Neues Leben aufgebaut
Er floh mit 14 von Afghanistan nach Wolfsberg
Wie ist es, mit 14 Jahren seine Familie und seine Heimat hinter sich zu lassen in der Hoffnung auf ein besseres Leben? Saadat Shirzad, Schmiede- und Metalltechniker beim Himmelberger Zeughammerwerk Müller, weiß die Antwort.
Im Dezember 2017 überquert Saadat Shirzad zu Fuß die Grenze zwischen Österreich und Ungarn. Es liegen 30 Zentimeter Schnee. Gemeinsam mit anderen Geflüchteten wartet er auf die Polizeiautos, die sie in das Flüchtlingslager Traiskirchen bringen sollten. Hinter ihnen liegen neun Monate Flucht – von Afghanistan über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich.
Eigenes Haus verkauft
„Ich wuchs mit meinen Eltern und drei Geschwistern in der Provinz Nangarhar nahe der pakistanischen Grenze auf“, erinnert sich der heute 20-Jährige. „Meine Mutter ist Hausfrau, mein Vater Maurer.“ Es herrschten ärmliche Verhältnisse – Gewalt von Seiten der Taliban und die Bedrohung durch den Islamischen Staat sind omnipräsent. Um ihrem Sohn die Flucht zu ermöglichen, gaben Saadats Eltern alles auf: „Sie verkauften ihr Haus. Das brachte umgerechnet rund 8.000 Euro ein. „Damit wollten sie mir ein besseres Leben zu ermöglichen. Sie sagten: ‚Du hast dein ganzes Leben noch vor dir, du musst etwas daraus machen, ganz egal, was mit uns passiert‘. Wenn ich in Afghanistan geblieben wäre, hätte ich für die Taliban arbeiten müssen.“
Deutsch in einem Jahr erlernt
In Österreich führte Saadats Weg von Traiskirchen nach Villach, schließlich in das Flüchtlingsheim in St. Stefan in Lavanttal, das heute nicht mehr in Betrieb ist. Die Sprachbarriere war anfangs ein Problem: „Ich konnte anfangs ja überhaupt kein Deutsch. Ein Deutschkurs hat mir da sehr geholfen, ich habe auch viele Videos auf Deutsch gesehen, um die Sprache zu lernen. Es hat ungefähr ein Jahr gedauert, bis ich mich einigermaßen gut unterhalten konnte“, erinnert sich Saadat. Sein junges Alter war für ihn Glück im Unglück – er erhielt die Möglichkeit, die Polytechnischen Schule in Wolfsberg zu besuchen.
Lehre begonnen
„Das Wichtigste für mich war, eine Arbeit zu finden. Ich wollte es zu etwas bringen“, berichtet Saadat. Fündig wurde er beim Himmelberger Zeughammerwerk in Frantschach-St. Gertraud, wo er eine Lehre in Schmiede- und Metalltechnik beginnen konnte. Schleifen, fräßen, schweißen und das Reparieren von Werkzeugen sind seine Aufgaben im 25-köpfigen Produktionsteam. Für Saadat war es das Sprungbrett in ein selbstbestimmtes Leben – das letzte Jahr der Berufsschule schloss er mit ausschließlich Einsern und Zweiern ab, auch die bevorstehende Lehrabschlussprüfung wird für ihn aller Wahrscheinlichkeit nach kein Problem darstellen. „In meinem ersten Jahr in der Berufsschule hatte ich in Mathematik einen Fünfer“, erinnert sich Saadat. „Das hat mich geärgert, also habe ich noch mehr gelernt. Im zweiten Jahr hatte ich dann einen Einser.“
Pflichtbewusst
Beim Hammerwerk kann man nur Positives über Saadat berichten: „Natürlich hatten wir anfangs unsere Bedenken, schließlich hatten wir gar keine Erfahrungen mit Flüchtlingen als Mitarbeiter“, berichtet Lisa Marie Müller, Assistentin der Geschäftsführung. „Heute, vier Jahre später, können wir sagen, dass es bestens funktioniert hat. Saadat ist sehr zuverlässig, höflich und ein fleißiger Arbeiter. Von ihm könnten sich einige Österreicher eine Scheibe abschneiden, was Pflichtbewusstsein angeht.“
Sehnsucht nach dem Bruder
Mit seiner Familie in Afghanistan hält Saadat nur telefonisch Kontakt – in dem Dorf gibt es kein Internet. Die Herrschaft der radikalislamischen Taliban macht ihm Sorgen: „Mein Ziel ist es, meinen kleinen Bruder so schnell wie möglich da rauszuholen. Er ist jetzt elf Jahre alt“, sagt Saadat, der aktuell in einer eigenen kleinen Wohnung in Wolfsberg lebt.
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