Albertina Klosterneuburg
Von Abstraktion über schrille Pop-Art zur lädierten Welt

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KLOSTERNEUBURG. "Am 10. April beginnt die lange Reise unseres dritten Standortes, der Albertina Klosterneuburg", freut sich Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder und lädt am Eröffnungs-Wochenende bei freiem Eintritt und kostenlosen Führungen zum Besuch der drei Ausstellungen, kuratiert von ihm und Constanze Malissa.

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Pop-Art: The Bright Side of Life
Um 1960 verdrängt die Pop-Art zunehmend die abstrakte Malerei. Weltanschaulich ist die Pop-Art die Reaktion auf den Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg, die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und die wachsende Konsum- und Freizeitkultur sowie den von Film, Fernsehen und Illustrierten befeuerten Celebrity-Kult.
Kunstgeschichtlich ist die Pop-Art die Reaktion auf die Abstraktion in der Malerei, den vermeintlichen Endpunkt ihrer Entwicklungsgeschichte. Mit Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Mel Ramos und Alex Katz tritt das Gegenständliche in der Kunst wieder machtvoll in Erscheinung: nicht als „Nachahmung“ (Mimesis) der Natur, sondern als „Aneignung“ (Appropriation) von bereits existierenden Bildern. Ob Fotos oder andere Bilder aus Zeitungen, Comics, Illustrierten oder Werbeanzeigen: Jede Person, jeder Gegenstand wird zur Ware, zum Fetisch, zur Celebrity, zum Konsumobjekt.
Die österreichische Pop-Art kommt von ähnlichen Voraussetzungen her, geht aber einen von der US-amerikanischen Urform unabhängigen, eigenständigen Weg: voller Witz und spielerischer (Selbst-)Ironie.
Die grelle und laute Buntheit des Pop-Art-Bilderkosmos spiegelt den Tanz auf dem Vulkan wider, nicht dessen Ausbruch: die tiefe politische und gesellschaftliche Krise der 1960er- und 1970er-Jahre, in denen politische Morde – von John F. Kennedy bis Martin Luther King –, der Kalte Krieg und der Vietnamkrieg, die Erdölkrise, die galoppierende Inflation und der Deutsche Herbst dazu führen, dass die beiden Jahrzehnte der Pop-Art, die 1960er- und 1970er-Jahre, als „troubled decades“ in die europäische und amerikanische Zeitgeschichte eingehen.
Von Hundertwasser zu Kiefer:
Vom Symbol der Freiheit zu den Schatten der Vergangenheit
Mitte des 20. Jahrhunderts wird die Abstraktion sowohl in Europa als auch in Amerika zum Symbol der Freiheit. Als neue Weltsprache der Kunst gilt dieser letzte Stil der Kunstgeschichte, als Höhe- und Endpunkt der Malerei. Er wird zum Inbegriff des künstlerischen Temperaments, der expressiven Subjektivität und der Heroisierung des Individuums.
Gegenständliche Kunst ist Propaganda, die Ausdrucksform von Diktaturen vom Nationalsozialismus bis zum Stalinismus. Abstrakte Malerei ist die Antwort auf diesen Realismus im Dienst der Propaganda. Abstraktion als existenzieller Selbstausdruck des Künstlers entsteht aus der Weigerung, sich in Kunst und Form Gesetzen und Regeln zu unterwerfen. Dass man als nonkonformistischer Abstrakter auch populär und geradezu volkstümlich werden kann, beweist in Österreich der als Maler wie Architekt tätige Friedensreich Hundertwasser.
In den 1960er-Jahren beginnen deutsche Künstler – von Jörg Immendorff über Markus Lüpertz bis zu Anselm Kiefer – sich mit der Katastrophe des Weltkriegs auseinanderzusetzen, die Deutschland zweimal über die Welt gebracht hat: Es sind die Schatten einer dunklen Vergangenheit, die den benennbaren Gegenstand, Themen und Motive, wieder in die Kunst einführen. Nicht zu Zwecken der Propaganda aber machen die Maler sich die Gegenständlichkeit zunutze, sondern als Kritik an der eigenen Geschichte: dem Krieg, der Teilung Deutschlands, der Zersplitterung der Gesellschaft.
Während sich die amerikanische Kunst der Pop-Art ab den 1960er-Jahren vorrangig mit den Folgen des Kapitalismus, der Kommerzialisierung der Gesellschaft und der Warenwelt, beschäftigt, nehmen Georg Baselitz, Jörg Immendorff und Markus Lüpertz die verhängnisvolle Vergangenheit der eigenen Nation in den Blick.
Die lädierte Welt
Leben in der lädierten Welt: Der Mensch in seiner endlichen, von Krankheit und Tod bedrohten Existenz ist auch Träger der Wunden, die die Gesellschaft dem Einzelnen schlägt.
Es ist diese bittere, schmerzvolle Einsicht, mit der die österreichische Schriftstellerin Marianne Fritz 1978 die Schwerkraft der Verhältnisse am Ende des Zweiten Weltkriegs beschreibt: „Das Leben ist eine Wunde und die Wunde heilt so schwer.“ Im Schicksal der Antiheldin des Romans, die durch die dumpfige Enge der Nachkriegszeit zum Äußersten, dem Kindsmord, getrieben wird, erkennen wir eine Welt, in der für Außenseiter, für die von zerrütteten Verhältnissen Gebeutelten, kein Platz ist.
Vom vergeblichen Streben des Sisyphos bei Franz West, der strafenden Hand Gottes bei Kurt Moldovan und dem Leiden am Bürgerkrieg bei Fritz Wotruba bis zur tödlichen Krankheit Aids und den Verbrechen der US-Armee im irakischen Gefängnis Abu Ghraib, von den verbrannten Körpern von Auschwitz bis zur Flüchtlingskrise und den Aufdeckern/Staatsfeinden Julian Assange und Edward Snowden reichen die Bilder einer lädierten Welt, die uns die Kunst vor Augen stellt.
Sie geben Zeugnis vom unerschrockenen, unverwandten Blick der Kunst auf Krieg, Zerstörung, Krankheit, Elend und Tod.
Öffnungszeiten:
10. April bis 2. November 2024
Donnerstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr
Open House am 13. & 14. April 2024
Gratis Eintritt | Kostenlose Führungen (11/13/15/16.30 Uhr)
Keine Anmeldung oder Reservierung möglich. Teilnahme nach Verfügbarkeit freier Plätze.
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