Gewalt gegen Frauen
Wie wird mit Hochrisikofällen umgegangen?
Beim kürzlich veranstalteten Euregio-Studienbesuch stand die Frage: "Wie können Frauen und Kinder, die dem Risiko schwerer Gewalt ausgesetzt sind, bestmöglich geschützt werden?" im Mittelpunkt. Um dem auf den Grund zu gehen, kamen ExpertInnen aus Tirol, Südtirol und dem Trentino zusammen und tauschten sich aus.
TIROL. Die ExpertInnen aus der Euregio stammen alle aus dem Bereich der geschlechtsspezifischen Gewalt. Beim Studienbesuch tauschte man sich vor allem zum Umgang mit Hochrisikofällen aus. Von Tiroler Seite wurde das Modell der „Sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz“ (S-FK) vorgestellt. Dieses Modell basiert auf dem Grundsatz, dass Schutz nie nur eine Einrichtung alleine bieten kann. So setzen sich bei den S-FK Behörden und Einrichtungen an einen Tisch, um in enger Zusammenarbeit eine koordinierte Sicherheitsplanung zu erstellen.
Es braucht ein umfassendes und gut vernetztes Hilfs- und Unterstützungsangebot
Laut LRin Pawlata ist jede fünfte Frau der Europäischen Union für Grundrechte von körperlicher und/oder sexueller Gewalt betroffen. Um dies zu verhindern und um die Frauen und Kinder zu schützen, brauche es ein umfassendes und vor allem gut vernetztes Hilfs- und Unterstützungsangebot.
"Tirol hat mit der ‚Sicherheitspolizeilichen Fallkonferenz‘ ein Instrument geschaffen, das bereits erfolgreich im Einsatz ist und möglicherweise künftig auch südlich des Brenners in ähnlicher Form angewandt werden kann“,
betont LRin Pawlata.
„Das Trentino hat sich für einen möglichst differenzierten Zugang zu den Dienstleistungen entschieden. Dabei bauen wir auf die Zusammenarbeit mit den Vereinen, die geschützte Frauenhäuser führen, aber auch auf wirtschaftliche Hilfen, um die Selbständigkeit der Frauen bei der Arbeit und im Leben zu fördern. Gewalttätigem Verhalten versuchen wir vorzubeugen, indem wir spezielle Dienste für männliche Gewalttäter bereitstellen",
sagt LRin Segnana.
LRin Deeg aus Südtirol dazu:
„In Südtirol arbeiten wir derzeit im Sinne unseres Landesgesetzes zur Gewaltprävention an einer Verstärkung der Maßnahmen im Bereich der Prävention, gleichzeitig werden die Unterstützungs- und Hilfsnetzwerke für Gewaltopfer gefestigt und ausgebaut. Der Blick über die Grenzen hilft, uns über neue und ergänzende Modelle auszutauschen, Synergien zu nutzen und unser Angebot zu erweitern.“
Tirols Best-Practice-Beispiel
Tirol stellte als sein Best-Practice-Beispiel die "Sicherheitspolizeiliche Fallkonferenz" vor. Dies geschah anhand von Vorträgen von Michaela Kutschera von der Landespolizeidirektion (LPD) Tirol, Andrea Laske vom Gewaltschutzzentrum Tirol und Hannah Ringhofer vom Frauenhaus Tirol.
Die S-FK ermöglicht den Informations- und Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden und relevanten SystempartnerInnen – wie dem Gewaltschutzzentrum Tirol oder dem Frauenhaus Tirol. So können bei Hochrisikofällen, die besondere Schutzmaßnahmen erfordern, gemeinsam Lösungsmöglichkeiten koordiniert und entwickelt werden.
Als Ansprechstelle für die Behörden und Einrichtungen sowie zur Unterstützung der jeweiligen Sicherheitsbehörde bei der Durchführung der S-FK gibt es das „S-FK Team Tirol“. Es bündelt die Erfahrungen der Fallkonferenzen und stellt zugleich die Verbindungsstelle zur Fachabteilung im Bundesministerium für Inneres dar.
Wie wird mit einem Hochrisikofall umgegangen?
- Besteht die Annahme, dass eine Person einem Gewaltangriff ausgesetzt ist, wird in Tirol zunächst seitens der Polizei ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen. Das Annäherungsverbot schreibt dem Gefährder vor, dass ein Abstand zur betroffenen Person von mindestens 100 Metern einzuhalten ist. Das Betretungsverbot bedeutet, dass auch für die Schutzwohnung ein Abstand im Umkreis von 100 Metern einzuhalten ist. Das Betretungs- und Annäherungsverbot gilt zwei Wochen.
- Die Sicherheitsbehörde überprüft das von der Polizei angeordnete Betretungs- und Annäherungsverbot innerhalb von drei Tagen nach der Anordnung. Sie kann es bestätigen oder aufheben. Bestätigt die Sicherheitsbehörde das Betretungs- und Annäherungsverbot, wird dem Gefährder auch der Besuch einer verpflichtenden Gewaltpräventionsberatung (im Ausmaß von sechs Stunden) vorgeschrieben.
- Die Polizei meldet die Betretungs- und Annäherungsverbote dem Gewaltschutzzentrum Tirol. Dieses nimmt mit den Betroffenen proaktiv Kontakt auf. Auf freiwilliger Basis wird dann, je nach Lebenssituation, Bedürfnissen und Wünschen der Klientinnen (und Klienten) das weitere Vorgehen geplant. Dazu zählt einen individuellen Sicherheitsplan zu erstellen und die Gefährlichkeit einzuschätzen. Für die Gefährlichkeitseinschätzung wird neben einem standardisierten Fragebogen die Einschätzung der KlientInnen und der professionellen MitarbeiterInnen herangezogen.
- Liegt aus Sicht des Gewaltschutzzentrums ein Hochrisikofall vor, so kann die betroffene Frau etwa ins Frauenhaus Tirol weitervermittelt werden. Dieses garantiert aufgrund der räumlichen Gegebenheiten besonderen Schutz – so ist zum Beispiel der Standort geheim, die Einrichtung videoüberwacht und durchgängig besetzt. Darüber hinaus kann das Frauenhaus eine verstärkte polizeiliche Präsenz anfragen, Auskunftssperren mit diversen Behörden und Einrichtungen abstimmen oder auch – über den Dachverband der Autonomen österreichischen Frauenhäuser – einen Bundeslandwechsel organisieren.
- Sind für die Schutzmaßnahmen besondere Abstimmungen zwischen den einzelnen Institutionen notwendig, wird eine „Sicherheitspolizeiliche Fallkonferenz“ einberufen. Diese leitet die jeweilige Sicherheitsbehörde. Anregen können die S-FK neben dem Gewaltschutzzentrum Tirol und dem Frauenhaus Tirol auch andere involvierte Behörden und Einrichtungen wie Notunterkünfte, das Gericht, die Kinder- und Jugendhilfe, Schulen und Kindergärten oder auch Privatpersonen. Je nach Sachverhalt werden zur S-FK dann relevante Institutionen zum Schutz vor Gewalt und der Betreuung von Gefährder und Klientin eingeladen – beispielsweise Opferschutzeinrichtungen, Einrichtungen für opferschutzorientierte Täterarbeit, Beratungsstellen für Gewaltprävention oder für Bewährungshilfe, Frauenhäuser, Männerberatung sowie VertreterInnen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen. Sie stimmen bei den S-FK die bisher gesetzten Maßnahmen aufeinander ab und entwickeln gemeinsam neue Schutzmaßnahmen und Lösungsoptionen. Die Sicherheitsbehörde stellt sicher, dass die erarbeiteten Maßnahmen eingehalten werden und beobachtet den Fall gegebenenfalls weiter.
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