Regierungsklausur
Tiroler Positionspapier an künftige Bundesregierung
Das Bundesland Tirol erhebt den Anspruch, im europäischen Regionenwettbewerb sowie im österreichischen Vergleich der Bundesländer eine führende Rolle einzunehmen. Mit diesen Worten beginnt die Tirol-Erklärung, die von der Tiroler Landesregierung während ihrer Herbstklausur erarbeitet wurde. Positionen wurden auch zur künftigen Bundesregierung bezogen.
INNSBRUCK. Das elfseitige Positionspapier soll einen Ausblick auf die Zeit nach der Nationalratswahl bieten. Unter der Leitung von LH Anton Mattle und LHStv. Georg Dornauer richtet die Tiroler Landesregierung konkrete Forderungen und Themen an die zukünftige Bundesregierung sowie an die im Nationalrat vertretenen Parteien. Diese betreffen zentrale Anliegen des Bundeslandes Tirol, die im nächsten Regierungsprogramm unbedingt berücksichtigt werden sollten.
Lösungen am Verhandlungstisch
Tirol fordert konkret, von der konfliktgeladenen und polarisierenden politischen Kultur auf Bundesebene Abstand zu nehmen und stattdessen am Verhandlungstisch Lösungen im Sinne der Bevölkerung zu finden. „Tirol kann in vielen Bereichen ein Vorbild sein. Am 29. September entscheidet die Bevölkerung über die Zusammensetzung des Nationalrates und damit über die politischen Verhältnisse in Österreich. Wir lehnen extreme Tendenzen, politische Randpositionen und die derzeit auf Bundesebene vorherrschende Polarisierung entschieden ab. Wie in Tirol sollte auch auf Bundesebene nicht öffentlichkeitswirksam um Standpunkte gestritten werden, sondern es sollten inhaltlich die besten Ideen erarbeitet werden. Lösungen müssen auch in Wien wieder durch Verhandlungen erzielt werden. Die unterschiedlichen Positionen der Parteien sollten akzeptiert, aber Gräben überwunden werden“, appelliert Landeshauptmann Mattle an alle Parteien. Er verweist dabei auf die stabilen politischen Verhältnisse in Tirol, die gute und konstruktive Zusammenarbeit der gemäßigten politischen Kräfte und eine stabile Koalition auf Augenhöhe.
„Regierungsarbeit ist dann erfolgreich, wenn das Wohl der Bevölkerung im Fokus steht und ein pragmatischer Ansatz verfolgt wird. Prinzipien und Überzeugungen prägen politische Parteien, doch Kompromisse und gegenseitiges Entgegenkommen sind die Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Regierungsarbeit. In unserem Tiroler Regierungsprogramm haben wir uns zu Stabilität, Sicherheit, sozialem Frieden und der Bereitschaft bekannt, innovative Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln. Diese Grundsätze sollten auch die Arbeit der zukünftigen Bundesregierung prägen, um gemeinsame Ziele voranzubringen“, betont Landeshauptmann-Stellvertreter Dornauer und verweist auf den Weg, den Tirol bereits eingeschlagen hat.
Die Mitglieder der Tiroler Landesregierung fordern dabei ein starkes politisches und gesellschaftliches Bekenntnis zu den demokratischen Grundwerten unter Rücksichtnahme von Menschen- und Minderheitenrechten. Dazu zählt auch die Akzeptanz von Mehrheitsverhältnissen und Entscheidungen, die in demokratischen Prozessen mehrheitlich getroffen werden. „Alle politischen Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträger sind gefordert, die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen, die demokratisch zustande kommen, zu fördern“, appellieren LH Mattle und LHStv Dornauer gemeinsam.
Tiroler Interessen sollen gesichert sein
Unabhängig von den parteipolitischen Grenzen der demokratisch-konstruktiven Kräften ist es der Anspruch der Tiroler Landesregierung, dass der künftigen Bundesregierung mindestens eine fachlich qualifizierte Vertretung aus Tirol angehört, um einen inhaltlichen Beitrag für die Regierungsarbeit zu leisten und dabei auch stets die regionalen Gegebenheiten, Herausforderungen und Chancen des Bundeslandes Tirol im Blick zu haben. Inhaltlich will sich Tirol immer dann zu Wort melden, wenn es für die Interessen des Bundeslandes notwendig und für die Entwicklung Österreichs dienlich ist.
„Wir sind entschlossen, uns in Zusammenarbeit mit der künftigen Bundesregierung den Herausforderungen der Zeit zu stellen und die Zukunftschancen zu nützen. Dabei ist die Hand allen konstruktiven politischen Kräften, die den verlässlichen Fortschritt Tirols unterstützen, ausgestreckt“, bleiben LH Mattle und LHStv Dornauer gesprächsbereit und fordern: „Reden wir über Inhalte, nicht über persönliche Befindlichkeiten. Fokussieren wir uns auf das Verbindende, nicht auf das Trennende. Arbeiten wir zusammen, anstatt zu streiten.“
Positionen
- So erwartet sich die Tiroler Landesregierung in einem eigenen Tiroler Transitkapitelin einem künftigen Bundesregierungsprogramm volle Unterstützung für die Tiroler Bevölkerung im Kampf gegen den Transit und ein damit verbundenes Bekenntnis zu den bestehenden Anti-Transitmaßnahmen, die Unterstützung des intelligenten Verkehrsmanagementsystems (Slot-System) und Maßnahmen für die Harmonisierung der Schiene.
- Im Bereich der Energiewendemuss die künftige Bundesregierung das Wasserkraftpotential Tirols anerkennen, Technologieoffenheit in alle Richtungen beweisen und regionale Ausbaupläne unterstützen. Im Sinne des Föderalismus fordert die Tiroler Landesregierung, dass in den Gremien der Finanzmarktaufsicht (FMA) – insbesondere im Finanzmarktstabilitätsgremium –, künftig auch die Länder vertreten sind. Mit einem „Dritten Weg zum jungen Eigentum“ soll ein neues Modell zur Finanzierung der eigenen vier Wände geschaffen werden.
- Im Bereich der dualen Ausbildung soll ein Diplom für den Lehrberuf ohne Meisterausbildung eingeführt werden, um den Wunsch von Lehrlingen nach Weiterentwicklung, Fortbildung und Höherqualifizierung zu erfüllen.
- Die Tiroler Landesregierung fordert die Befreiung von der Kapitalertragssteuer (KESt) beim ersten Sparbuch in der Kindheit und Jugend, sowie die Umsetzung der EU-Lohntransparenzrichtlinie.
- Ein besonderes Augenmerk müsse der Wettbewerbsfähigkeitdes Standortes Europa geschenkt werden. Im Bereich des Tourismus soll eine föderale Ausgestaltung bei der Verteilung der Saisonnier-Kontingente vorangetrieben werden. Ein Bekenntnis gibt es für die sogenannten „Einheimischentarife“: Die künftige Bundesregierung sei gefordert, diese zu erhalten sowie auf europäischer und nationaler Ebene rechtlich abzusichern.
- In der Südtirol-Frage erinnert die Tiroler Landesregierung auch die künftige Bundesregierung an ihre Verantwortung, in ihrem Handeln und Tun auch die Interessen der SüdtirolerInnen zu berücksichtigen und die Regionen bei ihrer Entwicklung positiv zu unterstützen.
- Die Tiroler Landesregierung appelliert zudem an alle VerantwortungsträgerInnen, ein Bekenntnis zu einem gemeinsamen Europa abzugeben und Tirol bei seinen pro-europäischen Bestrebungen zu unterstützen.
Angebot an die künftige österreichische Bundesregierung
Die Tiroler Landesregierung zeigt sich entschlossen, sich in Zusammenarbeit mit der künftigen Bundesregierung den Herausforderungen der Zeit zu stellen und die Zukunftschancen zu nützen. „Die Hand ist in Richtung aller konstruktiver politischer Kräfte, die den verlässlichen Fortschritt Tirols unterstützen, ausgestreckt. Tirol kann in vielen Bereichen, wie der Quantenphysik, dem starken Arbeitsmarkt mit der österreichweit mitunter geringsten Arbeitslosigkeit oder der quantitativen und vor allem qualitativen Kraft des Tourismus auf Spitzenleistungen verweisen. Das Bundesland Tirol ist der letzte verbliebende Penicillin-Produktionsstandort in ganz Europa“, sieht LH Mattle Tirol gut aufgestellt. „Auch bei den Sanierungsförderungen im Wohnbau, dem einzigartigen Recht auf Vermittlung eines Kinderbildung- und Kinderbetreuungsplatzes oder der geringsten Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer nimmt Tirol eine Vorreiterrolle ein. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und insbesondere der dringend notwendigen Speicherkapazitäten im Bereich der Wasserkraft, der überdurchschnittlich hohen Bereitschaft in der Gesellschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, oder dem Willen, eine echte Verkehrswende einzuleiten, bietet Tirol noch enormes Potential“, unterstreicht LHStv Dornauer.
Die Tiroler Landesregierung ist bereit, Verantwortung zu übernehmen und von Tirol aus positive Entwicklungen und Verbesserungen anzustoßen. In Tirol bietet sich deshalb der künftigen Bundesregierung als verlässlicher Partner, Vorreiter und/oder Pilotregion in folgenden Bereichen an:
- Pilotregion im Schienenverkehr: Tirol kann gemeinsam mit seinen Nachbarn beweisen, dass der Schienenverkehr ohne nationalstaatliche und bürokratische Hürden viel effizienter funktioniert.
- Stromspeicher Europas: Tirol kann wichtige Speicherkapazitäten schaffen und bei einem Blackout mit schwarzstartfähigen Kraftwerken das europäische Stromnetz wieder hochfahren.
- Recht auf Kinderbildung: Tirol kann mit dem Ausbau des Rechts auf Kinderbildung und Kinderbetreuung wichtige Erfahrungen sammeln und als Best-Practice zur Verfügung stehen.
- Tourismuspionierregion: Tirol ist bereit, das tourismuspolitische und -wissenschaftliche Know-how zu bündeln und weiterhin eine führende Rolle bei der Tourismuspolitik in Österreich einzunehmen.
- Pflegelehre: Tirol will die Pilotphase der Pflegelehre fortführen und dauerhaft anbieten.
- MINT-Bundesland: Tirol arbeitet daran, flächendeckende MINT-Bildungsregionen umzusetzen.
- Pilotregion für pädagogische Assistenz: Tirol steht zur Verfügung, um gemeinsam mit dem Bund das Berufsbild „Pädagogische Assistenz“ als Pilotregion im Regelschulbetrieb zu implementieren und die Gemeinden damit zu entlasten.
- Land der Ehrenamtlichen: Tirol kann gemeinsam mit dem Bund die Einführung einer Sammel-Haftpflichtversicherung für ehrenamtliche VerantwortungsträgerInnen vorantreiben.
- Geschützt und versichert: Tirol kann mit Unterstützung des Bundes die Umsetzung einer Katastrophenschutzversicherung sowie ein umfassendes Public-Warning-System einführen.
- Flüchtlingskoordination: Tirol bietet geflüchteten Menschen Schutz und hat Strukturen geschaffen, um jene Schritte, die für eine gelingende und bedarfsorientierte Integration notwendig sind, einzufordern.
- Konsequente Arbeitsintegration: Die Tiroler Landesregierung ist bereit, gemeinsam mit dem Bund eine Testphase – aufbauend auf dem Tiroler Integrationskompass und auf der österreichweit einzigartigen Onboarding-Stelle – die konsequente Integration von AsylwerberInnen und Asylberechtigten in gemeinnützige Tätigkeiten bzw. in den Arbeitsmarkt voranzutreiben.
- Alpine Lunge: Tirol will gemeinsam mit dem Bund einen Schwerpunkt auf die Sicherstellung des Schutzwaldes und die Umrüstung auf klimafitte Bergwälder legen.
- Schwerpunkt Tierwohl: Tirol bietet sich insbesondere an, die Umsetzung als VET-Med-Standort gemeinsam mit dem Bund weiterzuverfolgen.
- Land der Lehrlinge: Tirol bekennt sich klar zur dualen Ausbildung und unterstützt alle Bestrebungen, die den Lehrberuf attraktiver machen.
- Gesundheitswirtschaft: Tirol soll im Bereich von Life-Sciences ein Hotspot für Biotechnologie, Pharmazie, Medizintechnik und Medizininformatik bleiben und werden.
Große Koalition
Man habe bereits in der Vergangenheit ein "ganz klares Signal" in die entsprechende Richtung gegeben, sagte Mattle eine mögliche "Große Koalition" von der APA angesprochen. Das habe man etwa im vergangenen Dezember bei einer gemeinsamen Regierungskonferenz mit der Kärntner Landesregierung - ebenfalls aus SPÖ und ÖVP gebildet - verdeutlicht. "Wir erwarten uns ein sehr gutes Ergebnis bei der Nationalratswahl", sagte Mattle auf ÖVP wie auf SPÖ bezogen, damit ausgestattet werde man dann bei der Regierungsbildung "Verantwortung übernehmen". Man habe in den vergangenen zwei Jahren in Tirol "unaufgeregt" und erfolgreich zusammengearbeitet, betonte der SPÖ-Landesparteivorsitzende. Die Parteien der "pragmatischen, vernünftigen Mitte" müssten sich zusammenfinden, ein dementsprechendes "Zweierbündnis" wäre "nicht nur begrüßens- und wünschenswert, sondern auch gut für die Republik". Man habe das Funktionieren bereits jedenfalls in Tirol als "Avantgarde" bewiesen. Auf mögliche Stolpersteine auf dem Weg zu einer solchen Konstellation angesprochen, nannte Mattle etwa eine von der SPÖ geforderte 32-Stunden-Woche als Beispiel. Auf die bisherige Absage einer Koalition mit FPÖ-Bundesparteichef Herbert Kickl durch Mattle angesprochen, meinte Dornauer, er teile "grundsätzlich" diese Position: "Ich möchte aber den derzeitigen FPÖ-Bundesparteiobmann nicht derart gewichten, wie es manche Medien tun". Er habe indes nicht nur mit Kickl, sondern auch mit Personen aus der "ersten und zweiten Reihe" der FPÖ ein Problem. Es handle sich dabei teilweise um "Misanthropen" und "missgünstige Menschen", die es "nicht gut meinen mit unserer Politik". Weil mit diesen "kein Staat zu machen" sei, präferiere er ganz klar das angesprochene Zweierbündnis aus Sozialdemokratie und Volkspartei.
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