Tägliche Bewegungseinheit
Steirisches Gesamt-Konzept soll Schule machen
Fangen, Werfen, Springen sollten wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu den Grundfähigkeiten jedes Menschen zählen. Tut es aber vielfach nicht. Der ASVÖ Steiermark hat daher in Kooperation mit dem Nachwuchsleistungssportzentrum die Vermittlung der Basis-Bewegungskompetenzen in ein Konzept gegossen, das wiederum als eine Art "Lehrplan" für die Tägliche Bewegungseinheit dienen soll.
STEIERMARK. Bewegung ist Leben – an sich eine wissenschaftlich millionenfach untermauerte Tatsache, die dennoch da oder dort noch mehr Nachdrucks bedarf. Ein Schritt in diese Richtung setzt unter anderem die Sport- und Bewegungsstrategie des Landes, die kürzlich beschlossen wurde. Einer der darin genannten Punkte ist die Forcierung der Täglichen Bewegungseinheit (TBE) für Kinder.
Diese wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Allgemeinen Sportverband Österreich (ASVÖ) und dem Nachwuchsleistungssportzentrum (NLZ) Steiermark in einem einheitlichen Konzept strukturiert in Form gebracht, quasi ein Lehrplan zur Vermittlung der Basis-Bewegungskompetenzen. MeinBezirk hat sich mit den beiden Koordinatoren des Konzepts Lisa Drugowitsch vom ASVÖ und Christoph Peischler vom NLZ über die Hintergründe unterhalten.
Wie ist es zu dem Konzept der Bewegungskompetenzen gekommen? Was steckt dahinter?
Lisa Drugowitsch: Ausgangspunkt war sicher die vom Bund angestoßene Tägliche Bewegungseinheit, die ein Ergebnis der Pandemie war. Basierend darauf hat sich aus Gesprächen zwischen den Sportdachverbänden einerseits und Ernst Köppel vom Nachwuchssportleistungszentrum (NLZ) andererseits die Idee dieses Konzepts ergeben, das Manuela Fally als ASVÖ Steiermark-Geschäftsführerin gemeinsam mit dem NLZ schließlich in die Umsetzung brachte. Es soll sicherstellen, dass am Ende der Volksschulzeit jedes Kind die für ein bewegtes und gesundes Leben notwendigen Bewegungskompetenzen erworben hat.
Wie kann man sich das genau vorstellen?
Lisa Drugowitsch: Im Prinzip ist das Konzept für die Tägliche Bewegungseinheit so etwas wie ein Lehrplan für die einzelnen Bewegungskompetenzen. Die Trainerinnen und Trainer, besser gesagt die Bewegungscoaches, nehmen sich aus dem Konzept das heraus, was für diesen Tag, die räumlichen Gegebenheiten usw. gerade passt. Wichtig ist, dass am Ende des Jahres, mehr oder weniger alles abgedeckt ist und die Ziele erreicht werden.
Warum ist es so wichtig, dass diese Grundkompetenzen erlernt werden?
Christoph Peischler: Zum einen gewinnen sie dadurch an Selbstvertrauen und können herausfinden, in welche Richtung – sportlich gesehen – sie vielleicht eher tendieren. Zum anderen muss gesagt werden, dass es im Leistungs- und Spitzensport niemanden gibt, der oder die nicht polysportiv aufgestellt ist. Das heißt mit anderen Worten, um in einer Disziplin gut sein zu können, sollte man dennoch die Basiskompetenzen in anderen Disziplinen mitbringen. Gute Sportler üben nie nur eine Sportart aus.
Von all diesen Dingen ganz abgesehen kommt dann auch noch der Vorteil dazu, dass Bewegung und Sport bekanntlich die Konzentrationsfähigkeit, Lernfähigkeit und somit auch die schulischen Leistungen steigern.
Lisa Drugowitsch: ... und letztlich leistet Bewegung einen enormen Beitrag zur Steigerung der Lebensqualität und zur Verlängerung der gesunden Lebensjahre.
Soweit der theoretische Rahmen, aber was sind nun diese Bewegungskompetenzen?
Christoph Peischler: Das sind Gehen und Laufen, Springen und Hüpfen, Werfen und Fangen, Ausdauer und Balance. Diese Fähigkeiten werden genauso wie im Schulunterricht das Lesen und Schreiben auch sukzessive auf- und ausgebaut.
Das klingt banal...
Lisa Drugowitsch: Ja, ist es aber leider nicht. Unsere Arbeit zeigt uns, dass dies leider bei Weitem nicht alle Kinder beherrschen. Es gibt immer wieder schöne und erfüllende Erlebnisse, die uns bestätigen, wie, wenn ein Kind sich zunächst nicht traut, auf der Langbank zu balancieren und das dann aber nach wenigen Einheiten stolz und selbstbewusst schafft.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Defizite?
Christoph Peischler: Was auffällt, ist, dass generell ein Wandel in der Bevölkerung stattfindet. Die Leistungen in sportlichen Bereichen sind in den vergangenen Jahrzehnten allgemein abgefallen, sprich, wie schnell kann jemand laufen, wie weit und gut springen. Und auch hier spielt eben wieder die sportliche Allgemeinbildung sozusagen hinein. Wir sehen einfach, dass sich die Kinder und Jugendlichen schon viel zu früh auf eine einzige Sportart spezialisieren. Da gibt es 8-Jährige, die schon im Skills Lab stehen.
Die Frage für alle Eltern: Ab wann wäre eine Spezialisierung sinnvoll?
Christoph Peischler: Das hängt natürlich auch von der Sportart ab, aber internationalen Studien zufolge ist es empfehlenswert, bis zum 10. oder 11. Lebensjahr mindestens zwei Sportarten auszuüben und sich gegebenenfalls erst dann auf nur mehr eine konzentrieren. Wobei nochmals: Kein Spitzensportler übt nur eine Disziplin aus. Und die Frage ist auch – falls man in Richtung Leistungssport denkt – haltet man es in nur einer Sportart so lange aus, verbrennt man nicht vorher, wenn man zu früh startet.
Zurück zu den Bewegungscoaches und der Täglichen Bewegungseinheit. Wer ist in der Steiermark schon an Bord und wie soll es weitergehen?
Lisa Drugowitsch: Die Volksschule Lebring-St.Margarethen im Bezirk Leibnitz war eine der ersten Pilotschulen. Hier läuft das Konzept höchst erfolgreich. Zu unterscheiden ist zunächst einmal zwischen der fixen Täglichen Bewegungseinheit und der sogenannten "Täglichen Bewegungseinheit flex", letztere umfasst eine breitere Altersgruppenstruktur, vom Kindergarten bis zur Mittelschule.
Konkret für die fixe Tägliche Bewegungseinheit gibt es steiermarkweit insgesamt 16 Bewegungscoaches in allen 3 Dachverbänden, im ASVÖ arbeiten derzeit bereits 10 Coaches mit den Bewegungskompetenzen – sowohl im Fix- wie auch im Flex-Modell.
Abschlussfrage: Welchen Stellenwert hat Sport in Österreich im internationalen Vergleich gesehen?
Christoph Peischler: Auch das hängt wieder sehr von der Sportart ab, aber es gibt sicher Aufholbedarf. In Skandinavien sind beispielsweise 70 Prozent der Menschen in Sportvereinen. Bei uns dominiert oftmals eine Sportart ... oder salopp formuliert: "Es geht nicht immer nur darum, das Runde ins Eckige zu treffen."
Lisa Drugowitsch: Ich sehe das ähnlich. Wir sind schon gerne bei vielen Trends wie Zumba oder Crossfit dabei, aber letztlich dreht sich dann doch wieder vieles um den Fußball. Vor allem in den ländlichen Regionen sind die Hallen oft nur schwer für andere Disziplinen als für Fußball zu bekommen.
Der Stellenwert von Sport und Bewegung in Österreichs Gesellschaft ist in Summe leider viel zu gering – seit Jahrzehnten sind die positiven Effekte wissenschaftlich bewiesen, vor allem auf die Gesundheit, aber auch auf das Lernen, das Sozialverhalten, die Wirtschaft und vieles mehr. Wir wissen mittlerweile, dass 1 Euro, der in den Sport investiert wird, bis zu 14-fach in die Gesellschaft zurückfließt - dennoch setzen wir in Österreich bislang nicht ausreichend auf die Karte „Sport“, mit der man nur gewinnen kann! Wir hoffen daher sehr, dass die neuen Regierungen sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene dieses für die gesamte Gesellschaft so wichtige Thema endlich in den Vordergrund stellt.
Ein Vorbild für Österreich
Das Konzept für die Tägliche Bewegungseinheit hat das Potenzial, eine ganze Generation heranzuziehen, die Bewegung als selbstverständlichen und unverzichtbaren Teil ihres Lebens ansieht und soll richtungsweisend für ganz Österreich sein. Nun steht die schrittweise Ausrollung des Konzepts im Fokus des Projektteams. Durch praxisbezogene Schulungen sollen nicht nur die Coaches des ASVÖ profitieren, sondern auch interessierte Vereine und Schulen. Bereits am 1. Februar 2025 gibt es die nächste Gelegenheit dazu – eine Anmeldung ist hier ab sofort möglich.
Mehr Infos:
ASVÖ Steiermark
Nachwuchsleistungszentrum Steiermark (NZL)
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