Kräutermärchen
MELDE. Märchen und Geschichten für Erwachsene, Kinder und Kind gebliebene - Teil 142
Überall stolpere ich derzeit über die Melde, die wir bei uns in Oberösterreich auch "Moinstaudn" nennen. Ihr lateinischer Namen ist Atriplex hortensis, auf Englisch nennt man sie Orache. Sie gilt als lästiges Unkraut, wurde aber schon in der Antike als wichtiges Küchenkraut genutzt. Bei uns stand sie bis ins späte Mittelalter auf dem Speiseplan - bis sie vom Spinat, der von den Mauren nach Spanien gebracht wurde und von dort seinen Weg über ganz Europa fand - verdrängt wurde. Als Heilkraut soll sie zur Behandlung von Verbrennungen genutzt worden sein, außerdem soll sie Bestandteil einer Brühe gewesen sein, die bei Blähungen gegeben wurde. Melde wirkt auch Harntreibend. Nachdem ich heute früh, als ich für mein Pflanzenportrait recherchierte, auf Wikipedia las: "Der Trivialname Melde (ahd. melda, mhd. melde) ist vom „bemehlten“ Aussehen der behaarten Pflanzen abgeleitet", ist mir das folgende Märchen eingefallen. Viel Spaß beim Lesen!
In Gottes geheimen Garten gab es viele Pflanzen und Blumen. Sie alle hatten dort ein ruhiges Umfeld um zu wachsen und ihre eigenen ganze besonderen Eigenschaften und Heilkräfte zu entdecken und sich zu entwickeln. Es war ein wunderschönes Plätzchen wo immer reges Treiben herrschte. Bienen flogen hurtig von Blüte zu Blüte, Schmetterlinge in den buntesten Farben tummelten sich im Blütenmeer und allgemein herrschte ein lustiges Summen und Brummen, dass einem das Herz aufgehen musste. So prachtvoll durfte sich die Natur hier entfalte! Die Pflanzen kommunizierten miteinander. Das hörte sich oft an, wie bei einem Radiosender. „Hallo, hier meldet sich die Melde!“ Kam beispielsweise häufig der „Jingle“ der Gartenmelde. Sie war über die Maßen gesprächig und liebte es, sich sprechen zu hören – auch wenn sie den anderen Pflanzen mit ihren Sagern doch etwas auf die Nerven ging. „Leider sind wir Pflanzen nicht zum Reden geschaffen worden!“ stellte sie eines Tagest trocken fest. „Wie ich finde wäre genau das mein größtes Talent!“ „Grrrrr“ grummlten die anderen Pflanzen. Die meisten von ihnen hatten längst erkannt, dass man still werden muss und in sich hineinhören, wenn man seine Heileigenschaften erkennen und ausbilden wollte. Wenn man dann noch die Natur und Tiere rund herum beobachtet, sollte man schnell im Bilde sein. Aber so war sie nun einmal, die liebe Melde. Manche brauchen eben etwas länger!
„Vielleicht helfe ich ja auch gegen 33 und 3 Krankheiten wie der Heilziest?“ stellte die Melde eine Frage in den Raum. Aber Krankheiten waren ihr eher zuwider. „Oder vielleicht bin ich auch so ein Virenkiller wie der Wacholder?! Na ja… aber verräuchern lassen will ich mich eigentlich nicht! Dafür sind meine Blätter viiiieeeeel zu schön – grün und saftig!“ So plapperte die Melde… tagein… tagaus… und war dabei so laut, dass sie jedes Stimmchen, das sich irgendwann in ihrem Innern meldete, lauthals übertönte.
„Nein, so wird das nichts!“ schüttelte der Liebe Gott traurig den Kopf. „So findet die Melde in hundert Jahren ihre Bestimmung nicht!
„Ich werde sie an einen Ort übersiedeln, wo es deutlich ruhiger ist. Ja ich denke, der Küchengarten von Petrus Haushälterin wäre ein guter Platz für sie. Dort ist es ruhig! Ein angemessenes Klima um sich auf grundlegendes zu besinnen!“, befand der Schöpfer.
So stand nun die Melde an einem neuen Ort, darbte dahin und langweilte sich. Doch selbst hier suchte sie noch im Außen ihr Glück.
Ein Geschoß höher war Petronella, die gütige runde Haushälterin vom Pfortenwächter Petrus, gerade beim Krapfen herausbacken. Die Ärmel hatte sie hochgekrempelt und die runden roten backen glänzten vor Anstrengung und Vorfreude auf die leckere Speise.
Den großen Mehlsack hatte sie auf die Anrichte neben das Fenster gestellt, um alles griffbereit zu haben. Krapfen ausziehen war schließlich eine heikle Angelegenheit. Dabei sang, pfiff und knetete sie nach Herzenslust. Bis… schwups… der große Mehlsack einen ungewollten Stoß bekam, kippte und aus dem Fenster stürzte, sodass sich ein Teil seines Inhalts über den Küchengarten ergoss.
Schnell eilte sie nach unten um das restliche Mehl einzusammeln und die Pflanzen die es erwischt hatte, zu retten. Gott sei Dank war nur eine Pflanze betroffen. Ganz geknickt war es die Melde, die völlig vom weißen Mehlstaub bedeckt war. Die gute Petronella Pustete und Pustete, um das arme Kräutlein vom Mehlstaub zu befreien. Aber ganz wollte ihr das nicht gelingen. So sehr sie sich auch bemühte, es blieb ein silbrig weißer mehliger Glanz auf den Blättern zurück. Da hatte sie plötzlich eine Eingebung. „Dich nehm‘ ich gleich mit – ganz so wie du bist! So wie du aussiehst, steckst du voller Vitamine und passt wunderbar auf unseren Speiseplan. Ich mach gleich eine Einbrenn. Gekocht und zerkleinert müssen deine Blätter wunderbar darin schmecken!
Der Melde grauste es bei den Worten der guten Haushälterin. Nein, als plumpes Küchengemüse wollte sie auf keinen Fall enden. Schnell schleuderte sie ein paar Samen, so kräftig sie konnte, auf die Erde hinunter, die auch tatsächlich irgendwo in Vorderasien aufkamen.
„Dann lass ich dich mal gewähren, du Rabenbratl“, schmunzelte der Liebe Gott, der natürlich alles mitbekam. „Seiner Bestimmung kann man nicht entrinnen, aber das musst du wohl selbst herausfinden!“
Doch auch unten auf der Erde wurde die Melde bald als wertvolles Küchengemüse erkannt. Egal wohin sie sich auch verbreitete – sie breitete sich in der Antike im Mittelmeerraum aus. Die römischen Soldaten brachten sie nach ganz Europa. Die Melde war und blieb ein beliebtes Küchengemüse, deren mehlig-silbrige grüne Blätter voller wertvoller Vitamine und Mineralstoffe steckten. Allerdings blieb sie in den Küchengärten. Sie mockte nämlich noch immer wegen ihrer „billigen“ Verwendung als Gemüse und ließ, sobald man sie am Markt verkaufen wollte. Schnell ihr Köpfchen ganz welk hängen. Eine öffentliche zur Schau Stellung als Gemüse ertrug sie einfach nicht.
„Lieber Gott!“ flehte die Melde eines Tages im späten Mittelalter, als die Mauren Spanien eroberten und mit sich den Spinat in unsere Breiten gebracht hatten. „Ich will nicht mehr auf dem Küchentisch landen! Lass die Schmach für mich endlich ein Ende haben!“ Der Herrgott schüttelte den Kopf, hatte aber Mitleid mit dem Pflänzchen, dessen Dickkopf ihm ans Herz gewachsen war. Und so verschwand die Melde nach und nach vom Speiseplan der Menschen. Still und heimlich, wie es eigentlich gar nicht ihre Art war, überließ sie ihren Platz dem Spinat, der sich – im Gegensatz zur Melde – pudelwohl in seiner Eigenschaft als Gemüsepflanze fühlte.
Und so wuchert die Melde bis zum heutigen Tag, wild und frei in Feldern, Wiesen, Wäldern, auf Schuttplätzen, Straßenrändern und sogar in Gemüsebeeten, wo sie sich ein jedes Mal wieder ins Fäustchen lacht, weil ihre wertvollen Eigenschaften nicht erkannt werden. Aber wer weiß, vielleicht ändert sich das ja doch noch einmal. Denn im Internet sind mittlerweile schon leckere Rezepte mit Melde zu finden. Tja… Vielleicht schafft es die Melde auf diese Art doch noch, ihrem kommunikativen Faible zu frönen… .
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.