen und Risikogruppen wie bei AIDS. In den USA werden alle Kinder bereits am ersten Tag ihres Lebens geimpft. In Österreich und anderen Ländern ist Hepatitis B Teil der Sechsfachimpfung und wird ab zwei Monaten für alle Babys empfohlen. Fünf EU-Länder – die meisten aus Skandinavien – pfeifen hingegen auf die generelle Impfung gegen Hepatitis B – und bieten diese nur für die Risikogruppen (Hepatitis B-positive Schwangere und deren Babys, Drogensüchtige, etc.) an. In acht anderen Ländern – darunter Frankreich, Kroatien, Tschechien, Ungarn – ist die Impfung wiederum Pflicht und man muss empfindliche Strafen zahlen, wenn die Kinder nicht rechtzeitig vor Schuleintritt geimpft sind.
Pionier der Zwangsimpfung gegen Hepatitis B war Italien. Gesundheitsminister Francesco de Lorenzo führte sie bereits 1991 ein. Als sich herausstellte, dass de Lorenzo 600 Millionen Lire (rund 300.000 Euro) vom Herstellerkonzern erhalten hatte, musste er zwei Jahre später zurücktreten. Die Pflichtimpfung gegen Hepatitis B blieb hingegen bis heute.
Impfpflicht oder nicht?
Während in dem einen Land Impfpflicht herrscht, wird dieselbe Impfung im Nachbarland ignoriert. Und das spricht nicht eben für eine exakte Wissenschaft. Ein besonders kurioses Beispiel ist Belgien, wo es nur eine einzige Pflichtimpfung gibt: gegen Kinderlähmung. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, sich ausgerechnet in Belgien mit Polio Wildviren zu infizieren ähnlich hoch wie das Risiko, von Außerirdischen entführt zu werden. Doch Logik ist im Impfwesen Mangelware. Impfen lebt von Traditionen, Stimmungen und einem guten Draht der Lobbys zur Gesundheitspolitik.
Wir sind "Impf-Europameister"
Österreich scheint diesbezüglich gut verbunden, hat es sich doch in den letzten Jahren zum inoffiziellen Impf-Europameister gemausert. Bei der HPV Impfung – gegen Gebärmutterhalskrebs – war Österreich europaweit das erste Land, das diese Impfung auch für Buben empfahl. Diese mit einem Apotheken-Preis von rund 160 Euro pro Dosis extrem teure Impfung wird ebenso "gratis" verabreicht wie der Großteil des Impfprogramms. Viele Millionen Euro werden dafür jährlich aus dem Steuertopf ausgegeben. Wenn unsere Kinder alle Impfungen erhalten, die von den Behörden empfohlen werden, kommen sie bis zum 18. Geburtstag auf rund 50 Spritzen. Das ist etwa fünfmal so viel wie zu Beginn der 80er-Jahre.
Während der Impfplan aus allen Nähten platzt, wird die Stimmung in der Bevölkerung hingegen immer skeptischer. In Umfragen gibt nur ein Drittel an, sich strikt an den Impfkalender zu halten. Bei Influenza hält Österreich mit einer Impfquote von zuletzt 6,4 Prozent europaweit sogar den Tiefstwert.
Lesen Sie nächste Woche: Die großen historischen Erfolge des Impfens.
Lesen Sie hier den Kommentar von Bert Ehgartner
Alle Folgen der Serie finden Sie unter #impfen2019
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