Reinhard Gösweiner
"Laufen können sie, am Schießen müssen wir arbeiten"
Seit Anfang 2020 ist Reinhard Gösweiner aus Windischgarten Cheftrainer der weißrussischen Biathlon-Damen. Mit ihnen musste er als Trainer "völlig neu beginnen".
WINDISCHGARSTEN/RAUBITSCHI. Zuvor arbeitete der gelernte Werkzeugbauer und ausgebildete technische Zeichner viele Jahre lang unter anderem als Cheftrainer der ÖSV-Biathlon-Herren und -Jugend. "Während meiner Zeit im ÖSV bekam ich jährlich ein bis zwei Angebote aus anderen Ländern. Diese lehnte ich ab, weil im Verband eigentlich alles passte", sagt der passionierte Radfahrer und Fußballer.
Mit der Zeit wurde jedoch der innerliche Drang nach einer beruflichen Veränderung immer größer. "Im ÖSV habe ich seit 2008 einige wichtige Funktionen ausgeübt. Außerdem hat sich in der Chefetage des Verbands einiges verändert", sagt Gösweiner. Als er dann das Angebot aus Weißrussland bekam, dort als Trainer der Frauenmannschaft zu beginnen, sagte er zu. "Ich entschied mich dafür, weil ich mit dem Verbandspräsidenten schon zwei Jahre, und damit länger als mit allen anderen, in Kontakt war", sagt Gösweiner.
Rückhalt der Familie
Bevor er den Zweijahresvertrag jedoch unterschrieb, informierte er sich ausführlich über seine dortigen Aufgaben. Auch diskutierte er mit seiner Familie über das Angebot aus Osteuropa. "Gott sei Dank standen meine Frau und Kinder voll hinter mir und der möglichen neuen Aufgabe. Wären sie das nicht, hätte ich nicht zugesagt", sagt er.
"Die ersten Wochen waren brutal"
Am 4. Mai des Vorjahres trat er dann zum ersten Mal die Reise ins weißrussische Raubitschi, wo etwa 20 Tage pro Monat verbringt, an. Die ersten beiden Wochen dort beschreibt er als "brutal". "Ich kannte dort niemanden. Außerdem war ich während dieser Zeit aufgrund der Corona-Pandemie vorsorglich in Quarantäne. Die verbrachte ich in einem anderen Quartier als der Rest der Mannschaft", sagt der Cheftrainer.
Abhilfe gegen die Einsamkeit schafften die vielen Telefongespräche und Videotelefonate mit seiner Familie. "Mit meiner Frau und meinen Kindern hatte ich vor allem via WhatsApp Kontakt. So hielten sich die Kosten für die Gespräche in Grenzen. Was ebenfalls gut tat war, dass ich vom gesamten Team sehr gut aufgenommen worden bin. Vor allem, weil man es als Ausländer in einem fremden Team oft schwer hat", sagt er.
Keine Trainingsbücher
Trainiert wurde während der kommenden Wochen auch trotz Corona-Pandemie. Für den Profisport gab es nämlich auch Weißrussland kaum Einschränkungen. Improvisieren mussten Gösweiner und Co-Trainer Oleg Ryschenkow nur in Sachen "Kraftkammern". Diese waren nämlich zum damaligen Zeitpunkt Corona-bedingt geschlossen. Über Ryschenkow läuft übrigens auch die Kommunikation mit den Sportlerinnen. "Er spricht perfekt deutsch und übersetzt dann ins 'Weißrussische'", sagt Gösweiner.
Zudem war es kaum möglich in Sportstätten in größeren Höhen zu trainieren. Das warf Gösweiners Pläne etwas durcheinander. "Bis 20. Oktober durften wir nämlich nur in Raubitschi trainieren. Das liegt auf 200 Metern. So konnten sich die Sportlerinnen nicht wirklich an größere Höhen gewöhnen", sagt Gösweiner. Nach Ablauf dieser "Ausgangssperre" übersiedelte die Mannschaft für das Training dann nach Österreich. Künftig möchte Gösweiner jedes zweite Monat auf Höhen über 1.000 Metern trainieren. Das ist zum Beispiel in Obertilliach möglich.
Gegenseitiges "Abtasten"
Die größte Herausforderung abseits der Pandemie war für Gösweiner, dass er das Training der Damen ganz neu gestalten musste. Der Grund dafür war, dass er keine Trainingsbücher bekam. "Ich adaptierte für die Damen daher meine Methoden aus Österreich", sagt Gösweiner.
Nach einiger Zeit des "gegenseitigen Abtastens" konnte er sein Programm dann immer mehr an die Bedürfnisse der Damen anpassen. Einfach war das aber nicht immer. "Besonders an den sehr ehrgeizigen weißrussischen Sportlerinnen ist zum Beispiel die Standardantwort 'normal' auf viele Fragen. Daher wusste ich nur selten, ob ihnen das Training etwa zu stark war. Mit der Zeit gaben sie dann immer mehr über ihr Wohlbefinden preis", sagt er.
Konditions-, Kraft und Komplextraining
Das Training für Biathleten besteht übrigens aus Konditions- und Krafteinheiten sowie dem sogenannten "Komplextraining". "Am Anfang der Saison bauen mein Co-Trainer und ich zum Beispiel die Kondition der Sportlerinnen auf. Erst dann legen wir den Fokus auf Laufen und Schießen. Das ist das Komplextraining", sagt Gösweiner. Wie lange die einzelnen Einheiten dauern, hängt dann von den vorhandenen Möglichkeiten und den Trainingsplänen ab.
"Erfolgssprung hätte kleiner sein können"
Dass sein Training Früchte trägt, zeigte sich bei der Biathlon-Weltmeisterschaft 2020/2021 im slowenischen Pokljuka. Hier fuhr die kleine Damenmannschaft dank Hanna Sola eine Bronzemedaille ein. "Ich wusste von Anfang an, dass ich ein Team mit viel Potential übernommen habe. Dennoch hätte der Erfolgssprung etwas kleiner sein können", sagt Gösweiner.
Da Biathlon in Weißrussland eine sehr beliebte Wintersportart ist, laste jetzt nämlich ein großer Erfolgsdruck auf dem Oberösterreicher. "Verband und Sportfans erwarten sich jetzt was von meinem Co-Trainer, der Mannschaft und mir. Ich muss daher während der heurigen Saison, in die ich mit fünf Athletinnen starte, und vor allem bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking alles richtig machen", sagt Gösweiner.
Laser und Kontrolle
Damit das gelingt, beobachtete Gösweiner "seine" Athletinnen während der vergangenen Saison umso genauer. "Ich habe festgestellt, dass sie sehr gute Läuferinnen sind. Am Schießen aber müssen wir noch arbeiten. Um ihre Schießstabilität zu verbessern, werde ich künftig mit Lasern arbeiten", sagt Gösweiner. Dazu sollen die Trainingseinheiten auch stärker kontrolliert werden. Das sei wichtig, um zum Beispiel zu erkennen, ob die Intensität der Einheiten auch passt.
Vorbereiten und aufladen
Bis die kommende Saison in Weißrussland dann Anfang Mai mit einer offiziellen Auftaktsitzung und einer Analyse der vergangenen startet, weilt Gösweiner daheim in Windischgarsten. Hier bereitet er unter anderem die nächsten Kurse vor. "Zudem verbringe ich viel Zeit mit meiner Familie. So lade ich meine Akkus wieder auf", sagt Gösweiner.
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