Steiermark
Aus für IG-L-Hunderter – Rückschritt für die Klimapolitik?

- Ab 2030 sind EU-weit strengere Grenzwerte einzuhalten. Bereits jetzt überschreitet man diese, neuen Grenzwerte, fällt der IG-L wird die Einhaltung der Luftqualitätsrichtlinien noch schwerer.
- Foto: MeinBezirk
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Am Sonntag verkündete die Blau-Schwarze-Landesregierung das Ende des Feinstaub-Hunderters auf steirischen Autobahnen. Am Dienstag wurde das Thema in einer von den Grünen einberufenen Aktuellen Stunde im Landtag aufs Trapez gebracht – Kritik an der geplanten Abschaffung kommt auch von Neos und KPÖ. Doch was bedeutet das Ende dieser Klimaschutzmaßnahme für die Bevölkerung? Welches Signal sendet die Politik damit? MeinBezirk hat beim Nachhaltigkeitsforscher Thomas Brudermann nachgefragt.
STEIERMARK. Im vergangenen Jahr ließ die damalige Umweltlandesrätin Ursula Lackner (SPÖ) eine Studie in Auftrag geben, um die Wirkung von Tempo 100 auf Basis des Immissionsschutzgesetzes-Luft (kurz IG-L) entlang der steirischen Autobahnen zu überprüfen. Das Ergebnis der Studie: Die Maßnahme zeige Wirkung. „Der IG-L-Hunderter ist gekommen, um zu bleiben“, schlussfolgerte Lackner noch im September, wenngleich Thomas Pongratz von der Luftgüteüberwachung des Landes bemerkte, dass mit Tempolimits allein nicht das Auslangen gefunden werden könne, wenn es um die gesicherte Einhaltung der Grenzwerte gehe.
Entlastung für „geplagte Autofahrer“
Knapp ein halbes Jahr ist seither vergangen. Vom damals kommunizierten „Gekommen, um zu bleiben“ rückt die neue Landesregierung nun ab. Landeshauptmann Mario Kunasek (FPÖ) und LH-Stv. Manuela Khom (ÖVP) verkündeten am Sonntag das Aus des „Luftschutz-Hunderters“. Eine von der neuen Landesregierung in Auftrag gegebene Studie bestätigte zwar, dass die Grenzwerte seit 2020 nicht mehr überschritten wurden. Die Landesregierung argumentiert jedoch, dass dies auch ohne das Tempolimit der Fall sei und daher eine Entlastung der Autofahrerinnen und Autofahrer gerechtfertigt sei.
„Die Datenlage zeigt nun ganz klar, dass wir für die geplagten Autofahrerinnen und Autofahrer einen großen Entlastungsschritt setzen und den Lufthunderter abmontieren können.“
LH Mario Kunasek (FPÖ)
Was die ab 2030 geltenden reduzierten Grenzwerte betrifft, wolle man ein umfassendes Maßnahmenbündel erarbeiten; mit den aktuell geltenden Maßnahmen – unter anderem dem Luftschutz-Hunderter – seien die Ziele ohnehin nicht zu erreichen, so die Argumentation.

- LH Mario Kunasek (FPÖ) und LH-Stv. Manuela Khom (ÖVP) verkündten am Sonntag das Aus des Luftschutz-Hunderters – ein Vorhaben, das bereits im Rahmen der Regierungsklausur in Seggauberg gefasst wurde.
- Foto: Land Steiermark/Resch
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Als würde man das Rauchverbot zurücknehmen
Es ist eine Entscheidung, die der FPÖ-ÖVP-Landesregierung nicht nur seitens der Opposition – insbesondere den Grünen, Neos und der KPÖ – heftige Kritik einbringt. Auch Expertinnen und Experten, etwa vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ), heben die negativen Auswirkungen höherer Tempolimits auf Mensch und Umwelt hervor. Doch was bedeutet die Abschaffung des Feinstaub-Hunderters tatsächlich für den Klimaschutz und welches Signal sendet die neue steirische Landesregierung mit ihrer Entscheidung? MeinBezirk hat bei Thomas Brudermann, Klimapsychologe und Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz, nachgefragt.
„Für mich ist das ein weiterer Ausdruck des klimapolitischen Versagens, das wir in den letzten Jahren auf mehreren Ebenen erleben“, so Brudermann. Sachlich sei die Entscheidung für ihn schwer nachzuvollziehen, immerhin habe die Maßnahme klar Wirkung gezeigt. „Ein Hunderter, noch dazu in einem überschaubaren Gebiet – das wieder zurückzunehmen, mir fehlen fast ein bisschen die Worte“, sagt Brudermann.
„Das ist fast so, als würde man das Rauchverbot in Lokalen zurücknehmen, weil sich die Luftqualität dort verbessert hat.“
Thomas Brudermann, Nachhaltigkeitsforscher und Klimapsychologe

- Thomas Brudermann, Nachhaltigkeitsforscher an der Uni Graz, kann die Abschaffung des Feinstaub-Hunderters nicht nachvollziehen und kritisiert, dass sich die Regierung damit in puncto Klimaschutz aus der Verantwortung ziehe.
- Foto: Uni Graz/wildundwunderbar
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Die Argumentation, dass das Tempolimit zwar wirksam sei, in Zukunft als Einzelmaßnahme aber nicht ausreiche und man es deshalb gleich ganz abschaffe, sei für ihn unlogisch, meint Brudermann. „Für eine erfolgreiche Klima- und Umweltpolitik braucht es viele kleine Puzzleteile. Wenn man nicht einmal dieses eine Puzzleteil setzen möchte, ist das nichts anderes als destruktiv.“ Die Entscheidung lege nahe, dass das Klimathema in der Landesregierung keinen hohen Stellenwert genieße und man die „Dringlichkeit der Herausforderung“ nicht verstanden habe, zeigt sich Brudermann besorgt.
„Argumentation ist nicht rational“
Beim IG-L-Hunderter handle es sich um eine einfache und kostengünstige Maßnahme. „Man hat dadurch bessere Umwelt- und Luftwerte, was wiederum gesundheitsfördernd ist; man hat weniger Verkehrstote und Verletzte. Tempolimits sind günstig und sie bringen gleichzeitig volkswirtschaftlich etwas“, fasst Brudermann die positiven Effekte der Maßnahme zusammen.
Im politischen Diskurs würden diese Fakten jedoch oft von ideologischen Argumentationen und Emotionen überlagert. „130 km/h zu fahren, statt 100, ist kein Menschenrecht, und 100 km/h fahren zu müssen, ist keine massive Freiheitseinschränkung – zumal es dem Wohl der Allgemeinheit dient“, stellt Brudermann klar.

- Beim IG-L-Hunderter handle es sich laut Brudermann um eine einfache und kostengünstige Maßnahme, die Wirkung zeige. In einem Tempolimit von 100 km/h sieht der Nachhaltigkeitsforscher zudem keine große Einschränkung der persönlichen Freiheit der Autofahrenden.
- Foto: MeinBezirk
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Ball der Verantwortung wird weitergespielt
In puncto Umweltbewusstsein sende die Entscheidung ebenso ein fragwürdiges Signal. Studien würden zeigen, dass sich Menschen, die umwelt- und klimabewusst handeln wollen, zunehmend alleingelassen fühlen. „Die Politik zieht nicht nach, sondern bremst sogar“, so Brudermann. Der Ball der Verantwortung werde immer öfter hin- und hergespielt.
„Die Bürgerinnen und Bürger sagen, die Politik soll es richten, die schiebt es auf die Unternehmen, und die Unternehmen sagen dann, die Konsumentinnen und Konsumenten wollen es nicht“, schildert Brudermann das Problem. Gerade in diesem Fall hätte die Politik jedoch Verantwortung übernehmen können, betont er.
„Wir haben einen Bereich, in dem sich die Bürgerinnen und Bürger an eine Maßnahme gewöhnt haben und sie akzeptieren – und dann zieht sich die Politik völlig aus der Verantwortung. Das ist problematisch.“
Thomas Brudermann, Nachhaltigkeitsforscher und Klimapsychologe

- Der IG-L-Hunderter ist in der Steiermark bald Geschichte.
- Foto: MMV/Neumayer
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Bereitschaft in der Bevölkerung wird unterschätzt
Die Abschaffung des IG-L-Hunderters verkenne auch die tatsächliche Stimmung in der Gesellschaft. „Wir wissen, dass es prinzipiell Mehrheiten für klima- und umweltpolitische Maßnahmen gibt – auch bei Wählerinnen und Wählern von FPÖ und ÖVP“, erklärt Brudermann. „Diese grundsätzliche Bereitschaft wird oft unterschätzt.“
- Finde ich gut, das war schon lange überfällig – 40,86 Prozent
- Für unsere Umwelt und Gesundheit ist das keine gute Entscheidung – 57,53 Prozent
- Das ist mir egal – 1,61 Prozent
Sein Appell an die Politik: Nicht ganz so zukunftsvergessen agieren und sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Anstatt immer nur die Nachteile zu betonen, sollte in der Kommunikation klimapolitischer Maßnahmen deren Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit im Vordergrund stehen.
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