Bezirk Kitzbühel: Wo sich Jobs und Armutsgefährdung treffen

- Der Bezirk Kitzbühel weist zur Zeit ein widersprüchliches Bild auf: Geringste Arbeitslosenzahl Österreichs trifft auf hohe Lebenshaltungskosten und geringe Einkommen.
- Foto: MEV
- hochgeladen von Elisabeth Schwenter
Nirgendwo verdienen Menschen weniger als in dem Bezirk mit der zur Zeit geringsten Arbeitslosenzahl. Ein Widerspruch? Ein Überblick.
BEZIRK KITZBÜHEL (elis). Die Freude ist groß und wird laut verkündet: Tirol, im Speziellen der Bezirk Kitzbühel, weist im AMS-Jänner-Ranking die niedrigste Arbeitslosenzahl des Landes auf! Minus 10,4 % im Bezirk, minus 5,3 % im Land. In Österreich nur lächerliche minus 0,6 %. Das könnte man doch so stehen lassen.
Muss man aber nicht.
Die Zahlen täuschen über einige Fakten hinweg, die weniger erfreulich sind. Diese findet man, sieht man sich die Arbeitslosenzahlen von beispielsweise November oder April an (also außerhalb der Saison) und, wirft man einen Blick auf das Lohnniveau in bestimmten Branchen und im Bezirk im Speziellen. „Wenn ein Koch mit Lehrabschlussprüfung beispielsweise 1.490 € brutto monatlich (ca. 1.193 € netto) verdient, ist das einfach nicht attraktiv“, lässt der Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft vida, Philip Wohlgemuth, in einer Aussendung wissen. Die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle liegt nämlich bei 1.161 €. Der Luxusbezirk Kitzbühel kratzt überdurchschnittlich oft an dieser Zahl.
Am untersten Rand
Der Einkommensbericht 2016 des Rechnungshofes gibt einen umfangreichen Überblick über die Misere. Absolut gesehen verdienten demnach unter den ganzjährig Vollzeitbeschäftigten sowohl die Frauen als auch die Männer im Jahr 2015 im Vergleich zu den anderen Bundesländern in Tirol am wenigsten. Angestellte, Vertragsbedienstete, Frauen, PensionistInnen... Tirol liegt immer unter dem Österreichschnitt. Der Einkommensnachteil ist auch, aber nicht nur, durch die Saisonarbeit bedingt. Er tritt auf vielen Ebenen auf: In Branchen, Regionen, in Vollzeit und Teilzeit, bei Männern und Frauen.
Mit einem durchschnittlichen Nettoeinkommen haben die Tiroler ArbeitnehmerInnen rund zehn Prozent pro Monat weniger auf dem Gehaltskonto als ihre Österreichischen „DurchschnittskollegInnen“. Aufs Jahr gerechnet haben sie mehr als 2.000 € netto weniger zur Verfügung.
Zudem ist rund die Hälfte der im Bezirk Kitzbühel arbeitenden Menschen in den Niedriglohnsektoren Handel und Tourismus tätig.
Lebenshaltungskosten
Über dem Schnitt liegt Tirol bei einer anderen bekannten und oft zitierten Statistik: Die Lebenshaltungskosten sind nirgends höher als in Tirol. Wohnen, Mobilität, Essen, Freizeit. TirolerInnen werden in diesen Bereichen kräftig zur Kasse gebeten.
Nun sollen die Sozialpartner an einem Mindestlohn von 1.500 € brutto/Monat arbeiten. So der Plan der Regierung.
Erich Foglar, ÖGB-Präsident, möchte lieber eine Generalvereinbarung mit der Wirtschaftskammer treffen, wonach sich innerhalb einer bestimmten Zeit alle Branchen dazu verpflichten, zumindest 1.700 € brutto/Monat zu zahlen. „2007 haben wir eine Generalvereinbarung mit der Wirtschaftskammer für 1.000 € Mindestlohn geschlossen. Ich denke, es ist jetzt wieder Zeit für einen solchen Schritt, um 1.700 € für alle zu erreichen“, so Foglar.
Branchen und Einkommen im Bezirk
Ein Blick in einen beliebigen Online-Stellenmarkt oder in die offenen Stellen, die über das AMS Kitzbühel ausgeschrieben werden, zeigt Bekanntes und trotzdem Haarsträubendes.
In den Sektoren Dienstleistung, Handel und Tourismus bieten Arbeitgeber teils Löhne, die weit unter einem verträglichen Maß liegen. Löhne, bei denen monatlich nicht viel mehr als 1000 Euro am Konto landen, bei 40 Stunden, Schichtarbeit, Nacht- und Wochenenddienst und 6-Tage Wochen. Einige Beispiele:
Mietwagenfahrer im Wechseldienst für Tag und Nacht werden gesucht. Rund (aufgerundet!) 1.180 € brutto werden geboten. Als Floristin hat man die Möglichkeit 1.400 € brutto zu verdienen. An einer Rezeption einer Gesundheitseinrichtung bekommt man 1.420 € brutto, ebenfalls Vollzeit. Einer Tourismus-Assistentin werden rund 1.450 € geboten. Als Tankstellenwart darf man sich über maximal 1.500 € freuen. Selbstverständlich ist hier Nacht-, Wochenend- und Schichtarbeit gefragt. Als FeinkostmitarbeiterIn bekommt man rund 1.540 € und als Versicherungsberater rund 1.515 € brutto/Monat.
Exklusive Sportmode, luxuriöse Sportswear und Designer-Fashion darf man bei einem Bruttomonatslohn von 1.582 € verkaufen, als Kellner bekommt man rund 1.460 € brutto.
Komplett wird die Auswahl jedoch erst durch die angebotenen Stelle als Rezeptionistin in einem Luxus-Hotel (6 Tage Woche, „flexible“ Dienstzeiten), die einem 1.500 € brutto monatlich einbringen könnte. Für die MitarbeiterInnen-Unterkunft in dem Haus mit großem Namen müssen jedoch 90 € Betriebskosten beglichen werden. Das ist günstig, keine Frage.
Andernfalls, ohne MitarbeiterInnen-Unterkunft, müssten sich Interessenten eine andere Unterkunft in Kitzbühel und Umgebung suchen. Mit rund 1.200 € netto ist das ein fast aussichtsloses Unterfangen. Wer keine Wahl hat, hat auch keine Qual.
Gewerkschaft vida fordert Maßnahmen
„Der Qualitätstourismus ist das Markenzeichen Tirols und darf nicht verloren gehen!“, fordert der Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft vida, Philip Wohlgemuth in einer Stellungnahme vom Februar 2017. Die Probleme wären nach wie vor die gleichen: hohe Stressbelastung, ungünstige Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung. Das oft kolportierte Märchen einer Überbezahlung der Tiroler Tourismus-Beschäftigten basiere erfahrungsgemäß auf den geleisteten Überstunden. „Wenn tatsächlich alle weit über Kollektivvertrag zahlen – wie die Wirtschaft es stets behauptet – wird es ja kein Problem sein, unserer Forderung nach einer starken Erhöhung der KV-Mindestlöhne nachzukommen“, meint der vida-Landesgeschäftsführer.
„Unsere kritische Haltung gegenüber dem oft kolportierten Fachkräftemangel wurde durch eine veröffentlichte Studie des IHS bestätigt, die ergeben hat, dass die angeblichen Rekrutierungsprobleme in der Gastronomie auf die schwierigen Arbeitsbedingungen und das geringe Lohnniveau zurückzuführen sind“, so Wohlgemuth.
Eine gerechte Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen und Weiterbildungsmöglichkeiten seien einer der Schlüssel, um die Tourismusbranche wieder attraktiver zu gestalten und einen Branchenflucht zu verhindern. Dass die Attraktivität der Jobs im Tourismus jahrelang vernachlässigt werde, räche sich jetzt. Laut Umfragen würde jeder zweite Beschäftigte im Tourismus seinen Job nicht noch einmal ergreifen und im Vergleich mit anderen Berufsgruppen streben die Beschäftigten mehr als doppelt so oft einen Branchenwechsel an, heißt es. Lösungen sind gefragt.
Unterstützung von SPÖ Tirol
Auch die SPÖ sichert der Gewerkschaft vida volle Unterstützung zu. „Wer Vollzeit arbeitet, muss von dieser Arbeit auch leben können. Für viele Tirolerinnen und Tiroler sieht die Realität leider anders aus“, sagt SPÖ-Vorsitzende LA Elisabeth Blanik. „Von Seiten der SPÖ gibt es daher volle Unterstützung für die von der Gewerkschaft vida geforderten 1500 € brutto Mindestlohn in Kollektivverträgen. Schon mit 1500 € schrammt man an der Armutsgrenze. Insbesondere in Tirol mit den hohen Wohn- und Lebenshaltungskosten“, so Blanik.
Die Freude über die geringe Arbeitslosenzahl des Bezirkes Kitzbühel ist aus einem anderen Blickwinkel nur eine rein mathematische Freude...
Zum Thema:
Sozialbericht 2015/16
Arbeitsmarktdaten Jänner 2017
Gewerkschaft vida/Mindestlohn
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