Interview
Das sagt ein Rechtsexperte zum Stopp des Familiennachzugs

- Der Stopp des Familiennachzugs sowie das Defizitverfahren nach Maastricht-Regeln sind aktuell zentrale Themen der politischen Debatte. Deshalb hat MeinBezirk bei Walter Obwexer, EU-Rechtsexperte der Universität Innsbruck, nachgefragt.
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Der Stopp des Familiennachzugs sowie das Defizitverfahren nach Maastricht-Regeln sind aktuell zentrale Themen der politischen Debatte. Deshalb hat MeinBezirk bei Walter Obwexer, EU-Rechtsexperte der Universität Innsbruck, nachgefragt, was es damit auf sich hat.
ÖSTERREICH. Der Familiennachzug ermöglicht es, Familienangehörige nach Österreich zu holen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu zählen etwa ein gültiger Aufenthaltstitel für die in Österreich lebende Person, ausreichender Wohnraum und Krankenversicherungsschutz für alle Familienangehörigen, sowie die Sicherung des Lebensunterhalts. Nun wurde ein Stopp beschlossen, der aber umstritten ist, wie der Rechtsexperte Obwexer zeigt, der auch über Österreichs Budgetlosch kommentiert.
MeinBezirk: Der Stopp des Familiennachzugs schlägt aktuell große Wellen. Rechtsexperten zeigen sich besorgt darüber, dass das möglicherweise nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Was hat es damit auf sich?
Walter Obwexer: Beim Asyl haben wir einen Bereich, der in die Zuständigkeit der Europäischen Union fällt. Die Union hat diesen Bereich inzwischen auch weitgehend geregelt. Es gibt ein europäisches Asylrecht und eine Richtlinie der EU zum Familiennachzug. Diese sieht vor, dass unter anderem Asylberechtigte das Recht haben, die Mitglieder ihrer Kernfamilie nachzuholen. Das ist EU-Recht und daran muss Österreich sich halten.
Jetzt gibt es aber im EU-Recht eine sogenannte Schutzklausel oder Ausnahmeklausel, die vorsieht, dass Mitgliedstaaten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit von diesen EU-rechtlichen Vorgaben abweichen können. Und von dieser Ausnahmeklausel möchte Österreich Gebrauch machen, um den Familiennachzug für Asylberechtigte vorübergehend auszusetzen.
Die Regierung bringt die Überlastung der Schulen als Argument. Wäre das von dieser Ausnahmeklausel gedeckt?
Zur inneren Sicherheit, das hat der Gerichtshof schon entschieden, gehört die Aufrechterhaltung des Funktionierens wichtiger Einrichtungen des Staates. Und zu diesen wichtigen Einrichtungen des Staates gehören zweifelsohne - auch wenn es der Gerichtshof noch nicht entschieden hat - die Schulen. Wenn Österreich also der Nachweis gelingt, dass in mehreren Ballungszentren in Österreich die Schulen aufgrund der Teilnahme von Schülerinnen und Schülern, die Deutsch nicht als Umgangssprache haben, in ihrer guten Funktionsweise beeinträchtigt sind, dann wäre die Voraussetzung gegeben, um über diese Ausnahmeklausel den Familiennachzug auszusetzen.
Das muss also erst geprüft werden? Der Familiennachzug soll ja recht rasch kommen.
Genau. Das heißt, Österreich muss in diesem Fall folgende Dinge nachweisen:
Erstens, dass die Schulen unter einer besonderen Belastung stehen und nicht mehr auf hohem Niveau funktionieren. Das müssen jetzt nicht alle Schulen in Österreich sein, aber viele Schulen vor allem in den Ballungszentren.
Zweitens muss Österreich nachweisen, alle Maßnahmen ergriffen zu haben, um die Schulen in einer guten Funktionsweise zu behalten, die mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Das hat Österreich wohl getan, denn eine Residenzpflicht für Schutzberechtigte, sie also auf die Täler und die Außenbezirke zu verteilen, ist nicht ohne weiteres möglich.
Und drittens muss die Maßnahme verhältnismäßig sein, das heißt nicht überschießend. Da die geplante Aussetzung zunächst einmal nur für sechs Monate gilt, allenfalls verlängert werden kann, wenn sich die Situation in den Schulen nicht bessert, ist die Verhältnismäßigkeit wohl gegeben.
Das bedeutet, bei diesem Stopp des Familiennachzugs hängt alles daran, ob Österreich den Nachweis bringen und auch anhand von konkreten Zahlen belegen kann, dass die Schulen in einer ganzen Reihe von Ballungszentren, wie der Bundeshauptstadt Wien und anderen Landeshauptstädten, in ihrer guten Funktionsweise aufgrund des Familiennachzugs beeinträchtigt sind.

- Wegen des Budgetlochs in Österreich steht ein Defizitverfahren nach Maastricht-Kriterien im Raum.
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Ein weiteres zentrales Thema ist das Budgetloch. Laut neusten WIFO-Analysen schlittert Österreich gerade auf ein Defizitverfahren nach Maastricht-Regeln zu. Wie genau funktioniert das und was wären die Konsequenzen davon?
Wenn Österreich ein übermäßiges Defizit hat und das festgestellt wird, dann ist Österreich diesem Verfahren unterworfen. Eine übermäßige Staatsverschuldung liegt dann vor, wenn die jährliche Staatsverschuldung höher als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist und die Gesamtstaatsverschuldung über 60 Prozent liegt. Aktuell haben wir 4,7 Prozent jährliches Defizit und die Staatsverschuldung liegt bei über 80 Prozent - Österreich hat also ein übermäßiges Defizit. Das Verfahren ist sehr kompliziert, aber grob formuliert hat es zum Gegenstand, dass Österreich Sparmaßnahmen setzen und diese auch mit der Kommission abstimmen muss. Österreich kann nicht mehr ganz alleine entscheiden, was es macht und wie schnell es spart, sondern es muss seine Sparpläne immer wieder der Kommission vorlegen und die könnte dann rückmelden, dass diese nicht ausreichen und noch andere Sparmaßnahmen ergriffen werden müssen. Auch wenn die wesentlichen Entscheidungen, ob etwa die Sanierungsmaßnahmen über neue Steuern erfolgen oder über Ausgabenreduzierung, weiter Österreich überlassen sind, müssen solche Maßnahmen gesetzt werden und das überprüft die EU, in dem Fall die Kommission.
Passiert das jetzt gerade im Moment schon, dass es überprüft wird?
Noch nicht, Österreich ist noch in keinem solchen Verfahren für ein übermäßiges Defizit, aber es ist wohl davon auszugehen, dass dieses Verfahren noch heuer starten wird.
Könnte es dann passieren, dass die Kommission Österreich noch weitere Sparmaßnahmen auferlegt?
Die EU kann Sparmaßnahmen nicht direkt auferlegen. Sie kann also nicht sagen, Österreich muss jetzt bei den Pensionen einsparen oder muss jetzt hergehen und neue Steuern einführen und zum Beispiel das Dieselprivileg abschaffen. Solche Vorgaben kann die EU nicht machen, auch nicht in einem Defizitverfahren. Österreich muss aber die geplanten Konsolidierungsmaßnahmen, ob das jetzt neue Steuern oder Ausgabenreduzierungen sind, der Kommission übermitteln und diese überprüft, ob die vorgesehenen Maßnahmen auch reichen, um sich wieder auf dem Weg zu den Maastricht-Kriterien zu bewegen. Und wenn die Kommission der Auffassung ist, das reicht nicht, dann wird sie das rückmelden und Österreich muss weitere Sparmaßnahmen treffen und diese dann wieder der EU zur Prüfung vorlegen.
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