Sommerfragen
Dafür brauchen wir die EU – Österreichs Parteien uneinig

- Österreich ist seit 1. Jänner 1995 Mitglied in der Europäischen Union (EU).
- Foto: Guillaume Périgois
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Die Europäische Union hat einen schweren Stand in Österreich. Die EU-Skepsis ist hierzulande ausgeprägter als anderswo, und heimische Polit-Akteure arbeiten sich oft und gerne an der supranationalen Organisation ab – Lob und Anerkennung gibt es eher selten. Dennoch ist man sich scheinbar weitestgehend einig, dass es die EU wichtig ist – aber wofür eigentlich? Und was sollte der Staatenverbund unbedingt besser machen? Das und mehr haben Karl Nehammer (ÖVP), Andreas Babler (SPÖ), Herbert Kickl (FPÖ), Werner Kogler (Grüne) und Beate Meinl-Reisinger (NEOS) im Rahmen der "Politischen Sommerfragen" beantwortet.
Mein größter Kritikpunkt an der EU ist:
Karl Nehammer: Jede Ebene soll das tun, was sie am besten kann. Zu viele Entscheidungen werden von der EU getroffen, die auf nationaler Ebene besser aufgehoben wären. Die EU muss sich wieder auf das fokussieren, was sie groß und stark gemacht hat: Eine Wirtschaftsunion, die Frieden und Wohlstand schafft.
Andreas Babler: In der EU haben Konzern- und Kapitalinteressen noch immer Vorrang. Das muss sich ändern. Darum kämpfe ich für ein soziales und gerechtes Europa, in der die Bedürfnisse der Vielen über den Profiten einiger Weniger stehen.
Herbert Kickl: Die EU-Kommission sieht sich als Elite an und will den Mitgliedsländern in vielen Bereichen ihren Willen aufzwingen. Nationalstaaten sollen geschwächt und in den Hintergrund gedrängt werden.
Werner Kogler: …einer an den EU-Mitgliedsstaaten. Einzelinteressen, parteipolitisches Kalkül und Klein-Klein der Mitgliedsstaaten führen oft dazu, dass wichtige Weichenstellungen lange brauchen.
Beate Meinl-Reisinger: Die EU ist zu schwerfällig und kommt zu langsam zu Entscheidungen. Wir sprechen uns deswegen unter anderem für ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips aus, damit einzelne Länder wichtige Reformen nicht mehr blockieren können. Ganz generell wird in Österreich und in der EU zu viel überreguliert. Weniger ist mehr!
Das macht die EU gut:
Karl Nehammer: Bei aller notwendigen Kritik muss man sagen, dass die EU nach wie vor eine Erfolgsgeschichte ist. Die EU steht in herausfordernden Zeiten zueinander und bewegt sich keinen Millimeter auseinander – Stichwort: Russischer Angriffskrieg auf die Ukraine. Das zeigt, dass sie nach wie vor handlungsfähig ist. Österreich wird weiter seinen Beitrag leisten, die EU positiv weiterzuentwickeln. Gerade in globalen Krisenzeiten gilt es, Europa weiterzuentwickeln und krisenfest zu machen.
Andreas Babler: Die Europäische Union ist einer der großen Schalthebel, die verändern und die Verhältnisse der Bürgerinnen und Bürger ganz konkret verbessern kann. In der EU wurde kürzlich ein Lieferkettengesetz durchgesetzt, das Konzerne endlich verpflichtet, nachzuweisen, unter welchen Bedingungen produziert wird. Und auch ein Mindestlohn für Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer sowie Verbesserungen bei der Lohntransparenz stehen an der Tagesordnung. Hier müssen wir ansetzen, um Europa sozialer und gerechter zu machen.
Herbert Kickl: Besonders in diesem Jahr fällt es schwer, ein positives Beispiel am Wirken der EU zu entdecken. Bei Teuerung und im Ukraine-Konflikt hat die EU-Politik versagt.
Werner Kogler: Gerade seit dem brutalen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die Europäische Union besondere Geschlossenheit bewiesen. Diese Einigkeit ist nicht bei jedem Thema herzustellen, das ist klar. In Kriegs- und Krisenzeiten ist eine handlungsfähige EU besonders wichtig und hilft allen Bürgerinnen und Bürgern; zum Beispiel etwa die Energiesicherheit und Lebensmittelsicherheit herzustellen.
Beate Meinl-Reisinger: Die EU hat es geschafft, Europa nach Jahrhunderten blutiger Kriege in den Frieden zu führen. Durch den Abbau von Handelshemmnissen hat sie maßgeblich zur Steigerung des Wohlstandes in den Mitgliedstaaten beigetragen. Für uns NEOS ist klar: Die Zukunft Österreichs liegt in einem entscheidungs-, zukunfts- und verteidigungsfähigen Europa.
Das könnte die EU besser machen:
Karl Nehammer: Ich werde weiterhin nicht davor zurückschrecken, Fehlentwicklungen der EU schonungslos aufzuzeigen. Gerade im Kampf gegen die illegale Migration muss es seitens der EU-Institutionen mehr Tempo geben. Das europäische Asylsystem ist kaputt und muss dringend repariert werden. All jene Herausforderungen, die besser in den Mitgliedstaaten bewältigt werden können, sollten wieder mehr in nationaler Verantwortung sein. Mehr Subsidiarität führt zu einem stärkeren Europa.
Andreas Babler: Es gibt viele Bereiche, die verbessert werden müssen. Dazu zählt zum Beispiel der konsequente Kampf gegen Spekulationen und Steuerflucht. Milliarden Euro gehen jedes Jahr verloren, weil Konzerne ihre Gewinne innerhalb der EU in Steueroasen verschieben. Dieses Geld fehlt für Bildung, Infrastruktur, die Energiewende und Soziales.
Herbert Kickl: Die EU-Kommission wäre gut beraten, die Souveränität der Mitgliedsstaaten zu respektieren.
Werner Kogler: Mitbestimmung am Projekt Europa ist wichtig. Wenn sich die Bürgerinnen und Bürger nicht vertreten fühlen, werden jene, die gegen den europäischen Zusammenhalt aufmarschieren und Hass und Hetze säen, Aufwind bekommen. Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sollen mehr Mitsprache bekommen. Daher sind wir bei großen Fragen für die Durchführung europäischer Volksentscheide, in denen eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sowie eine Mehrheit der Staaten über Grundsatzfragen der Zukunft der Union entscheiden können. So sollte die Europäische Union neben einer Wirtschaftsunion auch zu einer ökologisch-sozialen Union werden.
Beate Meinl-Reisinger: Die EU muss sich ihrer Rolle in der Welt stärker bewusst werden und sich als entscheidungs-, zukunfts- und verteidigungsfähige Kraft auf der Weltbühne etablieren. Wir dürfen uns nicht länger in Verteidigungsfragen auf die USA verlassen, in Rohstofffragen auf China und wohin uns die einseitige Energieabhängigkeit von Russland gebracht hat, wissen wir …
Dafür brauchen wir die EU:
Karl Nehammer: Die Europäische Union ist ein einzigartiges Friedensprojekt. Sie entfaltet ihre Stärke dann am besten, wenn große, grenzüberschreitende Probleme gemeinsam gelöst werden. Dazu zählt der EU-Außengrenzschutz genauso wie die Stärkung unserer wirtschaftlichen Sicherheit und Energieversorgungssicherheit.
Andreas Babler: Nur gemeinsam können wir die großen Herausforderungen unserer Zeit lösen. Vom Klimawandel über Steuergerechtigkeit, die Zukunft der Arbeit, die große Wohlstandskluft zwischen den Reichen in Europa bis zur Digitalisierung und Migration.
Herbert Kickl: Die EU ist als Friedensprojekt sogar mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Davon ist mit Blick auf den Ukraine-Konflikt aktuell allerdings nichts zu sehen. Immer mehr Waffen liefern ist kein Beitrag, um einen militärischen Konflikt zu befrieden.
Werner Kogler: Wenn wir die großen Aufgaben der Zukunft – etwa die Bewältigung der Klimakrise, die Energieunabhängigkeit, Sicherheit, Frieden und Wohlstand – stemmen wollen, dann geht das nur in einem gemeinsamen Europa. Mit Mut, Zuversicht und Vernunft werden wir weiter daran arbeiten, die ökologischen, die sozialen und die Friedensziele der Union zu erreichen.
Beate Meinl-Reisinger: Es gibt viele Fragen, die wir lösen müssen, Österreich aber nicht allein lösen kann. Gemeinsam sind wir stärker und haben mehr Gewicht in der Welt.
Politische Sommerfragen 2023
In der Reihe "Politische Sommerfragen 2023" wurden die Parteichefs und die Parteichefin der österreichischen Parlamentsparteien – Karl Nehammer (ÖVP), Andreas Babler (SPÖ), Herbert Kickl (FPÖ), Werner Kogler (Grüne) und Beate Meinl-Reisinger (NEOS) – zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen befragt.
Insgesamt wurden mithilfe eines Fragenkatalogs zehn Themenfelder abgefragt. Die angeführten Fragen beantworteten die fünf Vorsitzenden Anfang Juli. Hier geht's zu allen bisherigen "Sommerfragen 2023" – die Seite wird laufend um neue "Fragerunden" ergänzt.
Fragerunde an die Leserinnen und Leser
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