Frei im Theater: Le nozze di Figaro
Ein listenreiches Gewusel

- Ende gut, alles gut? Wie man an Figaros und Susannas Gesichtsausdruck unschwer erkennt, kann Regisseurin Barbora Horáková dem vermeintlichen Happy End in Mozarts Oper "Le nozze di Figaro" nicht so ganz glauben. v.l.n.r.: Johannes Maria Wimmer (Bartolo), Abongile Fumba (Marcellina), Benjamin Chamandy (Figaro), Sophie Mitterhuber (Susanna), Yejin Kang (Barbarina), Sascha Zarrabi (Basilio), Camilla Lehmeier (Cherubino), Michael Gann (Don Curzio), Julien Horbatuk (Antonio)
- Foto: Birgit Gufler
- hochgeladen von Christine Frei
Man kann gar nicht anders als Mozart und seinen Librettisten Da Ponte für ihren Mut und natürlich auch ihre Chuzpe zu bewundern, dass sie gleich selbst zum Kaiser gingen, um sich ihr Opernvorhaben, das der Zensur aufgrund seines hochbrisanten revolutionären Inhaltes natürlich ein Dorn im Auge war, vorab absegnen zu lassen. Spannend natürlich auch, dass „Le nozze di Figaro“ trotz der zwar leichtfüßig-gewitzt präsentierten, aber doch ziemlich offenkundigen Kritik an den Verhältnissen, von Anfang an euphorisch bejubelt wurde. Offenbar war die Zeit damals einfach reif dafür.
Fast schon beklemmend aktuell
Dass der Opernstoff angesichts der zahlreichen autoritären Bedrohungen, die sich in diesem so genannten Superwahljahr natürlich noch weiter verdichten, leider so gar nichts an Aktualität eingebüßt hat, ist eine wenig erbauliche Tatsache. Narzissmus, sexuelle Gewalt, politischer Machtmissbrauch und eine immer weiter auseinanderklaffende Vermögensschere sind Phänomene, die man sich weder schön reden noch schön singen kann. Daher ist es natürlich umso spannender zu sehen, wie Regisseurin Barbora Horáková und ihr Ausstattungsteam (Bühne: Falko Herold, Kostüme: Nicole von Graevenitz) dieses zugegebenermaßen auch reichlich verwirrende Libretto und den zugrundeliegenden Stoff für die heutige Zeit lesbar gemacht haben.
Almaviva als Immobilieninvestor
So wird Almaviva etwa gleich zu Beginn als Immobilieninvestor präsentiert: angesichts der größten Immobilienpleite Europas, die bekanntlich hier in dieser Stadt ihren Ausgang nahm, eine durchaus feinsinnige Spitze. Dies um so mehr, als sich die soziale Ungleichheit in diesem Bereich mit einer fast schon beängstigenden Brutalität manifestiert. Jeder, der aktuell eine leistbare Bleibe für sich sucht, bekommt das am eigenen Leib zu spüren.
Mozart als Stand-up-Comedian
Überaus erhellend auch Horákovás Ansatz, die – wenn man so möchte – fast schon klassische Beziehungsgeschichte von Conte und Contessa über einen Cartoon zu erzählen. Dass ausgerechnet der Musiklehrer Basilio, der in seiner ganzen Erscheinung nicht von ungefähr an Mozart erinnert, den letzten Umbau mit einem frechem Stand-up-Comedy-Auftritt überbrücken darf, hätte das geniale Enfant Terrible vermutlich selbst am meisten vergnügt, ist es doch ein ungemein gelungener und charmanter Verweis auf die Urheber und den doch einigermaßen subversiven Spirit dieses Werks.
Wuchtig-fantastische Regiebilder
Wunderbar auch die wuchtigen Bilder dieser Inszenierung wie die überdimensionale Hochzeitstorte, an der die Contessa ihre Frust-Fress-Attacken ausagieren darf. Oder etwa der mystische Pilz-Märchenwald, in dem letztlich ausnahmslos alle Figuren auf ihr kleines Ego eingedampft und alle Standesunterschiede nivelliert werden. Dass der liebestolle Cherubino seiner E-Gitarre so gar keine Töne entlockt, kann man zwar nachvollziehen, weil ein Großteil des Opernpublikums dies vermutlich nicht verziehen hätte, war aber trotzdem schade, weil gerade Mozart deutlich mehr lebendige Intervention verträgt.
Begeisterter Applaus für die Sänger:innen und das TSOI
Zumindest dem Premierenpublikum waren mit Ausnahme einiger couragierter Bravorufer:innen schon diese Ansätze nicht so ganz geheuer, dafür gab es wie üblich umso begeisterten Applaus für das Tiroler Symphonieorchester unter der Leitung von Michael Wendeberg, der auch selbst am Hammerklavier spielt und das großartige Ensemble – insbesondere natürlich für die Hauptfiguren Jacob Phillips (Conte), Marie Smolka (Contessa), Benjamin Chamandy (Figaro), Susanna (Sophie Mitterhuber), Camilla Lehmeier (Cherubino), Abongile Fumba (Marcellina), Johannes Maria Wimmer (Bartolo), Yejin Kang (Barbarina), Michael Gann (Basilio).
Herausragende Arie der Gräfin
Bedauerlicherweise schwappte zumindest bei der Premiere die geniale und immer auch vieldeutige Leichtfüßigkeit Mozarts noch nicht so wirklich ins Auditorium über. Herausragend jedoch die berühmte Arie der Gräfin “Porgi, amor, qualche ristoro”, die Marie Smolka derart ergreifend singt, dass einem selbst ganz weh ums Herz wird. Selbst wenn man sich ähnlich wie die Protagonist:innen mitunter im Gewusel verliert, wird einem dabei doch zusehends bewusst, dass die List in unserer Zeit ganz offenkundig als Mittel zum Transformationszwecke ausgedient hat. Möglicherweise ist uns selbst für die kluge List die Courage abhandengekommen, die Solidarität sowieso.




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