Halyna Iskiv
"Am 24. Februar habe ich gesehen, wie kostbar Frieden ist"
Am Samstag jährt sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zum zweiten Mal – die Zerstörung hält weiterhin an. Wie geht es den Ukrainerinnen und Ukrainern damit? Ein Versuch einer Erklärung im Gespräch mit Halyna Iskiv vom Zentrum für Österreichisch-Ukrainische Kulturwissenschaften.
STEIERMARK. Vor dem 24. Februar 2022 hätte sich wohl niemand gedacht, dass ein Krieg auf europäischem Boden noch möglich ist. Seit dem Angriff versucht die Ukraine, die Truppen aus Moskau, die in ihrem Land sind, zu vertreiben. Die Armee hält stand, obwohl Teile des Landes zerstört und Menschen geflüchtet oder getötet wurden. Laut UNHCR, das "Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen" wurden weltweit rund 6,5 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine registriert.
- Zum zweiten Mal jährt sich bereits der Angriff auf die Ukraine. Was fühlen Sie dabei? Was denken die Ukrainerinnen und Ukrainer darüber, sofern das überhaupt gesagt und in Worte gefasst werden kann.
Halyna Iskiv: Am Anfang dachten wir, dass der Krieg bald aufhören würde, aber jetzt dauert der Krieg im ganzen Land schon zwei Jahre und seit der russischen Invasion sind zehn Jahre vergangen. Zehn Jahre Krieg sind eine lange Zeit. Es gibt immer mehr Menschen, die ihre Familienangehörige, Freundinnen und Freunde und Bekannte verloren haben. Ich weiß nicht, was jede Einzelne, jeder Einzelne fühlt und wie sie oder er das erlebt, was gerade passiert. Alle wollen ein Ende des Krieges, aber ein gerechtes Ende. Die Ukraine muss alle Teile des Landes zurückbekommen, die völkerrechtswidrig und auf grausamer Weise weggenommen wurden. Viele Menschen haben dafür mit ihrem Leben bezahlt.
- Wie wird die aktuelle Situation wahrgenommen?
Die Situation wird mit Sorge, aber auch mit Hoffnung gesehen. Jeder, den ich kenne, wartet auf das Ende des Krieges und auf weitere Unterstützung seitens der Europa, aber auch der ganzen Welt. Dass jemand nicht daran glaubt, dass die Ukraine gewinnen wird, habe ich noch nie gehört. Glauben auch Sie an uns und an die Ukraine. Ein kleiner Appell an Sie.
- Gibt es eine gewisse "Normalität" inmitten eines Krieges? Was hat sich im Denken verändert?
Krieg kann nicht zur Normalität werden – und ist es auch nicht. Man kann sich nicht daran gewöhnen, dass Menschen ermordet werden, weil sie einer Nation angehören. Früher dachte ich zum Beispiel, dass Krieg in Europa nicht möglich ist, aber das hat sich 2014 geändert. Am 24. Februar habe ich gesehen, wie kostbar Frieden ist und wie grausam Krieg sein kann. Ich habe mir immer mehr Gedanken darüber gemacht, was gut und was böse ist, wie schwierig es manchmal ist, die Grenze zu ziehen, aber der Krieg hat gezeigt, wie wichtig es ist, diese Grenze zu ziehen. Damit verbunden ist auch die Verantwortung, die die Russische Föderation noch zu tragen hat.
- Was erwartet man von der Politik hierzulande?
Ich erwarte mehr Klarheit in manchen Dingen, wie bei den Geschäften mit Russland, die es heute noch gibt, mehr Einsicht in die Situation, sich der Realität stellen, die Gefahr für Europa mehr kommunizieren, mehr Sanktionen gegen die Russische Föderation, mehr Unterstützung. Es geht um Menschenleben, es geht um unser Leben in Europa.
- Was bedeutet Unabhängig und Freiheit für Sie persönlich?
Das Recht auf Selbstbestimmung, Perspektiven und Entscheidungsmöglichkeiten.
- Wie soll man von außen die Ukraine und die Ukrainerinnen und Ukrainer wahrnehmen?
Die Ukraine ist ein europäisches Land, dessen Geschichte und Kultur sich in Europa entwickelt haben. Es gibt kein Europa ohne die Ukraine. Wenn wir die Ukraine verlieren, wird es Europa mit ihrer Demokratie, die über Jahrhunderte aufgebaut wurde, nicht mehr geben. Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind Europäerinnen und Europäer, die die Solidarität und den Beistand der anderen Europäerinnen und Europäer und der ganzen Welt brauchen, dies ist sehr wichtig. Jeder Einsatz ist wertvoll. Bleiben Sie aktiv.
In einer der ersten Reden bei den Kundgebungen habe ich von den Pflichten gegenüber den anderen gesprochen. Ich möchte hier nur wiederholen, dass wir, wenn wir von unseren Rechten sprechen, uns auch bewusst sein müssen, dass wir auch Pflichten gegenüber anderen haben. Wir haben heute die Pflicht, den Menschen in der Ukraine in ihrem Kampf gegen den Krieg, für Frieden und Unabhängigkeit zu helfen. Es ist unsere Pflicht, für die Ukraine da zu sein.
- Die gebürtige Ukrainerin Halyna Iskiv lebt in der Steiermark. Nach einem Au-pair-Aufenthalt 2007 in der Oststeiermark ist sie ab 2009 geblieben; sie studierte an der Uni Graz Philosophie. Die Dolmetscherin ist Friedensaktivistin.
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