Franz Wurst
Theaterinszenierung "Nicht sehen" soll Augen öffnen

Die "Nicht sehen"-Crew besuchte die Stadttheater-Werkstätten. | Foto: Stadttheater Klagenfurt
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Der junge israelische Regisseur Noam Brusilovsky stellt sich mit dieser Arbeit über ein Kärntner Trauma in Klagenfurt vor. Er möchte diese „gesellschaftliche Wunde gemeinsam verarzten.“

KÄRNTEN. Auch 20 Jahre nach der Verurteilung des Kinderarztes und Heilpädagogen Franz Wurst wegen Beteiligung am Mord an seiner Ehefrau sowie sexueller Gewalt gegen zahlreiche Kinder und Jugendliche an öffentlichen Einrichtungen bleibt die jahrzehntelange institutionelle Gewalt eine offene Wunde in Kärnten. Die Veröffentlichung dieses Falles markierte erst den Beginn einer langjährigen gesellschaftlichen Aufarbeitung und die Thematisierung von sogenannten »totalen Institutionen«. Der junge israelische Regisseur Noam Brusilovsky im Interview.

Mit "Nicht sehen" sind Sie das erste Mal für das Stadttheater Klagenfurt tätig. Zum Inhalt hat Ihre Inszenierung eines der dunkelsten Kapitel Kärntens, das nicht nur dieses Bundesland erschüttert hat. Wie entstand die Idee, das Thema auf die Bühne zu bringen?
Noam Brusilovsky: 2018 hat mich der damalige Intendant des Stadttheaters, Florian Scholz, nach Klagenfurt eingeladen, um Wissenschaftlerin Ulrike Loch und ihre Kollegin, Kinder- und Jugendanwältin Astrid Liebhauser kennenzulernen. Astrid Liebhauser leitete die Opferschutzkommission, im Rahmen derer Opfer von Gewalt an Kärntner Einrichtungen eine Rente beantragen dürfen. Ulrike Loch arbeitete damals an der Alpen Adria Universität und beschäftigte sich in ihrer Forschung mit dem “System Wurst” und der “totalen Institution”, die er aufgebaut hat. Beide waren sehr daran interessiert, dass eine Theaterinszenierung auf die Bühne kommt, die die institutionalisierte Gewalt an Kärntner Kinder und Jugendlichen thematisiert und das langjährige Schweigen um das Thema bricht. Leider musste die Inszenierung pandemibedingt verschoben werden.

Wie gestaltete sich die Recherche?
Im Laufe der Recherche verbrachten wir mehrere Wochen in Klagenfurt. Wir trafen die Kolleginnen der Opferschutzkommission und das Forschungsteam. Wir haben Orte besucht, in denen massive Gewalt stattgefunden hat. Wir haben Menschen kennengelernt, die direkt und indirekt mit dem Fall zu tun haben.

Wie wurde Ihre Idee, dieses Thema auf die Bühne zu bringen, von Betroffenen aufgenommen?
Wir haben einige Opfer kennengelernt und haben uns mit ihnen über die Inszenierung unterhalten. Sie haben uns von der Gewalt berichtet, die sie in ihrer Kindheit erlitten haben. Man will es nicht glauben, dass solche entsetzlichen Verbrechen an Kindern begangen wurden. Sie waren froh, dass ihnen zugehört wird, und dass ihre Geschichten erzählt werden, nachdem ihnen jahrelang nicht geglaubt wurde und man sie für verrückt hielt.

Regisseur Noam Brusilovsky | Foto: Eliya Kaplan

Was erwartet das Publikum?
Auf der Bühne ist keine Gewalt an Kindern zu sehen - das möchten wir auf keinen Fall zeigen, denn wir wollen keine Gewalt reproduzieren. Unsere Inszenierung beschäftigt sich mit dem, was nicht zu sehen war. Sie geht den Spuren der Gewalt aus heutiger Perspektive nach. Die Kinder und die Jugendlichen auf der Bühne spielen keine Opfer und stellen eher einen Chor der Zukunft dar, der auf uns Erwachsene schaut. “We are watching you” (“Wir beobachten euch”) sagte neulich die junge Klimaaktivistin Greta Thunberg und damit machte sie klar, dass Erwachsene nicht mehr ohne Konsequenzen handeln können. Das heißt nicht, dass wir nicht von Gewalt erzählen. Wer sich mit Gewalt auseinandersetzen möchte, muss erfahren, was Gewalt überhaupt bedeutet.

Wie schwierig war es für Sie und alle anderen Beteiligten ein solches Thema auf die Bühne zu bringen?
Für uns war es nicht einfach, die Recherche emotional auszuhalten. Wenn man sich die politische Dimension und den gesellschaftlichen Anspruch dieser Arbeit vor Augen führt, hilft es enorm diese Geschichten zu erzählen.

In Ihren bisherigen Produktionen haben Sie sich unter anderem mit Verbrechen der NS-Zeit an Juden, mit dem Klimawandel und den drohenden Folgen beschäftigt, jetzt mit den Taten Franz Wursts. Gibt es ein Thema, dem Sie sich nicht widmen würden?
Ich tendiere tatsächlich dazu, mich in meiner Arbeit mit politischen Themen aus einer biografischen bzw. dokumentarischen Perspektive zu beschäftigen. Ich kann mir nicht vorstellen, eine Liebesgeschichte zu erzählen. Solche Stories interessieren mich nicht - vor allem heterosexuelle Liebesgeschichten - davon haben wir genug. Ich interessiere mich immer für den Moment, in dem das Persönliche politisch wird.

Was wünschen Sie sich vom Publikum in Klagenfurt?
Ich wünsche mir, dass das Theater in unserer Inszenierung zu einem Ort wird, in dem man das große Verbrechen an Kindern und Jugendlichen gemeinsam anerkennt, um eine gesellschaftliche Wunde gemeinsam zu verarzten.

Die "Nicht sehen"-Crew besuchte die Stadttheater-Werkstätten. | Foto: Stadttheater Klagenfurt
Regisseur Noam Brusilovsky | Foto: Eliya Kaplan

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