Darf man immer sagen, was man denkt?

- Nichts sehen, hören und reden
- hochgeladen von Silvia Forstner
Mir wurde schon in der Kindheit geraten immer offen und ehrlich zu sagen was man denkt. In letzter Zeit praktiziere ich das auch, nur stelle ich fest, dass ich vorher weniger Stress und Ärger mit Kollegen und Freunden hatte als ich meine Meinung öfter für mich behalten habe. Gibt es eine Faustregel? Oder verhält es sich so, dass "Alles was man sagt, wahr sein sollte, aber nicht alles was wahr ist, man auch sagen soll?"
Berthold Brecht wusste es:
Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Wer heute die Lüge und Unwissenheit bekämpfen und die Wahrheit schreiben will, hat zumindest fünf Schwierigkeiten zu überwinden. Er muss den Mut haben die Wahrheit zu schreiben, obwohl sie allenthalben unterdrückt wird; die Klugheit, sie zu erkennen, obwohl sie allenthalben verhüllt wird; die Kunst, sie handhabbar zu machen als eine Waffe; das Urteil, jene auszuwählen, in deren Händen sie wirksam wird, die List, sie unter diesen zu verbreiten.
In diesem Sinne - gehen wir der Sache auf den Grund: Man "darf" in Österreich alles sagen - man muss eben nur bereit sein, auch den Gegenwind zu verkraften, der einem gegebenenfalls entgegenschlägt - oder im Zweifelsfall eben auch die rechtlichen Konsequenzen auf sich nehmen, die auf manches Gesagte folgen können. Mit letzterem beschreibt man dabei genau den Funktionsmechanismus von Zensur. Wenn durch staatliche Repressionen, eine Einschränkung von Meinungs- und Gedankenfreiheit stattfindet, heißt das Zensur.
Sprechverbote und Tabus bestimmen den öffentlichen Diskurs. Es gibt in Österreich Tabus. Wer gegen den Euro ist und dies öffentlich kundtut, hat in aller Regel einen schweren Stand. Gutmenschen jeglicher Couleur denunzieren Menschen mit eurokritischen Meinungen in Talkshows als europafeindlich und als Revanchisten.
Auch wer den menschengemachten Klimawandel in Frage stellt, findet kaum Fürsprecher. „Solche Menschen haben kein Verantwortungsgefühl für die Zukunft unserer Kinder“, heißt das Totschlagargument. Und wer gar die Schuld an Armut und sozialen Problemen bei den Betroffenen selbst sucht, ist hartherzig und bar jeder Solidarität. Nur das Christentum darf man ablehnen. Weil der Papst die Pille verbietet und Priester im Zölibat leben. Am Islam ist dagegen jede Kritik verboten. Das wäre fremdenfeindlich.
Obwohl unsere Verfassung jedem Bürger garantiert, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei äußern zu dürfen, beherrschen Sprech- und Denkverbote die österreichischen Debatten. Das funktioniert ohne sichtbaren staatlichen Zwang. Doch warum lassen sich die Menschen eigentlich all diese gedankliche Bevormundung gefallen? Und welche Antworten auf die brennenden Probleme werden durch solche Gängelei des Sprechens – und damit des Denkens – unterdrückt?
Eine anschauliche Erklärung für das Funktionieren eines Systems aus Tabus und Redeverboten lieferte bereits in den 70er-Jahren die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann in ihrer Theorie der Schweigespirale. Danach treibt den Menschen die Angst vor der sozialen Isolation um – keiner will in einer Gruppe oder der Gesellschaft außen stehen. Das hat seine guten Gründe: Schließlich sind wir als soziale Wesen auf die Gemeinschaft angewiesen, und wir leben auch gern in ihr. Um nur ja nicht ausgegrenzt zu werden, beobachtet der Einzelne ständig seine Umgebung auf der Suche nach der gerade vorherrschenden Meinung – und passt sich ihr dann an.
Was als die gerade vorherrschende Meinung wahrgenommen wird, bestimmen die jeweilige Umgebung – etwa Familie, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen – und die Medien. Und ob eine abweichende Meinung richtig oder falsch ist, ist gar nicht entscheidend – weit wichtiger ist, ob sie als moralisch gut oder schlecht dasteht.
Aber wo sind die Alternativen zur herrschenden Meinung und die neuen Denkansätze? Wenn abweichende Meinungen nicht mehr geäußert werden, weil ihre Vertreter sofort als unmoralisch gegeißelt werden, versiegt bald jede Diskussion.
Unter dem Einfluss von Political Correctness und Tabus entstand in Österreich ein alternativloses politisches und intellektuelles Klima. Ob einer sich zur Sozialdemokratie bekennt oder nicht, spielt schon längst keine Rolle mehr, weil es Nicht-Sozialdemokraten bei uns gar nicht geben kann, die Gesellschaft ist per se strukturell sozialdemokratisch. Es gibt keine ernsthafte Alternative dazu. Und tatsächlich redet heute alle Welt von Gerechtigkeit, wo doch nur Gleichheit gemeint ist; wird dem Kollektiv alles und dem Einzelnen immer weniger zugetraut und die Lösung der Probleme fast nur noch vom Staat erwartet.
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