Dunkles Kapitel
Studie beleuchtet Wiener Gemeindebau während NS-Zeit

Der zwischen 1927 und 1930 erbaute Karl-Marx-Hof in Wien, ca. 1938. (Archiv) | Foto: Scherl / SZ-Photo / picturedesk.com
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  • Der zwischen 1927 und 1930 erbaute Karl-Marx-Hof in Wien, ca. 1938. (Archiv)
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Im Rahmen des Gedenkjahres der NS-Befreiung präsentiert Wiener Wohnen gemeinsam mit dem DÖW eine Studie, die das dunkle Kapitel in Zeiten der Zwangsräumung, Verfolgung und Arisierung im Gemeindebau beleuchtet. Begleitend dazu gibt es auch historische Rundgänge durch diverse Bezirke.

WIEN. Im Gedenkjahr 2025, das den 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus markiert, legt Wiener Wohnen gemeinsam mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) eine umfassende Studie zur Geschichte des Wiener Gemeindebaus in der NS-Zeit vor.

Im Zentrum der wissenschaftlichen Aufarbeitung stehen jene Mieterinnen und Mieter, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder ihres politischen Widerstandes verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden. 

v. l.: Studienprojektleiterin Kuretsidis-Haider, Rundgang-Leiterin Steinthaler, Wohnbaustadträtin Gaál (SPÖ), Lessing (Vorständin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus), Wiener Wohnen-Direktorin Ramser und Kranebitter (geschäftsführender wissenschaftlicher DÖW-Leiter) | Foto: Stadt Wien/Martin Votava
  • v. l.: Studienprojektleiterin Kuretsidis-Haider, Rundgang-Leiterin Steinthaler, Wohnbaustadträtin Gaál (SPÖ), Lessing (Vorständin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus), Wiener Wohnen-Direktorin Ramser und Kranebitter (geschäftsführender wissenschaftlicher DÖW-Leiter)
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"Unsere Stadt – wie das ganze Land – wurde vor 80 Jahren von der NS-Diktatur befreit. Nicht zuletzt dieser Freiheit, in der wir heute leben, schulden wir einen verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte. Dass Wiener Wohnen gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern des DÖW diese dunkle Zeit ausleuchtet, ist ein starkes Zeichen gegen Vergessen und Gleichgültigkeit", so Vizebürgermeisterin und Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) in einer Aussendung. Zahlreiche Vermittlungsprojekte und Angebote seien eine Einladung, die Geschichte Wiens, der Gemeindebauten und seiner Bewohnerschaft nahezukommen.

Zwangsräumungen, Verfolgung, Arisierungen

Die Studie zeige eindrücklich, wie rasch die nationalsozialistische Gewalt auch im Alltag des kommunalen Wohnbaus Einzug hielt. Bereits am 14. Juni 1938 ordnete der damalige Vizebürgermeister Thomas Kozich (NSDAP) die systematische Delogierung aller jüdischen Mieterinnen und Mieter aus den Gemeindewohnungen an. Lokale, Arztpraxen und Geschäfte in Gemeindebauten wurden "arisiert", Hausmeister entlassen. Die Wohnungsvergabe erfolgte in der Folge bevorzugt an NSDAP-Mitglieder und nationalsozialistische Organisationen.

"Mit Beschluss vom 14. Juni 1938 wurden tausende jüdische Mieterinnen und Mieter systematisch aus ihren Gemeindewohnungen vertrieben. Hinter jedem Akteneintrag steht ein menschliches Schicksal. Es ist unsere Verantwortung, diese Geschichten sichtbar zu machen und die Erinnerung wachzuhalten", erklärt Karin Ramser, Direktorin von Wiener Wohnen, die Motivation zur Studie.

Widerstand und Mitverantwortung

Das Forschungsteam rund um Claudia Kuretsidis-Haider beleuchtete nicht nur die Auswirkungen der NS-Maßnahmen, sondern auch die zentrale Rolle des Wiener Wohnungsamts. 

Hausdurchfahrt des zwischen 1927 und 1930 erbauten Karl-Marx-Hofs in Wien, ca. 1938. Zwischen 1935 und 1945 hieß die Wohnanlage Heiligenstädterhof. (Archiv) | Foto: Scherl / SZ-Photo / picturedesk.com
  • Hausdurchfahrt des zwischen 1927 und 1930 erbauten Karl-Marx-Hofs in Wien, ca. 1938. Zwischen 1935 und 1945 hieß die Wohnanlage Heiligenstädterhof. (Archiv)
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Um einen möglichst umfassenden Blick zu gewährleisten, betrachte man in der Studie die Gemeindebauten im Nationalsozialismus aus unterschiedlichen Perspektiven: So analysiere man das Vorgehen des Wiener Wohnungsamts, bemesse die Zahl an Betroffenen und schildere ausgewählte persönliche Schicksale darin.

Der Studien zufolge wurden mindestens 3.598 Jüdinnen und Juden aus Gemeindebauten vertrieben – 1.090 von ihnen wurden in der Shoah ermordet. Daneben dokumentierte das DÖW 401 Fälle politisch verfolgter Gemeindebaumieterinnen und -mieter, von denen 175 die Repressionen des NS-Regimes nicht überlebten. Auch die Kontinuität im Personal des Wohnungsamts zwischen Austrofaschismus und NS-Zeit wird aufgezeigt: Nur wenige Beschäftigte wurden aufgrund ihrer Herkunft oder politischen Haltung entlassen.

Erinnerung durch Vermittlung

Die Ergebnisse der Untersuchung werden nicht nur in einem wissenschaftlichen Sammelband (Erscheinungstermin Ende 2025 im Böhlau-Verlag) veröffentlicht, sondern auch in einem umfassenden Vermittlungsprogramm einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So startete Anfang April die Stadtführungsreihe "Niemals vergessen", in deren Rahmen Evelyn Steinthaler historische Rundgänge in zehn Wiener Bezirken anbietet. Speziell für Schülerinnen und Schüler wurden außerdem Workshops konzipiert, die sich mit den Biografien vertriebener Jugendlicher aus dem Gemeindebau auseinandersetzen.

Wiener Wohnen-Rundgang durch den 7. und 8. Bezirk anlässlich des Gedenkjahres, mit Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ, l.) | Foto: Stadt Wien/Martin Votava
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Ein weiteres Projekt ist die partizipative Ausstellung "Auch das waren wir", bei der die Bewohnerschaft selbst Teil der Geschichtsvermittlung wird. Am 25. September widmet sich zudem ein Themenabend im Rabenhof-Theater unter der Regie von Isabella Gregor der künstlerischen Aufarbeitung der Studienergebnisse.

Auf der Projektwebsite nievergessen.wienerwohnen.at finden sich über 60 exemplarische Lebensgeschichten, Hintergrundmaterial sowie alle Informationen zu Führungen, Workshops und Veranstaltungen.

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Die von der Kulturpublizistin Evelyn Steinthaler auf Basis der DÖW-Studie konzipierten und geleiteten Rundgänge werden in zehn Bezirken angeboten. | Foto: Stadt Wien/Martin Votava

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