Gewalttaten
Grazer Psychologe rät zu mehr statt weniger Aggression

- Unterdrückte Aggressionen können langfristig großen Schaden anrichten, erklärt Experte Philip Streit.
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Psychologe Philip Streit erklärt einen häufigen Denkfehler im Umgang mit unserer Aggression. Denn um Gewaltverbrechen vorzubeugen, sei es essenziell, so der Fachmann, das Emotionen nicht unterdrückt werden.
GRAZ/STEIERMARK. Die Medien sind voll mit Berichten über Gewalttaten – seien es Messerstechereien oder Drohungen. Seitens der Politik werden vielfach härtere Maßnahmen diskutiert, um konsequent durchzugreifen. Große Summen werden auch für Anti-Aggressionstrainings ausgegeben. Das kann den Eindruck erwecken, als würden sich Aggressionen abschaffen lassen.

- Dr. Philip Streit ist klinischer Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater.
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Aus Sicht der Biopsychologie ist jedoch klar: Die Veranlagung zur Aggression gehört zur phylogenetischen Ausstattung des Menschen. Wenn wir eine Bedrohung erleben, wird in uns die Tendenz zu Flucht, Kampf oder Erstarren aktiviert. Aggressiv werden wir etwa, wenn unsere Zugehörigkeit zur Gemeinschaft gefährdet ist und wenn wir das Gefühl haben, etwas, das uns wichtig ist, verteidigen zu müssen. Das ist unser biologisches Programm. Durch unsere Sozialisation lernen wir, Aggression angemessen zu verwenden und mit dieser sehr sinnvollen Disposition umzugehen.
Plädoyer gegen Anti-Agressionstraining
Unseren Aggressionen können wir im Alltag öfters begegnen, sei es im Straßenverkehr oder in einem Streitgespräch. Gerade in einer komplexen Welt voller Herausforderungen ist es wesentlich, einen guten Umgang damit zu finden. Das verlangt aber nicht nur Anti-Aggressionstrainings – also das Vermeiden von Aggression – sondern auch Pro-Aggressionstrainings, die zeigen, wie wir mit diesen Impulsen produktiv umgehen, ohne Schaden, Kränkungen oder Verletzungen zu verursachen.

- Persönliche Grenzen und Bedürfnisse sind wichtig, betont der Fachmann und gibt Tipps für einen produktiven Umgang mit Aggressionen.
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Denn destruktiv werden Aggressionen oft dann, wenn sie keinen gesunden Ausdruck finden. So sind Gefühle von Aggression per se weder gut noch schlecht, sondern Botschaften. Sie können wertvolle Informationen liefern und zeigen, was uns wichtig ist und wann unsere Grenzen überschritten werden. Dies konstruktiv zu kommunizieren, ist wesentlich für gelingende Beziehungen.
Aggressions-Tipps vom Psychologen
Hier ein paar Anregungen für ein pro-aggressives Verhalten:
- Wenn Sie einen herausfordernden Impuls in sich hochsteigen fühlen, halten Sie kurz inne, verzögern Sie Ihre Reaktion und atmen Sie bewusst durch. Das besänftigt Ihre biologische Alarmglocke.
- Erkennen Sie an: Ja, ich spüre gerade Aggression. Merken Sie, dass Sie dies beobachten können, ohne danach handeln zu müssen.
- Aggression setzt Energie frei. Wofür wollen Sie diese Energie nutzen? Finden Sie ein positives Ziel.
- Zählen Sie innerlich von 1 bis 10 und atmen Sie währenddessen langsam aus. Damit können Sie sich für adäquates Reagieren sammeln.
- Üben Sie immer wieder in herausfordernden Situationen klar und deutlich Ihre Meinung zu sagen.
- Üben Sie Ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen.
- Suchen Sie sich ein Vorbild – jemanden, der seine Aggression positiv für sein Ziel einsetzt.
- Üben Sie im Alltag in kleinen Situationen und bemerken Sie, was gelingt.
- Machen Sie nach Momenten von Aggression etwas Bewegung, auch wenn Sie müde sind. Ein paar Schritte an der Luft helfen, ihr System in Balance zu bringen.
Der Experte
Dr. Philip Streit ist klinischer Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Lebens- und Sozialberater. Seit 1994 leitet er das Institut für Kind, Jugend und Familie in Graz. Telefonnummer: 0316 77 43 44.
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