Das Jahres-Motto
Die Caritas wird "unaufgeregt wachsam bleiben"

Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler über Einsamkeit, Glaube und ihre Pläne für die Caritas. | Foto: Brand Images
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  • Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler über Einsamkeit, Glaube und ihre Pläne für die Caritas.
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Wirtschaftlich schwierige Zeiten auch für eine Organisation wie die Caritas. Die steirische Direktorin Nora Tödtling-Musenbichler nimmt die Herausforderung dennoch mit Zuversicht und Optimismus an.

STEIERMARK. Im Interview mit MeinBezirk spricht die österreichische Caritas-Präsidentin und steirische Caritas-Direktorin Nora Tödtling-Musenbichler über Chancen, Einsamkeit und ihren Glauben.

MeinBezirk: In der Steiermark weht seit Jahresanfang politisch ein anderer Wind – wie geht es Ihnen damit?
Nora Tödtling-Musenbichler: Mittlerweile habe ich mit allen Regierungsmitgliedern Termine gehabt. Nachdem wir als Caritas nicht parteipolitisch agieren, versuche ich mit allen ein konstruktives, wertschätzendes Gespräch zu führen – ich habe dabei viel an Interesse erlebt. Klar, es wird eine andere Schwerpunktsetzung geben.

Haben Sie Sorgen dabei?

Dort, wo es keine Lobby gibt, kann man am leichtesten sparen. Da ist es unser Auftrag als Caritas nicht politisch, aber anwaltschaftlich zu agieren. Unser Anliegen ist es, zusammenzuarbeiten und Lösungen zu bringen. Und wenn etwas nicht geht, werden wir es auch aufzeigen.  Wir machen keine Dinge, weil es lustig, sondern weil es notwendig ist.

Was zeichnet sie dabei aus?
Der Vorteil der Caritas ist, dass wir so vielfältig sind. Von der Geburt bis zum Lebensende bieten wir Leistungen an, dadurch können wir schnell auf Ereignisse reagieren. Wir haben seinerzeit von heute auf morgen Flüchtlingsquartiere aufgebaut oder eine Betreuung für Ukraine-Vertriebene aufgebaut. Was unser Anliegen ist: Wir möchten uns nicht gegenseitig abhängig machen, sondern Lösungen bieten, die das auch wert sind. Wir können nichts im Auftrag des Landes machen, was nicht finanziert ist.

Weil …?
Weil wir die Spenden dort benötigen, wo die Leistungen wirklich zu wenig sind und wo Menschen Not leiden. Die Spenden werden im Marienstüberl eingesetzt oder in Lebensmitteilausgabestellen, in Lerncafés und Notschlafstellen.

Kann man den Begriff „Armut“ eigentlich definieren?

Wissenschaftlich ist das leicht. Es gibt die Kriterien, an denen man sich orientiert: Menschen, die armutsgefährdet sind, können von diesen Kriterien nur weniges umsetzen. Das bedeutet Urlaub, ein zweites Paar Schuhe. Haushaltsgeräte ersetzen etwa. Wenn das nicht möglich ist, dann spricht man – je nachdem, wie viele Kriterien ich nicht erfüllen kann – entweder von Armutsgefährdung oder von manifester Armut.

Wie ist die Entwicklung?
Bei der Armutsgefährdung sind die Zahlen relativ stabil geblieben. Aber die Zahl derer, die von massiver Armut betroffen sind, hat von 2023 auf 2024 enorm zugenommen. Es sind 110.000 Menschen mehr von Armut betroffen gewesen in Österreich als im Jahr davor. 88.000 davon sind Kinder …

Was ist der Maßstab?
Es gibt da den Warenkorb, der die Dinge des täglichen Bedarfs definiert. Da sind Einkäufe drinnen, Kleidung, Schulbedarf, wenn ich Kinder habe oder so drinnen. Da ist kein Auto drinnen, aber Handy und Internetanschluss. Das braucht man heutzutage, weil ohne keine Arbeit, keine Entfaltung möglich ist. Diese Kosten sind Faktum, die wollen wir nicht diskutieren.

Müssen Sie das?
Ja, Menschen, die wenig Geld haben, wird oft einmal etwas abgesprochen. Brauchen die das überhaupt, benötigt ein Mensch ein Handy? Diese Frage muss man in der heutigen Zeit wohl nicht mehr stellen. Aber sie wird noch immer gestellt. Unsere Klientinnen und Klienten werden hinterfragt und kritisiert. So nach dem Motto: Dem kann es nicht so schlecht gehen, der hat ein Handy. Was das mit Menschen macht, die von Armut betroffen sind, ist schwer vorstellbar. Für viele ist das der einzige Weg raus, da können sie Zeitung lesen, sich informieren, einmal abschalten. Gar nicht zu reden von den bürokratischen Problemen, wenn ich nicht erreichbar bin, keine Online-Anträge stellen kann.

Stichwort Unterstützung …
Der Klimabonus ist ein solches Beispiel. Natürlich war das nicht treffsicher. Aber wenn er jetzt zur Gänze in Frage gestellt wird, dann trifft das genau wieder diese Gruppe, die ihre Energiekosten nicht zahlen wird können. Und der Datenschutz darf nicht die Ausrede sein, wo man behauptet, man könne leider keine Treffsicherheit gewähren. Wir sind in anderen Dingen auch über den Datenschutz hinweggegangen.

Was trägt Schuld an der wachsenden Armut?
In erster Linie sicher die Teuerung. Corona hat es für manche leichter gemacht, da hat es teilweise Delogierungsstopps gegeben, das hat es aber nur verzögert.  Und: Wir haben mittlerweile ganz wenig Finanzkompetenz, das ist ein großes Thema. Wir können von den Kindern angefangen bis ins hohe Erwachsenenalter, nicht mehr davon ausgehen, dass Menschen wirklich kompetent mit ihren Finanzen umgehen können. 

Was hilft?
Bildung ist das Mittel gegen Armut. Wenn ich jetzt in der Bildung Mängel habe, dort nicht investiere, dann habe ich die Armut im Erwachsenenalter, die meistens mit fehlender finanzieller Kompetenz einhergeht.

Armut als generelle Tendenz?

Jene, die schon vor der Teuerungswelle an der Kippe waren, für die war es zu viel. Für den Großteil der Bevölkerung waren die letzten Jahre kein massiver Einschnitt, sondern die Verringerung von Wohlstand. Der Wohlstand hat nicht im großen Stil nachgelassen. Aber es ist eine neue Gruppe dazugekommen, der untere Teil der Mittelschicht, etwa Häuslbauer, Jungfamilien, die es mit der Zinserhöhung auf einmal nicht mehr geschafft haben. Das waren in den vergangenen zwei Jahren viele, die erstmals Kontakt zur Caritas hatten.

Wie groß ist die Solidarität der Steirerinnen und Steirer?
Die Solidarität ist nach wie vor groß. Sie hat manchmal Grenzen, die teilweise vorgegeben werden – mit wem sollen wir solidarisch sein? Und das macht mit den Bildern was. Bei allen Krisen in der Steiermark, in Österreich, schaffen wir es, da sind wir solidarisch. Dort gibt es eine enorme Hilfsbereitschaft, bei Geld- und Sachspenden, auch in der Mitarbeit.

Was ist dann anders geworden?
Ich glaube, die Bevölkerung ist müde geworden, sie ist Krisen-müde. Wir sind auch nicht mehr so krisenresilient, es ist eine ganze Generation, die keine Krisen erlebt hat. Wie sollte ich dann Resilienz aufbauen? Und das macht etwas mit Solidarität, das ist eher Überforderung.  Menschen brauchen vielleicht momentan einen Schutz, so nach dem Motto „Nicht noch eine Krise.“ Dennoch müssen wir zusammengreifen, ich glaube daran, dass wir solidarisch sein können.

Die Caritas hat viele Gesichter - Nora Tödtling-Musenbichler hier im Einsatz in einem Lerncafé. | Foto: Neuhold
  • Die Caritas hat viele Gesichter - Nora Tödtling-Musenbichler hier im Einsatz in einem Lerncafé.
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Wie kann das funktionieren?
Ich glaube, wir brauchen den Auftrag dazu. Also zu sagen: Gehen wir es gemeinsam wieder an. Dazu braucht es Orte, Begegnungsräume. Das klassische Wirtshaus ist für mich solch ein Beispiel – wo viel diskutiert wurde, wo gestritten wurde – aber persönlich. Solche Räume sind weg, vieles hat sich in die sozialen Medien, ins Anonyme verlagert. Ich habe kein Gegenüber mehr und verliere mittlerweile die Idee, wer mein Nächster ist.

Was bewegt Sie außerdem noch?
Das große Thema Einsamkeit, das ist die größte moderne Armut unserer Zeit. Wir haben Menschen strukturiert ins Alleinsein gedrängt, weil es eine Zeit lang notwendig war. Wir haben sie aber nicht mehr strukturiert herausgeholt. Übrig geblieben ist Einsamkeit. Ich denke an Jugendliche, die nicht gelernt haben, wie es ist, fortzugehen. Die größte Gruppe der Einsamen sind die Jungen, dann kommen erst die Älteren. Nur ein Beispiel: Ich erlebe in der Früh auf meinem Arbeitsweg Kinder auf ihrem Weg zur Schule. Vor Corona haben sie sich dabei die wildesten Geschichten ausgedacht. Und dann hatten sie zwei Jahre, in denen sie nicht kreativ sein konnten. Diese Bilder, diese Geschichten waren weg. Kinder haben da wirklich Defizite, sind teilweise nicht mehr anschlussfähig.

Im Vorjahr war großes Jubiläum, was sind die großen Ziele für das 101. Jahr Caritas?
Erstens sind wir froh, dass wir auf 100 Jahre zurückblicken können und wirklich Bleibendes geschaffen haben. Unser Ziel war ja nicht nur zu feiern, sondern auch zu sagen, wie geht es in der Zukunft weiter.  Jetzt geht es darum, unser Profil als Caritas noch einmal zu schärfen. Wir sind eine Hilfsorganisation, die Menschen nicht als Bittsteller behandelt, sondern die will, dass die Menschen ohne Caritas leben können. 

Worauf liegt da der Fokus?
Ein Ziel ist es, dass wir uns mit der Caritas in den Regionen bewegen. Wir sind ohnehin überall vertreten, aber wir gehen jetzt wieder verstärkt raus, wollen, wissen, was die Menschen beschäftigt – und wie wir es gemeinsam gestalten und entwickeln können.

Zuversichtlich und unaufgeregt wachsam: Nora Tödtling-Musenbichler. | Foto: Brand Images
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Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?
Ich habe das immer ganz anders gesehen. Für mich ist es nie Last, sondern immer die Frage: Was kann ich bewirken? Die Menschen, die zu uns kommen, sind natürlich nicht immer glücklich, weil wir ihnen helfen – Hilfe ist auch anstrengend. Dennoch macht es Freude und wir haben den klaren Auftrag, uns für andere einzusetzen.

Sind Sie gläubig?

Ja, ich bin aus dem Glauben heraus in Soziale gekommen, weil mich unser obersteirischer Pfarrer Schrei geprägt hat, ich habe auch Theologie studiert. Glaube gibt schon Halt. Die Zusammenarbeit mit Pfarrer Pucher war ebenfalls wesentlich, den vinzentinischen Geist habe ich mitgenommen. Der heilige Vinzenz hat an die Vorsehung geglaubt, das habe ich in den Vinziwerken erleben dürfen. Das ist mein grundsätzliches Gottvertrauen, nicht gleich in Panik verfallen –es wird sich auch etwas fügen.
Das war auch das Motto, das ich im politischen Jahresauftakt kommuniziert habe: Bleiben wir unaufgeregt wachsam. Nicht gleich Wirbel schlagen, nicht gleich Ängste schüren. Wir müssen wachsam sein, was passiert. Aber nicht mit hoher Emotion. Es darf sich etwas zum Guten wandeln. Ich glaube, dass egal welche Ebene – Bundes-, Landes- oder Stadtpolitik – alle das Ziel haben, den Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen und nicht, etwas zu vernichten. Mit der Haltung gehe ich in alle Gespräche. Ich gehe einmal davon aus, dass alle grundsätzlich das Gleiche wollen, nämlich, dass es der Gesellschaft und unserem Land gut geht.

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