Birgit Gerstorfer im Interview
"Nur die SPÖ schaut kritisch auf die ÖVP-FPÖ-Koalition"

SPÖ-Chefin Birgit Gerstorfer im BezirksRundschau-Interview. | Foto: Land OÖ/Stinglmayr
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SPÖ-Chefin und Sozial-Landesrätin Birgit Gerstorfer spricht im BezirksRundschau-Interview über die rote Wahlkampagne, Pflege, Kinderbetreuung und aktuelle Umfragewerte.

Aufgrund der Unwetter ist das Thema Klima- und Umweltschutz sehr präsent. Die Grünen sind diesbezüglich fast euphorisch, weil es ihnen im Wahlkampf hilft. Hat da die SPÖ dem Wähler überhaupt was anzubieten?
Natürlich spielt der Klimaschutz eine große Rolle. Wir sind gegen eine überdimensionale Bodenversiegelung, für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und für alternative Antriebe anstatt Benzin und Diesel. Ebenso setzen wir uns für regionale Produkte und für eine Nachvollziehbarkeit der Lieferketten ein. Aus meiner Sicht ist aber mit dem Klimaschutz eine soziale Frage verbunden. Denn die zehn Prozent der Reichsten sind für fast die Hälfte des Co2-Ausstoßes verantwortlich und die zehn Prozent der Ärmsten nur für drei bis fünf Prozent. Es trägt also nicht jeder gleich viel bei, aber die kleinen Leute müssen dafür zahlen, dass wir unser Klima schützen. Man muss das Ganze somit auch als Verteilungsfrage betrachten.

Die SPÖ hat die Wahlkampagne auf die Themen Pflege, Arbeitsplätze und Bildung ausgerichtet. Was läuft falsch im Bildungsbereich in Oberösterreich?
Unter Bildung fällt für mich auch die Kinderbetreuung, und die ist in Oberösterreich wirklich schleißig. Das wirkt sich wiederum auf den Arbeitsmarkt, die Teilzeit-Quote, den Gender-Pay-Gap und den Pensions-Gap aus – da steckt viel dahinter.

Geht es Ihnen konkret um die Nachmittagsgebühr im Kindergarten oder generell das Kinderbetreuungsangebot?
Generell um das Angebot. Wir sind einfach in vielen Bereichen schlechter geworden, anstatt besser. Das ist der eine Teil der Bildung, und der andere Teil ist natürlich die Schule. Dabei geht es um Ausstattung und Gebäude – es gibt einen Rückstau von 500 Millionen Euro bei den Investitionen in die oö. Schulen. Wir haben keine ordentliche EDV-Ausstattung von Schülern und Lehrern. Die Arbeitsplatz-Ausstattung der Pädagogen lässt speziell zu wünschen übrig, die mussten teilweise mit den privaten PCs das Home-Schooling machen. Da gibt es noch viel zu tun.

Nochmal zu Kindergärten: Von Seiten der ÖVP heißt es, dass 240 Millionen Euro pro Jahr für die Kinderbetreuung ausgegeben werden.
Der finanzielle Anstieg bei der Kinderbetreuung ist eigentlich nur die normale Valorisierung. Die eingesetzten Mittel entsprechen bei Weitem nicht den tatsächlich notwendigen Investitionen. Ich gehe soweit, dass es einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bräuchte. In den Ländern Europas, die das haben, gibt es höhere Geburtenraten und eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen.

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Also Sie fordern einen Rechtsanspruch auf Krabbelstube und Kindergartenbetreuung?
Ja, natürlich. Man muss es ja nicht in Anspruch nehmen. Derzeit gibt es die Wahlfreiheit, die von Seiten der ÖVP immer so gelobt wird, in Wahrheit nicht. Denn wenn man in einem kleinen Dorf wohnt, wo man um 13 Uhr spätestens die Kinder holen muss, dann können sich Frauen einfach nicht aussuchen, ob sie Vollzeit arbeiten oder nicht.

Thema Arbeitsmarkt: Der Wirtschaftsmotor läuft, wir haben Rekordbeschäftigung und einen Fachkräftemangel. Keiner spricht mehr von Corona und hoher Arbeitslosigkeit. Ist der SPÖ-Fokus auf Arbeitsplätze überhaupt ein sinnvolles Wahlkampfthema?
Es ist ein ganz wichtiges Wahlkampfthema. Es geht ja nicht nur um die Frage, ob es Arbeitsplätze gibt oder nicht. Die Frage ist ebenso, wie dieser Arbeitsplatz ausgestaltet ist. Aber es geht auch um Arbeitszeit bzw. Arbeitszeitverkürzung, den Mindestlohn und die Frage der sechsten Urlaubswoche. Und auf der Seite der Arbeitslosen stellt sich die Frage, wer überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, also wer überhaupt arbeiten darf. Viele Langzeitarbeitslose haben da echte Schwierigkeiten.

Eine Debatte um schärfere Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose gibt es bereits.
Das ist menschenverachtend. Wenn man es nicht in drei Monaten schafft, dann wird man bestraft, davon ist die Rede – und auch davon, das Arbeitslosengeld dann auf 40 Prozent zu senken. Jetzt muss man schon mal mit 55 Prozent auskommen, wie es derzeit ist. Wie soll das dauerhaft mit 40 Prozent gehen? Das sind alles populistische Ansagen, aber nicht mehr.

Sie waren vor der Politik jahrelang AMS-Chefin. Gibt es nicht trotzdem Menschen, die das System ausnutzen?
Ja, das ist ein gewisser Prozentsatz, aber das ist minimal, vielleicht drei, vier Prozent aller Arbeitslosen. Und bei den allermeisten geht es um einen Arbeitsplatz oder eine Schulung, die sie nicht machen wollen – aber nicht um eine generelle Arbeitsunwilligkeit.

Zynisch gefragt, müsste man aufgrund des derzeitigen Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels nicht sagen: Wer jetzt keine Arbeit hat, will nicht arbeiten?
Das Bundes-AMS hat gerade ein interessantes Video herausgebracht. Dort geht es darum, dass nur sieben Prozent der Arbeitslosen von den Betrieben gewollt werden.

Also 93 Prozent der Arbeitslosen werden laut AMS von den Betrieben nicht gewollt?
Ja, weil sie nicht das richtige Geschlecht haben, weil sie zu alt sind oder nicht richtig qualifiziert. Einige wenige bleiben übrig, aber der Rest wird gar nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Die Pflicht der Arbeitslosen, sich zu bewerben, erwarte ich mir auch von den Arbeitgebern. Wenn sie eine Bewerbung bekommen, dann müssen sie sich die auch anschauen, denn es gibt auch tolle Arbeitslose, die man einstellen kann.

Ein großes Thema der SPÖ im Wahlkampf ist die Pflege. ÖVP und FPÖ haben die Anstellung pflegender Angehöriger kritisiert, es seien noch arbeitsrechtliche Fragen offen, heißt es.
Von dieser Kritik bleibt überhaupt nichts übrig, das wurde alles mit Arbeitsrechts-Experten geklärt. Es wurde vielmehr ein sehr gutes Programm für Eltern, die ihre beeinträchtigten Kinder betreuen. Und die ÖVP muss einfach irgendwo einen Kritikpunkt finden, damit man nicht sagen muss, die Gerstorfer hat das was Gutes gemacht. Das ist eine politische Wadlbeißerei, nicht mehr.

Wieviel Geld würde in den nächsten sechs Jahren für die Pflege zusätzlich gebraucht?
Um die Pflege zukunftsfit zu machen, braucht man unbedingt eine Verbesserung des Pflegeschlüssels und der Entlohnung. Wir brauchen zusätzliche Investitionen in die Struktur – Tageszentren, Demenzkompetenz-Zentrum, die Anstellung betreuender Angehöriger. Es wäre schön für Oberösterreich, den Anteil zu bekommen, der für den Pflege-daheim-Bonus aufgewendet wird, also 60 bis 70 Millionen Euro pro Jahr. Damit kann man sehr viel machen.

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In den meisten Umfragen liegt die SPÖ eindeutig auf Platz zwei und unter 20 Prozent. Damit wären zwei Wahlziele nicht in Reichweite.
Sozialdemokratisch zu wählen ist wieder "in". Dass sozialdemokratische Politiker bewegen können, sieht man auch in Deutschland sehr deutlich. Olaf Scholz war vor Kurzem noch Dritter und rückt nun der CDU massiv auf die Pelle. Es gibt Veränderungen im Wahlverhalten der Menschen, das ist eindeutig. Blicken wir doch nur auf die Corona-Zeit: Es hat uns in erster Linie die soziale Sicherheit über die Runden gebracht.

Wenn es einen zweiten Landesrat gibt, kommt der dann aus dem Mühlviertel?
Warum aus dem Mühlviertel?

Michael Lindner stammt ja aus dem Mühlviertel?
(lacht) Achso, also es wird mit ziemlicher Sicherheit ein Mann werden, wenn es sich ausgehen sollte. Das ist das einzige, das ich sagen kann.

Derzeit ist das Verhältnis zwischen ÖVP und SPÖ nicht so friktionsfrei. Ist da eine Koalition mit der Volkspartei überhaupt ein angestrebtes Ziel?
Das Verhältnis mit der ÖVP ist deshalb nicht ganz friktionsfrei, weil wir die einzige ernsthafte Oppositionspartei in Oberösterreich sind. Die Grünen biedern sich an, die Freiheitlichen sind schon in der Koalition, also kann nur die SPÖ diese wichtige Rolle in einer Demokratie einnehmen und kritisch auf die Koalition schauen. Wir haben als einzige Partei ein Regierungsprogramm herausgebracht – ich kenne von den anderen Parteien keine Ansage, wie sie Oberösterreich in den nächsten sechs Jahren gestalten wollen. Wenn wir so eine Ansage machen, wollen wir natürlich auch in Regierungsverantwortung gehen, aber natürlich nicht um jeden Preis.

Ist eine Koalition mit der ÖVP also ein Ziel?
Das wird natürlich angestrebt, aber nicht in dieser Art und Weise wie die Grünen das machen: Die wollen ja nur ein bisschen Klimaschutz und alles andere machen sie mit.

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