Heidemarie Ithaler-Muster
Schöne Zeit am Pößnitzberg
Die gebürtige Leutschacherin kann beim Schreiben am Besten Energie tanken und Geschehenes aufarbeiten. Sie erinnert sich sehr gerne an die schöne Zeit am Pößnitzberg zurück ud. hat ihre Erinnerungen niedergeschrieben. Aus dem Buch "Um des Himmels Lohn & Mit den Augen einer Frau" von Hans und Grete Riedl.
LEUTSCHACH AN DER WEINSTRASSE. Meine Mutter Maria Muster, mit Mädchennamen Sivetz, wurde am 10. März 1938 in den Wirren des 2. Weltkrieges zu Hause in ihrem Elternhaus am Remschniggberg geboren. Insgesamt hatte sie acht Geschwister, von denen heute noch drei leben. Es war der Start in ein sehr schweres Leben. Ich als ihre Tochter die es posthum beschreibe, nannte sie zeitlebens Mutti. Ein paar Jahre vor ihrem Tod, ich werde es euch später erzählen, sagte ich dann Mama.zu ihr.
Ich versuche gerade zu recherchieren, wie ihr Leben aussah. Vieles hat sie mir erzählt, vieles habe ich selbst miterlebt. Ich trat erst in ihr Leben, als sie 23 Jahre alt war. 1961 wurde ich geboren. Wenn ich heute mein Leben anschaue, im Schoss von meiner Mutter geboren, sind wir doch grundverschieden. Aber mein Leben ist nicht weniger schwer. In dieser Geschichte soll es vorwiegend um meine Mama gehen. Sie kann sich nicht mehr profilieren, für das, was sie Großartiges geleistet hat, ohne jemals vor den Vorhang geholt zu werden. Ich habe die Chance bekommen, auf der Bühne zu stehen und heute nehme ich sie mit hinauf und stelle sie euch vor. Ich glaube, sie würde weinen und bescheiden, ein bisschen verhärmt, ihre Rolle spielen, die sie Zeit ihres Lebens einnahm. Nämlich in der hintersten Reihe.
Erinnerungen an die Kriegszeit
Als sie in Leutschach in der Klostergasse, acht Jahre in die Volksschule ging, war vorerst noch Krieg. Oft flogen die Flieger und die Sirenen heulten. Ihre Lehrerin merkte, dass sie sehr verängstigt war. Sie nahm sie an der Hand und gemeinsam liefen sie, die Lehrerin und das kleine Mädchen, in den Keller in Sicherheit. Sie duckte sich ängstlich an ihre Lehrerin.
Mamas Vater, also meinen Großvater, habe ich nie kennengelernt. Er war Zimmermann und wie es damals üblich war, politisch engagiert. Mit seinen drei älteren Söhnen arbeitete er 1944 eines Tag im Wald an der slowenischen Grenze und wurde vermutlich von einem feigen Partisanen, von hinten, erschossen. Tödlich getroffen sackte er auf den Waldboden. Blut sickerte auf die Erde. Schockiert flohen die drei Augenzeugen ins Tal zum Elternhaus. Mama war damals erst 6 Jahre alt und sie war das Lieblingskind von ihrem Vater. Sie musste nun mitansehen, wie er, den sie auch über alles liebte, als Leichnam auf dem Leiterwagen in die Aufbahrungshalle nach Leutschach gebracht wurde. Heute noch steht an diesem Platz im Wald in Remschnigg ein Mahnmal, das an die Ermordung meines Großvaters zurück erinnern soll. Wanderer bleiben oft stehen und halten kurz bewegt inne. Aus Respekt. Ich glaube, das hat den Weg der Familie Sivetz sehr geprägt. Meine Oma Aloisia, ich durfte sie noch kennenlernen, war plötzlich mit ihren Kindern alleine. Meine Mutter war damals schon sehr fleißig. Das schien ein bisschen ihr Lebenselixier zu werden. Mir gegenüber erzählte sie immer, wie viel sie schon als junges Mädchen geleistet hat. Zu ihrer Mutter Aloisia hatte sie eine innige Beziehung. In ihrer Bescheidenheit und Lieblichkeit waren sie sich sehr ähnlich. Ich erinnere mich gut an meine Großmutter. Obwohl sie nicht viel besaß, hat sie mich als kleines Mädchen immer beschenkt.
Sie starb als ich 10 Jahre alt war. Meine Mama hat sehr darunter gelitten. Somit ging eine Generation zu Ende. Aber nun zurück zu meiner Mutter. Nach der Schulzeit, 8 Jahre Volksschule, 2 Jahre Hauswirtschaftsschule in Arnfels, nahm sie Saisonarbeiten an. Sie arbeitete in der Glasfabrik Swarovski in Tirol als Kindermädchen dieser berühmten Familie. Interessiert spitzte ich meine Ohren, als sie davon erzählte. Berühmtheiten haben es mir schon immer angetan. Besonders die Welt von Glas und Kristalle. Meine Mama arbeitete danach in einer Zahnfabrik in Liechtenstein. Als Grenzgängerin wohnte sie in Vorarlberg. Irgendwann dazwischen lernte sie meinen Vater Rupert Muster kennen. Sie waren beide noch sehr jung. Er wurde ihre große Liebe. Mein Vater kam auch in der Kriegszeit, im September 1938 auf die Welt, als einziger Bruder von zwei Schwestern. So war er 6 Monate jünger als Mama. Die Eltern meines Vaters, Rupert und Judith Muster, eine für die damalige Zeit sehr wohlhabende Familie, unterlagen einem hohen Standesdünkel. Auf alten Archivfotos sieht man, dass meine Großmutter Judith, eine Gastwirtin, in jungen Jahren schon eine Nerzstola über ihre erhabenen Schultern trug, während meine Oma Aloisia stolz war auf ihren grauen langen Zopf. So prallten verschiedenen Welten aufeinander.
Mein Großvater Rupert Muster war ein Viehhändler und wenn er an manchen Tagen mit seinem Vieh Märkte besuchte, kam er meistens mit einer dicken Brieftasche nach Hause. Bevor er schlafen ging, zählte er zeitlebens am Bett, in seinem blaugestreiften Schlafanzug sein Geld. Einstellungen über das Leben durch verschiedene Familienverhältnisse über Geld, Gesellschaft und Religion klafften hier auseinander.
Die Mutter väterlicherseits war streng katholisch gläubig, besuchte jeden Sonntag die Messe, aber sie ließ es sich nicht nehmen, mit ihrer Krokotasche am Gestühl, provokant zu zeigen, wie sie und ihre Familie gut situiert waren. Sie versäumte bis ins hohe Alter hinein kaum einen sonntäglichen Gottesdienst, wohin sie mit dem Auto chauffiert wurde.
Oma Aloisia, die eher arm war, zu Fuß den weiten Weg in die Kirche ging, war wohl eine praktizierende Gläubige. Aufgrund dieser konträren Verhältnisse, wurde die Liebe zwischen meiner Mama und meinem Papa vorerst sehr boykottiert. Meine Mama wurde dann mit 20 Jahren schwanger und ein Jahr nach der Geburt meines ältesten Bruder Harald, gaben sich die beiden, im kleinsten Kreis, in der Wallfahrtskirche Mariatrost das Ja-Wort. Es ist wohl Zufall, dass mein Mann Johannes und ich 24 Jahre lang unter dieser Basilika wohnten und Johannes Eltern auch in dieser Kirche geheiratet haben.
In elf Jahren beinahe immer schwanger
Ich wurde 1961, als zweites, einziges Mädchen unter sieben Brüdern geboren. Man wohnte zuerst am Remschniggberg im alten Heimathaus meiner Großmutter Aloisa und wir zogen dann auf den Trautenhof am Pößnitzberg. Damals war ich ein 6- jähriger Dreikäsehoch und als wir siedelten, trug ich meinen Kater Petzi unter dem Arm. Unsere neue Heimat war ein ganz altes Haus, mit dicken Mauern und Schindeldach. In vielen Zeitabschnitten wurde dieses Gebäude umgebaut und renoviert. Diese rußigen Räume, hinter steinigen Gemäuern, hatten sicher viele geheimnisvolle Geschichten zu erzählen, nicht nur in der Vergangenheit, sondern
auch für die Zukunft. Wir waren 8 Kinder und ein Bruder verriet mir einmal, dass nicht jeder ein Bett hatte, geschweige denn, ein eigenes Zimmer. Unter meinen sieben Brüdern waren auch Zwillinge und die Abstände der Geburten waren zeitlich dicht hintereinander. So war meine Mutter in elf Jahren beinahe immer schwanger.
Sie hatte zwischendurch Erschöpfungszustände und schwere Depressionen. Sie war kränklich und oft auch im Krankenhaus. Caritashelferinnen kamen als Unterstützung auf den Pößnitzberg. Trotzdem hat Mama, beinahe ohne Hilfe, die Familie versorgt, mit eigenen Produkten aus dem Garten, den Äckern, der Landwirtschaft und der Viehzucht. Sie liebte ihren Garten, wenn sie frischen Salat holen konnte und Gemüse ernten. Die schön gereihten Beete säumten seltene Blumen, wie Dahlien und gezüchtete Rosen. Gerne erinnere ich mich an das Obst, das sie verarbeitete und in Rexgläser konservierte, über selbstgemachte Marmeladen und Säfte. Die Ehe meiner Eltern spricht eine eigene Sprache, aber bekanntlich werden Ehen im Himmel geschlossen und werden dort wieder vereint. Aus Respekt möchte ich nicht darüber schreiben, weil ich weiß, was meine Eltern alles geleistet haben. Da Mama so ausgelastet war, jede Minute kostbar, konnte sie sich nicht so ganz um die Erziehung von uns Kindern kümmern. Diesen Part leistete unser Vater mit einer großen Strenge, die manchmal wirklich nicht angebracht und oft ungerecht war. Er war sehr dominant. Mama war mehr im Hintergrund, obwohl sie vielleicht doch die Regie führte. Als einziges Mädchen war ich dazu verurteilt, eine bestimmte, aber auch sehr wichtige Rolle für die ganze Familie einzunehmen. Der große Betrieb, Weinbau und Landwirtschaft, den sich meine Eltern gemeinsam aufgebaut hatten, forderte viel Zeit, viele fleißige Hände und körperliche Substanz.
Ich habe meiner Mutter lange vorgeworfen, dass ich zu wenig Liebe bekam. Ich möchte diesen Satz nicht so negativ stehen lassen, weil es schlussendlich für uns beide, noch bei Lebzeiten, ein Happyend gab. Wir Kinder hatten wenig Zeit zum Spielen, die Brüder waren unter sich. Früh erlernte ich den Haushalt zu führen und Mama tatkräftig zu unterstützen. Für Gespräche gab es fast keine Gelegenheit, geschweige denn, meine geheimsten Probleme jemanden zu erzählen. Mama war für mich die Arbeitende, die Kranke, die Schwache. Später bemerkte ich erst, wie stark sie doch in Wirklichkeit war. Meine Brüder gingen in Schulen, machten Lehren,erlernten also einen Beruf und gingen außer Haus.
Ein großer Einbruch für die ganze Familie war wohl, als ich - das hübsche, intelligente, begehrte Mädchen - mit 20 Jahren in die Psychiatrie kam. Als mich meine Eltern dort das erste Mal besuchten, sahen sie traurig und etwas hilflos auf die Ärztin, die ihnen von meiner psychischen Krankheit erzählten. Sie fühlten sich mitschuldig. Während ich einen schweren Weg vor mir hatte, meine Freunde oder professionelle Helfer mich begleiteten, konnte ich meinen Eltern lange nicht verzeihen. Aufgehoben im Netzwerk der Psychiatrie, fand ich später wieder zu meinem Elternhaus, nachdem mich mein Bruder eines Tages, es war der 7. Mai 1995, im Krankenhaus kontaktierte. Monoton war seine Stimme am Telefon, als er sagte, dass mein Vater mit dem Traktor tödlich verunglückt sei. Für uns alle, besonders für meine Mama, brach die Welt zusammen. Zum ersten Mal in meinem Leben hat sie mich weinend um etwas gebeten: „Bitte, komm nach Hause!“ Leider war ich in stationärer Behandlung und konnte ihr diese Bitte, wegen meinem schlechten Zustand, nicht erfüllen. Ich schaffte es nicht, ihr beim Begräbnis, beizustehen.
Die Zeit der Trauer
Die Zeit trug Trauer am Pößnitzberg und meine Mutter war von diesem Tag an, immer schwarz gekleidet. Ihre unendliche Trauer lies sie nun aktiv werden. Sie richtete die Küche neu ein und übergab den ganzen Besitz und teilte es auf meine Brüder auf. Seit dem Tod von meinem Vater waren Mama und ich uns erst näher gekommen. Ich beschloss nun, obwohl ich in Graz wohnte, für sie alles Menschenmögliche zu tun. So oft es ging, besuchte ich sie, zusammen mit Freunden aus Graz und wir machten Ausflüge, die Mama immer sehr genießen konnte. Und da war Jasmin, meine Lebensfreundin, die irgendwie zur Familie gehörte. Für mich war sie wie eine Schwester, die ich mir gewünscht hätte. Mama mochte Jasmin wie ihre eigene Tochter. Mir schien, als würde sie bei Jasmin gutmachen wollen, was sie bei mir in jungen Jahren versäumt hatte.
Drei Monate nach Papas Tod lernte ich meinen späteren Mann Johannes kennen. So kam ein neues Familienmitglied in die Familie, von allen akzeptiert und wohlwollend aufgenommen. Ich assoziierte diese Begegnung damit, dass Papa mir Johannes geschickt hat - als Ablöse. Mein Vater hat mich immer sehr geliebt, er konnte es mir nur nicht zeigen. Johannes und meine Mutter wurden nun, nicht nur angeheiratete Verwandte, sprich der Schwiegersohn, sie wurden auch Freunde. Ich gründete, wie ich das für viele andere Menschen gemacht habe, ein Netzwerk für meine einsame Mutter. Sie entschied für sich, alleine zu bleiben und mit keinem anderen Mann eine Beziehung mehr einzugehen, obwohl ältere Herren, vorwiegend Witwer sich für sie interessierten. Sie hat den Tod von Papa nie überwinden können. Er blieb ihre einzige große Liebe und sie nährte die Erinnerung an ihn nur mit positiven Erlebnissen und Gedanken. Durch Bernhard, der den Hof übernahm und heiratete, kam ein paar Jahre später wieder Leben auf den Trautenhof. Die Zwillinge Stephanie und Manfred wurden geboren. Meine Mutter war glücklich, dass auch ich gut versorgt war und in Johannes einen guten Ehemann gefunden hatte. Das hat sie mir oft gesagt. Doch das Glück war nicht von Dauer, die Harmonie in ihrem Leben machte wieder eine große Pause.
Der schwere Schicksalsschlag, der die ganze Familie erschütterte, war der unerwartete Freitod, zehn Jahre später nach dem tödlichen Unfall von Papa, ihres Sohnes, unseres Bruders Horsti. Auch er war im Alter von 36 Jahren in eine Depression geschlittert, nachdem in seinem Leben vieles schiefgelaufen war. Wir versuchten, ihn aufzumuntern, besonders ich litt mit ihm mit, weil ich durch meine Sensibilität nachvollziehen konnte, wie es ihm ging. Doch seine Zeit schien abgelaufen zu sein, als er sich 2005, während einem Ausgang von einem Klinikaufenthalt, von einer Brücke stürzte. Der Pößnitzberg trug wieder Trauer. Ich konnte meiner Mutter abermals nicht zur Seite stehen, weil ich mich selbst in einem Ausnahmezustand befand. Ausgerechnet mein Mann Johannes, ein ehemaliger Ordensmann, war der beste Freund von Horsti gewesen. Durch seine früheren seelsorgerischen Erfahrungen, konnte er meiner Mama in dieser schweren Zeit beistehen. Mich plagte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie nicht trösten konnte, ich selbst ertrug ja beinahe nicht diesen schmerzlichen Verlust. Was musste meine Mutter, die ganze Familie eigentlich, denn noch alles ertragen? Ein altes Sprichwort sagt, der Blick ins Grab des eigenen Kindes, sei das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Das war auch für mich eine sehr schwere Zeit mit vielen Tränen, die lange nicht versiegt sind.
Jahre vergingen und langsam wuchs Gras über die Gräber, nach dem Winter kam wieder der Frühling. Die Schicksalsschläge brachten meine Mutter und mich näher zusammen. Viel Unausgesprochenes wurde transparent gemacht in etlichen vertrauten ehrlichen Gesprächen. Hürden wurden überwunden, Blockaden lösten sich auf. Alles was ich mit ihr in der Jugend versäumt hatte, holten wir gemeinsam nach. Die späte Liebe zu einer Mutter – die misslungene Liebe zur Tochter – machte uns von nun an zu Verbündeten. Ich taufte sie um, von Mutti auf Mama! Meine Betrachtungsweise für sie hatte sich plötzlich verändert. Ich gab ihr damit eine andere Identität, weil ich sie nun anders zu lieben begann und sie mich auch. Als ich anfing, Bücher zu schreiben und in der Öffentlichkeit stand, war sie sehr stolz auf mich. Irgendwie hatte ich eine andere Rolle für sie und sie für mich eingenommen. Wir hatten eine schöne Zeit miteinander. Die selbstbewusste große Tochter und die kränkliche weise Mutter.
Urlaub am Pößnitzberg
Da sie immer kränklicher wurde, versuchte ich nun nachzuholen, was ich beim Ableben von meinem Vater und meinem Bruder versäumt hatte. Ich machte oft mehrere Wochen Urlaub bei ihr am Pößnitzberg, kochte für sie, teilte mit ihr die besondere Liebe zu den Katzen, die am Hof waren. Beim Kartoffel schälen erzählte sie mir von ihrer Kindheit und ihrer Jugendzeit. Vieles stimmte mich traurig. Bevor wir uns einmal ins Bett legten, zog sie sich den Schlafrock an und da sagte sie einen Satz, den ich nie vergessen werde: „Heidi, mein Leben hätte ich mir anders gewünscht. Ich hätte damals in Tirol bleiben sollen!“ Ihre Welt war wohl schon viel früher zusammengebrochen. Bei diesen Worten schwang soviel Trauer, Hader, Unzufriedenheit, Verzweiflung und auch Verletztsein mit. Als sie das sagte, ist auch etwas in meinem Herzen gebrochen. Traurig, sehr betroffen, sah ich sie an und erwiderte: „Aber Mama, Du hast doch acht Kinder!“ Sie war stumm geworden, schaltete das Licht aus und ich blickte lange verloren in die Dunkelheit. Mamas Gesundheitszustand wurde immer schlechter. Meine Urlaube und Ausflüge reichten nicht mehr aus, um sie kurzfristig zu versorgen. So kamen Pflegekräfte auf den Hof, zuerst stundenweise, dann der Übergang in eine 24 Stundenbetreuung. Die Gewissheit, auf Hilfe anderer angewiesen zu sein, selbst nicht mehr arbeiten zu können, an dem hat sie wohl schwer gehadert. Ich habe sie weiterhin regelmäßig besucht und bevor ich zu ihr fuhr, habe ich für sie Lebensmittel eingekauft, ihren Kühlschrank mit Köstlichkeiten voll gefüllt. Das war das Letzte, was ich für meine Mama tun konnte.
Durch die Tatsache, dass wir zwei spät, aber doch zueinander gefunden hatten, empfand ich Frieden in meinem Herzen. Nachdem was sie mir alles erzählt hatte, von ihrer Kindheit und ihrer Jugendzeit, war es mir ein Leichtes, alles zu verstehen, warum es so war. Ich begann diese Frau, meine Mama, zu bewundern, für ihre Stärke, ihren Fleiß und ihren unermüdlichen Einsatz für die Familie. Sie hielt sich stets im Hintergrund und war immer nur für andere da.
Mein Gott, bin ich doch egozentrisch! Ich bin zwar nicht in die Fußstapfen von meiner Mama getreten, doch ich habe genauso viel durchgemacht, auf eine andere Art und Weise. Um ihren Schmerz zu ertragen, hatte sie große Freude an ihrer Familie, besonders, später an ihren Enkelkindern. Sie vergaß kaum einen Geburtstag und hatte immer einen Geldschein parat, obwohl ihre Pension nicht hoch war. Sie hat viel geleistet, alles auf sich genommen, doch für den Lebensabend bekam sie nur eine kleine Rente. Um meinen Schmerz zu ertragen, bin ich Künstlerin geworden. Aus dem gleichen Fleisch und Blut und aus den wohl guten Genen, geteilt mit denen von Papa, die sie mir mitgegeben haben. Die Intelligenz, die Gutmütigkeit und immer bereit, zu kämpfen, aber leider auch die Depressionen.
Am 9. Jänner 2015 hatte ich wieder in der Früh einen Anruf. Es war mein Bruder Bernhard am Telefon. Er sagte mir, dass Mama heute in den frühen Morgenstunden im Pflegeheim am Rosenberg, in Leutschach friedlich eingeschlafen war. Der Trautenhof trug wieder Trauer. Ich schaffte es diesmal, in der Aufbahrungshalle, hinter dem Blumenmeer von ihrem Sarg zu sitzen und ihr die letzte Ehre zu erweisen. Ich blickte kurz zur Tür und sah die vielen weinenden Menschen und bemerkte einen Sonnenstrahl, der plötzlich den Himmel erhellte.
"Um des Himmels Lohn & Mit den Augen einer Frau"
- von Hans und Grete Riedl
- Hier wird das Leben von Frauen, besonders in der Nachkriegszeit beleuchtet, das bestimmend war mit viel Arbeit, Bescheidenheit, Muttersein und wenig Anerkennung. Die Rolle der Frau spielte sich damals zwischen dem Herd und am Land bei der Feldarbeit ab.
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