Kommentar
Warum die EU in Österreich ein Imageproblem hat

- In keinem anderen Mitgliedsstaat ist die EU-Skepsis so groß wie in Österreich – aber woran liegt's?
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- hochgeladen von Dominique Rohr
In keinem anderen Mitgliedsstaat ist die EU-Skepsis so groß wie in Österreich. MeinBezirk.at hat sich auf Spurensuche durch die heimische Politlandschaft bis nach Brüssel begeben, um zu ergründen, warum das Image der Europäischen Union hierzulande so schlecht ist.
ÖSTERREICH. Wenige Monate vor der EU-Wahl am 9. Juni steht die Europäische Union in Österreich vor einem handfesten Imageproblem. Laut den Ergebnissen der letzten Eurobarometer-Umfrage aus dem Dezember 2023 bewerten gerade einmal 42 Prozent der befragten Österreicherinnen und Österreicher die Mitgliedschaft in der Union positiv. Währenddessen sehen 22 Prozent die EU als etwas Negatives. Dieser Wert markiert den niedrigsten Zustimmungsgrad unter allen 27 Mitgliedsstaaten. Zum Vergleich: In unserem Nachbarland Deutschland bewerten 68 Prozent der Menschen die EU als "gute Sache" und nur neun Prozent negativ.
Doch warum steht die EU in der Alpenrepublik schlechter da als anderswo? Die Gründe für die Skepsis erscheinen vielfältig – MeinBezirk.at hat sich auf Spurensuche durch die heimische Politlandschaft bis nach Brüssel begeben, um Antworten zu finden.
Die Sache mit dem Vertrauen
In den vergangenen Jahren erodierte das Vertrauen in die heimische Politik. Wesentlich dazu beigetragen haben diverse Korruptionsskandale. Seit Ibiza kehrt kaum Ruhe in das innenpolitische System ein. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt auf Hochtouren gegen zahlreiche ehemalige sowie amtierende Spitzenpolitiker, gleichzeitig reiht sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss an den nächsten. Hinzu kommen mehrere Krisen – von Corona über Energie bis hin zu Teuerung –, die in der öffentlichen Wahrnehmung von der heimischen Politik mehr schlecht als recht bewältigt wurden.
Über alledem schwebt eine politische Kultur, die zunehmend von gegenseitigen Schuldzuweisungen und Polemik dominiert wird. Nicht zufällig nutzt Bundespräsident Alexander Van der Bellen mittlerweile fast jeden seiner öffentlichen Auftritte, um für eine rhetorische Mäßigung und eine Rückkehr zur Sachlichkeit zu werben – zuletzt so geschehen am Aschermittwoch. All das gibt kein gutes Bild der politischen Kultur und Landschaft in Österreich ab. Zum Handkuss kommt so auch die Europäische Union, auf die das Vertrauensminus der Politik unweigerlich abfärbt.
Die EU als dankbarer Sündenbock
In dieser toxischen Gemengelage gilt die Europäische Union unter den heimischen Politakteuren als dankbarer Sündenbock. Frei nach dem Motto, "ist etwas unpopulär oder läuft etwas schlecht, ist die EU daran Schuld", schießen sich Politiker aller Couleur – manche mehr, manche weniger – gerne auf den Staatenverbund ein. Schließlich ist die Union in ihrer Wehrhaftigkeit träger als ein innenpolitischer Konkurrent. Dabei wird durch das Einstimmigkeitsprinzip keine einzige Entscheidung in Brüssel ohne der Zustimmung Österreichs getroffen. In der innenpolitischen Auseinandersetzung wird das mitunter ausgeblendet.
Auf der anderen Seite werden Errungenschaft der Union gerne auch mal unter den Teppich gekehrt. Auch sind klare Bekenntnisse zur Europäischen Union oder eine aktive Europapolitik eher selten. Stattdessen fiel Österreich im vergangenen Jahr auf EU-Ebene vor allem durch Blockaden und Versäumnisse auf (Stichworte Schengen und Klimaplan). "Das öffentliche EU-Meinungsbild ist ein Spiegelbild des politischen Diskurses in Österreich", brachte Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, kürzlich in einem ORF-Interview das österreichisch-europäische Verhältnis auf den Punkt.
Im Sog der negativen Schlagzeilen
Dieser politische Diskurs spiegelt sich in weitere Folge auch in den Medien wider, was dazu führt, dass die EU-Berichterstattung tendenziell von Kritik begleitet wird. Zugleich haben polarisierende Themen im Zeitalter des Sensationsjournalismus mehr Platz in Zeitungen und auf Medienseiten als andere. So gerät die EU immer noch eher über die "Pommes-" oder "Gurkenverordnung" in die Schlagzeilen als über Förder-Projekten oder Errungenschaften. So fehlt es in weiterer Folge an Wissen in der Bevölkerung, wo und wie Österreich überhaupt von der Mitgliedschaft profitiert.
Die Konsequenz: ein Erstarken der antieuropäischen FPÖ. Laut Umfragen zur EU-Wahl liegen die Freiheitlichen deutlich vor SPÖ und ÖVP. Generell rechnen Beobachterinnen und Beobachter mit einem Rechtsruck im Europäischen Parlament. Damit legen voraussichtlich genau jene Parteien zu, die eigentlich wenig Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit auf europäischer Ebene haben, sondern mehr Souveränität und Nationalismus propagieren.
Und was sagt Brüssel dazu?
Auch in Brüssel ist dieser Tage oft die Rede von der österreichischen EU-Skepsis und einem bevorstehenden Rechtsruck. Bei einem Besuch von MeinBezirk.at kommentiert der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP) das so: Es sei unrichtig zu glauben, dass man als Land alleine, ohne der EU erfolgreicher sei. Gerade für Österreich sei die Union extrem wichtig: "Wo würde Österreich mit seinen neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern in einer Welt mit acht Milliarden Menschen alleine stehen?", fragt Hahn. Seine Antwort folgt prompt: "Genau genommen nirgendwo!" Die EU sei "unsere einzige Chance", um in dem immer globaler werdenden Wettbewerb zu bestehen, beteuert der EU-Kommissar.
Im Europäischen Parlament trifft man mit Othmar Karas auf einen glühenden Europäer. Der langjährige EU-Abgeordnete und Vizepräsident des Europäischen Parlaments brach vergangenen Herbst öffentlich mit der Volkspartei. Es sei schick geworden, mit dem Finger auf Brüssel zu zeigen, anstatt sich konstruktiv einzubringen, so Karas damals. "Wir brauchen eine politische Entwicklung, die wieder argumentiert und begründet und die Zusammenhänge darstellt. Weil vielen Menschen ist die Komplexität zu viel. Die Sorgen nehmen zu, das Tempo der Veränderung nimmt zu", betont Karas bei dem Parlamentsbesuch rund drei Monate später.
Wie Hahn ist auch er davon überzeugt, dass Österreich die Europäische Union braucht, um in einer immer komplexer werdenden Welt bestehen zu können. "Wir befinden uns im größten Transformationsprozess seit 1945 – wirtschaftspolitisch, geopolitisch, sicherheitspolitisch, sozial, ökologisch. Diesen Prozess beantwortet man nicht, indem man nationalisiert oder Partei-politisiert", so der EU-Parlamentarier. Und weiter: "Die Herausforderungen werden nicht geringer, sondern sie werden mehr. Wir können sie nur gemeinsam bewältigen und nicht, indem wir mit den Fingern aufeinander zeigen. "
Offenlegung:
Die Pressereise nach Brüssel, an dem der Autor dieses Textes teilnahm, wurde vom Europäischen Parlament organisiert und bezahlt.
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