Gewalt gegen Frauen
Fünf Frauenmorde in drei Wochen
In den ersten drei Wochen des Jahres 2019 ereigneten sich fünf Frauenmorde: eine 25-Jährige auf dem Wiener Hauptbahnhof, eine 40-Jährige in Amstetten (NÖ), eine 50-Jährige in Krumbach (NÖ) und eine 32-Jährige in Tulln (NÖ) wurden erstochen, in Wiener Neustadt wurde ein 16-jähriges Mädchen erwürgt – Täter waren allesamt Männer.
Diese Morde zeigen vor allem eines: Die Hemmschwelle, was Gewalt gegen Frauen anbelangt, ist erschreckend niedrig. Seine Wurzeln hat dieses Problem in gesellschaftlichen Strukturen, die unreflektiert und seit Generationen weitergegeben werden.
Gewalt betrifft alle
Fakt ist: Es kann jede Frau treffen. Auch wenn Frauen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Täter – meistens der Partner – stehen, gefährdeter sind als andere. „Gewalt betrifft alle Gesellschaftsschichten, alle Bildungsschichten, alle Einkommensklassen und jede Religionszugehörigkeit“, weiß Katja Tersch, Stv. Leiterin des Landeskriminalamtes Tirol. „Wenn die Rede von ‚besonders gefährdeten Frauen‘ ist, ist man versucht zu denken – ‚das passiert mir nicht‘. Sollte einem als Frau doch Gewalt widerfahren, fürchtet man sich womöglich davor, sich diesbezüglich zu äußern, vor einem eventuellen Gesichtsverlust. In einer solchen Situation ist es wichtig zu wissen, dass man nicht alleine ist“, erklärt Tersch.
Keine „Beziehungsdramen“
„Frauenmorde als ‚Beziehungs- oder Familiendramen‘ zu bezeichnen, verharmlost den Akt der Gewalt, der spezifisch Frauen betrifft“, warnt Gabi Plattner, Geschäftsführerin des Tiroler Frauenhauses. Mord ist die stärkste Ausprägung von Gewalt, wissen sowohl Plattner als auch Tersch. Die Gründe für Gewalt gegen Frauen sieht Plattner in patriarchalen, frauenverachtenden Strukturen, die weltweit vorhanden sind. Deswegen sieht die Geschäftsführerin die Frage nach der Nationalität des Täters auch als einen Schritt in die falsche Richtung an: „Diese Frage impliziert, dass es Orte auf der Welt gibt, wo Frauen Gewalt erfahren und welche, wo das nicht der Fall ist. Es sind nicht nur die anderen, es sind auch wir. Tirol ist keine Insel der Heiligen.“ Was sich durch die Herkunft aber definitiv unterscheidet, sind die Ausprägungen von Gewalt. Wenn einer Migrantin mit nichtdeutscher Muttersprache von ihrem Ehemann verboten wird, Deutsch zu lernen, hat er einen Gewaltakt vollzogen, der zur absoluten Isolation der Betroffenen führt und zudem das Abhängigkeitsverhältnis forciert.
Ein Begriff im Wandel
Wie können wir diese Gewaltakte verhindern? „Indem wir Zivilcourage zeigen“, sagt Tersch. Gemeint ist nicht, sich selbst in Gefahr zu bringen, aber sich durchaus für den Gewaltbegriff zu sensibilisieren. Zu wissen, dass Gewalt nicht auf den Körper beschränkt ist, sondern auch verbal und emotional vorkommt. „Wenn es um Gewalt geht, geht es um ein emotionales Thema, das man aber erst in den Griff bekommt, indem man ruhig und sachlich darauf reagiert“, erklärt Tersch. „Wenn man beispielsweise Mobbing am Arbeitsplatz sieht und eingreift, ist schon viel geschehen.“
Wer ist besonders gefährdet?
Laut Gabi Plattner gilt: Je größer das Abhängigkeitsverhältnis in Gewaltbeziehungen, desto größer die Gefahr von schwerer Misshandlung und Tötung. Am stärksten sind demnach Frauen mit wenig oder keine eigenen Ressourcen – sei es Einkommen, Sprachkenntnisse, Bildung u. dgl. –, wenig familiärem Rückhalt und Frauen mit Kindern betroffen. Das Risiko steigt noch zusätzlich mit einem Partner, der wenig oder kein Unrechtsbewusstsein hat und Wegweisungen sowie Betretungsverbote nicht einhält. "Die reine Konzentration auf den Täter bringt nichts, das führt nur zu einer Problemverschiebung. Um Gewaltstrukturen aufzubrechen, gilt es patriarchale gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen, um längerfristig Gewaltakte zu vermeiden", so Plattner.
Gewaltdelikte 2017
Laut der Zahlenanalyse des Landeskriminalamts Tirol wurden im Jahr 2017 insgesamt 3.624 Fälle von Gewaltkriminalität zur Anzeige gebracht. Unter Gewaltkriminalität fallen vorsätzliche Tötung und Körperverletzung sowie Sexualdelikte. Die Aufklärungsquote der Gewalttaten liegt allerdings bei 87,6 %. Im Bereich "Gewalt in der Privatsphäre" wurden im Jahr 2017 in Tirol 549 Betretungsverbote ausgesprochen. Auffällig bei diesen Gewaltdelikten sind klare Tendenzen in der Täter-Opfer-Beziehung: Bei 21 % der im Jahre 2017 begangenen Gewaltdelikte gab es eine familiäre Beziehung zwischen Opfer und Täter, mit und ohne Hausgemeinschaft. In 36 % der gesamten Fälle bestand zumindest ein Bekanntheitsverhältnis. Laut Katja Tersch sind es genau diese Bekanntheits- und Familienverhältnisse, die Betroffene oftmals jahrelang daran hindern, Anzeige zu erstatten.
Das Tiroler Frauenhaus
Das Tiroler Frauenhaus ist eine Organisation, die rund um die Uhr erreichbar ist und damit ein Alleinstellungsmerkmal in Tirol hat. Sie operiert mit einem multiprofessionellen Team von Therapeutinnen, Psychologinnen, Pädagoginnen und bietet muttersprachliche sowie dolmetschgestützte Beratung. Es besteht auch die Möglichkeit einer kostenfreien Rechtsberatung. Nach 17 Jahren Diskussion wird jetzt ein neues Gebäude gebaut, das die acht Plätze für Frauen und zehn für Kinder, die das jetzige Haus bietet, auf insgesamt 32 Wohneinheiten erhöht. In diesem neuen Haus finden nun auch Frauen mit körperlicher Beeinträchtigung Platz, die statistisch gesehen doppelt so gefährdet sind, Gewalt zu erfahren. Das Tiroler Frauenhaus ist unter den Nummern 0512 272303 und 0512 342112 rund um die Uhr erreichbar.
Nähere Informationen zum Frauenhaus Tirol finden Sie hier.
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