Psychologie / Psychotherapie / Religion
Kann man Homosexualität heilen? Kritische Gedanken zur Konversionstherapie

Zum Artikel auf DER STANDARD möchte ich folgende Gedanken einbringen:
Menschen ihre Gefühle auszureden und ihnen zu vermitteln, ihre Gefühle, Bedürfnisse und Emotionen seien falsch, gilt in der Psychologie als schwerer psychischer Missbrauch. In der Psychotherapie sind Konversionstherapien heute verboten. Wer anders handelt und Homosexualität zu heilen verspricht, riskiert als Psychotherapeut/Psychotherapeutin ein Berufsverbot.

In anderen gesellschaftlichen Bereichen, etwa in Kirchen und Religionsgemeinschaften, werden Konversionstherapien aber noch immer fleißig praktiziert. Das kann für die betroffenen Menschen schädlich, traumatisierend und suizidgefährdend sein, vor allem dann, wenn die Botschaft von Vertrauenspersonen und/oder geliebten Menschen ausgeht. Die maligne Botschaft lautet dann: "Wir lieben Dich. Allerdings lieben wir Dich nicht so, wie Du bist, denn Deine primären Bedürfnisse, Gefühle und Emotionen sind falsch."
Auf diese Weise kann sich ein falsches Selbst entwickeln, in der Existenzanalyse sprechen wir von einem Leben, das apersonal gelebt wird. Der/die Betroffene errichtet eine Fassade, spürt seine/ihre Bedürfnisse und Emotionen kaum noch (das darf er/sie schließlich auch gar nicht, denn diese seien ja falsch) und wird umso anfälliger für Ideologien, radikale Weltbilder und Schwarz-Weiß-Schemata. Später wird er/sie dann zum Rationalisieren neigen und seine/ihre Kränkungen, Verletzungen und Traumatisierungen an andere weitergeben oder durch verschiedene Abwehrmechanismen überkompensieren.

Wie wichtig wäre hier eine authentische Beziehung zu den jungen Menschen, die ihnen Raum und Zeit gibt, die sie Ernst nimmt und sie fragt, was ihre ureigenen Bedürfnisse sind, was sie fühlen, ob sie sich schon mal in einen Menschen des gleichen Geschlechts verliebt haben, ja, aber auch, ob sie sexuelle Bedürfnisse für das gleiche Geschlecht empfinden, was sie erotisch, lustvoll und auch geil am selben Geschlecht erleben, wie sie diese Bedürfnisse und Gefühle in ihren Lebensweg integrieren könnten ... Diese Fragen sollten fernab von der aktuellen sexuellen Leistungsideologie gestellt werden (die ihrerseits auch Gefahr läuft, zu unauthentischen, apersonalen Verhaltensweisen zu führen und repressiv zu werden) und sollten vielmehr einen Freiraum zur Entfaltung und zum Bergen der primären Bedürfnisse und Emotionen eröffnen, um zu einem authentischen Selbst und Leben zu finden.

Meine eigenen Gegenübertragungen zu dieser Haltung sind sehr differenziert. Einerseits fühle ich Wut und Zorn ob der Grenzüberschreitung der psychisch missbräuchlichen TäterInnen, andererseits habe ich im Freundeskreis Menschen aus Freikirchen, die mir nahe stehen, die ich gerne habe, die meine FreundInnen sind, die aber just diese Meinung und Rationalisierung vertreten („Homosexualität sei eine Sünde, sie sei ein falsches und schlechtes Gefühl, das Bedürfnis dürfe keinesfalls ausgelebt werden, denn der "Mann sei auf die Frau hingeordnet" - unabhängig davon, was er fühle). Mit diesen Menschen verstehe ich mich im Alltag oft gut, lasse mich aber auf keine ideologischen Diskussionen mehr ein, weil das nur zu Verhärtungen und weiteren Rationalisierungen führen würde, die uns immer noch weiter vom authentischen Fühlen und Spüren bringen würden.
Auf DER STANDARD finden sich viele andere Kommentare, die entweder die eine oder die andere Position vertreten und zum Teil sehr verbittert, hasserfüllt und ihrerseits rationalisierend anklingen. Auch hier ist von einem authentischen Fühlen oft wenig zu spüren. Ideologien stecken offensichtlich an.

Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision (Logotherapie und Existenzanalyse)

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