Hong Sangsoo Retrospektive
"Movie-Mönch" zu Besuch im Wiener Filmmuseum

Der südkoreanische Regisseur Hong Sangsoo auf Besuch im Wiener Filmmuseum. | Foto: Marta Cesar Gonzales
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  • Der südkoreanische Regisseur Hong Sangsoo auf Besuch im Wiener Filmmuseum.
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Abgedroschen, aber wahr: Der südkoreanische Regisseur Hong Sangsoo kam, sah und ließ sich im Österreichischen Filmmuseum wie ein echter Movie-Mönch nicht aus der Ruhe bringen. Ihm wird eine dreimonatige Retrospektive bis Ende Jänner 2023 im Filmmuseum gewidmet.

WIEN. Das Filmmuseum im Untergeschoss der Albertina im 1. Bezirk ist für seine besonderen Filmraritäten bekannt. Sie ist nicht nur ein Ort für KinoliebhaberInnen abseits des Mainstream-Filmgeschehens, Filmarchiv und Forschungsstätte, sondern auch eine Plattform des Austauschs.
Am 2. November wurde eine umfassende Retrospektive zum südkoreanischen Kultregisseur Hong Sangsoo eingeleutet. Dabei saß der Regisseur selbst in der ersten Reihe des Kinos, um sich gemeinsam mit den ZuseherInnen seinen allerersten Film Dajiga umue pajinnal (The Day a Pig Fell Into the Well) aus dem Jahr 1996 anzusehen und im Anschluss Fragen aus dem Publikum zu beantworten. 

Exzentriker der unauffälligen Art

Das nennt man wohl Aura. Wenn Hong Sangsoo mit kleinen, vorsichtigen Schritten den Kinosaal betritt, wuseln um ihn jede Menge Menschen herum. Er ist der Ruhepol des Geschehens und schreitet sofort in die erste Reihe, wo er sich mit Partnerin und Schauspielerin Kim Min-hee, gleich hinsetzt. Den Ehrenplatz weiter oben im Saal weist er leise zurück. Er wolle hier sitzen bleiben. 
Er ist ein Exzentriker der unauffälligen Art. Ohne es nach außen zu zeigen, ist er der Enfant terrible der zeitgenössischen südkoreanischen Filmkultur. Ein unbeugsamer "Movie-Mönch", der sich weder von gesellschaftlichen Zwängen noch von ökonomischem Druck ein Korsett anlegen lässt. Er macht einfach, was wer will. Einen Film nach dem anderen produziert er mit wenig Filmcrew – "die muss man ja alle zahlen" – und sagt trotzdem alles, was er sagen will. Ob das jemandem gefällt oder nicht, das ist ihm egal. 

Strenges Handyverbot

Im Saal herrscht einerseits eine aufgeregte Bewunderung, andererseits aber auch Anspannung. Man sieht den Film gemeinsam mit dem Regisseur aus einem weiten Land. In der Luft herrscht anfangs Anspannung. Dann auch noch das! Gestört wird die Filmvorführung durch einen Zwischenfall in den hinteren Reihen. Ein Handy ist die Ursache, die zwischen jungen ZuseherInnen und einem Mann mittleren Alters eine Auseinandersetzung entfacht. Letztere fühlt sich von dem leuchtenden Displays gestört. Das strenge Regiment des Filmmuseums schreitet ein und die jungen Leute müssen den Saal verlassen. Sangsoo zeigt keine Regung.

"If it feels okay, it is okay"

Im Anschluss dürfen die jungen Leute zum Gespräch wieder hineinkommen.
Sangsoo wird zu seinen Werken befragt, zu seiner Einstellung, zu dem, wie er die gebeutelte politische Geschichte des Landes sieht, wie er seine Filme dreht und woher er seine Ideen bekommt. "If it feels okay, it is okay", meint er zusammenfassend auf die meisten Fragen. Politik interessiert ihn aber nicht, denn Politik ist etwas, das kommt und geht. Leere Versprechungen. Er "spürt" Politik nicht. Und er dreht nur Filme über Dinge, die er spürt.

Ein rarer Moment

Leise antwortet er in das Mikrofon. So leise, dass die ZuseherInnen alle nach vorne beugen. Sie sehen aus, wie eine Menschenwelle, die bald über den zierlichen, dünnen Mann überschwappen wird. Sangsoo bleibt aber genauso leise wie anfangs und bemüht sich nicht, verständlicher zu werden. Anscheinend ist es ohnehin einer der raren Momente: Er ist nicht für seinen regen Austausch mit dem Publikum bekannt. Das Gespräch, das eigentlich kein Ende nehmen will, wird von der Organisation des Filmmuseums streng unterbunden. Der nächste Sangsoo-Film steht auf dem Programm und der Saal muss geräumt werden. Dass der Schöpfer des Filmes im Raum sitzt, ist dabei egal. Die ZuseherInnen stehen schon in einer große Traube in der Aula und müssen ihre Plätze einnehmen.

Keine Fotos

Im Anschluss verwehrt Sangsoo höflich die Anfragen von seinen Fans, mit ihm ein Foto zu schießen. Stattdessen nimmt er ein Säugling auf den Arm und bewundert ihn, als ob er nicht der Star des Abends wäre. Später steht er vor dem Eingang des Filmmuseums und raucht eine Zigarette, vor dem er plötzlich verschwindet.

Hong Sangsoos Karriere

Er wurde 1960 als Sohn einer Filmproduzentin geboren und studierte Film Seoul und den USA. Der südkoreanische Regisseur drehte 28 Filme und drei Kurzfilme in 26 Jahren. Dass seine Titel oft nichts mit dem Film zu tun haben, erklärt Sangsoo so: "Ich sehe sie als getrennte Dinge. Der Titel muss nichts über den Film aussagen. Er muss mir nur gefallen."
Pierre-Emmanuel Finzi schreibt im Heft des Filmmuseums Folgendes über den Stil des Regisseurs: "Sein Stil ist absolut unverwechselbar, seine Filmsprache folgt ihrer eigenen Grammatik: eine Geschichte, die sich ausgehend von einem Ereignis, über das wenig bis gar nichts bekannt ist, entfaltet... um Banalitäten entwirft er eine Choreografie des Alltags in all seinen Unwägbarkeiten."

Erster und (bisher) letzter Film Hong Sangsoos

Seine frühen Filme werden im November  Österreichischen Filmmuseum gezeigt, im Dezember und Jänner 2023 kommen seine späteren Werke. Der Unterschied zwischen seinem ersten Film und seinem letzen Film – So-seol-ga-ui Yeong-hwa (Die Schriftstellerin, ihr Film und ein glücklicher Zufall) –  sind dabei bemerkenswert. Während sein erstes Werk eine Art Liebes-Viereck Krimikomödie mit einem mehr oder minder nachvollziehbarem Erzählstrang ist, verschwindet das in seinem 2022 gedrehten Film vollkommen. Die ZuseherInnen werden von einer zwischenmenschlichen Situation in die nächste gespült, ohne jeglichen roten Faden zu erkennen. Begegnungen in einem Gebäude, auf der Straße oder in einem Café werden live mitgeschnitten. Jene, die zumindest einen Hauch Action mögen, sollten um diesen Film einen Bogen drum rum machen. Jene, die sich aber auf bildsprachliche Experimente in schwarz-weiß einlassen wollen, soll es ans Herz gelegt werden.

Weitere Infos zum Filmmuseum und seinem Programm finden Sie hier.

Der südkoreanische Regisseur Hong Sangsoo auf Besuch im Wiener Filmmuseum. | Foto: Marta Cesar Gonzales
Hong Sangsoo und Kim Min-hee beim Auftakt der Sangsoo-Retrospektive im FIlmmuseum | Foto: ÖFB/Eszter Kondor
Foto: Marta Cesar Gonzales
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Foto: ÖFB/Eszter Kondor

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