Interview
"Echte Barrierefreiheit geht über einen zu hohen Gehsteig hinaus"

- Der Alltag mit Rollstuhl oder Gehhilfe stellt viele Menschen vor großer Herausforderungen. Dass eine zu hohe Gehsteigkante nicht das größte Problem ist, berichten Markus und Helene Fritsch.
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Markus Fritsch betreibt in der Dornacher Straße in Urfahr ein modernes Therapiezentrum. Selbstständig gemacht hat sich der gelernte Programmierer im Oktober 2020. Damit ist er einer von nur vier Unternehmern mit Beeinträchtigung in Oberösterreich. Wir haben ihn und seine Ehepartnerin gefragt, welche Barrieren sie in ihrem im Alltag täglich begleiten. Die Erkenntnis: Zu hohe Gehsteigkanten sind zwar lästig, aber das geringste Problem.
LINZ-DORNACH. Modern, freundlich und selbstverständlich barrierefrei gelangt man in die Räumlichkeiten von FrimSports in der Dornacher Straße 11. Im Oktober 2020 eröffnete Unternehmer Markus Fritsch dort ein Therapiezentrum für Physiotherapie, Ergotherapie sowie Massage an und bietet – bisher einmalig in Österreich – robotergestütztes Gangtraining ambulant dort an. Aufgrund von Komplikationen während der Geburt ist Fritsch körperlich beeinträchtigt, braucht einen elektrischen Rollstuhl und tut sich mit dem Sprechen schwer.
"Die meisten bekommen diese Chance nicht"
"Die meisten beeinträchtigten Personen bekommen diese Chance nicht, ein 'normales' Leben zu leben. Zum Glück habe ich intellektuell keinen Schaden genommen und konnte eine gute Ausbildung machen und habe mit 22 Jahren meine erste Arbeit gefunden und später in einem Unternehmen gutes Geld verdient", berichtet Fritsch. Auch dabei hatte er Glück. Die meisten Menschen mit Beeinträchtigung bekommen diese Möglichkeit nicht. "Sobald man in Österreich behindert ist, sehen die Menschen nur das Defizit", so der Unternehmer, "echte Barrierefreiheit geht über einen drei Zentimeter zu hohen Gehsteig weit hinaus."

- Helene und Markus Fritsch betreiben in Urfahr ein modernes Therapiezentrum. Beide sind durch körperliche Beeinträchtigungen im Alltag häufig mit Barrieren aller Art konfrontiert.
- Foto: Frimsports/Fritsch
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"Wir haben keine Lobby"
Aber auch das ist immer noch ein alltägliches Problem. Immer noch gäbe es Schwierigkeiten beim Zugang zu Geschäften oder fehlende oder schlecht geplante Behinderten-Toiletten. Selbst wenn eine Klage für bauliche Barrierefreiheit eingebracht wird, muss bei Erfolg die Barriere in Österreich nicht entfernt werden. Der Kläger erhält lediglich eine finanzielle Kompensation. Obwohl Österreich bereits 2008 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen Behinderung unterzeichnete, habe man in den letzten Jahren hierzulande zum Teil massive Rückschritte gemacht. Das hätte laut Fritsch auch der Bericht der letzten Staatenprüfung der Vereinten Nationen im Jahr 2023 gezeigt. "Wir haben keine Lobby", meint Fritsch dazu. Dabei wollen auch behinderte Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen, arbeiten, Beziehungen haben und ihr Leben leben. "Der Staat hat dafür zu sorgen, dass sie das auch können", so Fritsch. Das wäre tatsächliche Barrierefreiheit.
Bürokratische und bauliche Barrieren
Auch Ehepartnerin Helene Fritsch kennt Barrieren aus ihrem Alltag nur zu gut: "Busse in Linz sind zum Beispiel für mich ein großes Problem - selbst die Niederflurbusse haben eine Stufe, die ich mit meinen beiden Krücken alleine nicht schaffe." Der Busfahrer könnte zwar eine Rampe ausklappen, das sei aber nur für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer vorgesehen. "Als ich das bei der Linz AG beanstandet habe, hieß es, den Busfahrern ist es nicht zumutbar, für jeden die Rampe auszuklappen. Außerdem könnte dann der Fahrplan nicht eingehalten werden", berichtet Helene Fritsch. Aber auch für sie wiegen die bürokratischen Barrieren schwerer. Für ihren Mann organisiert sie die benötigten persönlichen Assistenzen: "Das ist ein ungeheurer Aufwand, der mich sehr viel Energie kostet."
"Menschen sind produktiv, wenn sie leben"
Sind die beiden gemeinsam als Paar unterwegs, kommt noch eine weitere Hürde hinzu: Die Akzeptanz in der Gesellschaft, dass auch behinderte Menschen ein Bedürfnis nach Beziehung, Nähe und Körperlichkeit haben. "Als wir uns einmal in einem Café geküsst haben, kam vom Nebentisch ein abwertender Kommentar", berichtet Markus Fritsch. Er führt das auf die österreichische Geschichte in Bezug auf den Umgang mit Menschen mit Behinderungen in der NS-Zeit zurück. Im Alter von fünf Jahren hat er das erste Mal den Namen Adolf Hitler gehört. "Unter dem Hitler hätte es sowas nicht gegeben", hat ihm jemand nachgerufen, als er mit seiner Mutter unterwegs war. "Gerade in Oberösterreich sind verkrustete Ideologien noch immer sehr stark präsent. Die veraltete Idee, beeinträchtigte Menschen nach ihren Defiziten zu ‚bewerten‘, bringt uns gesellschaftlich immer mehr in Bedrängnis. Auch ökonomisch macht das absolut keinen Sinn. Beeinträchtigte Menschen sind derzeit ein Kostenfaktor, sie könnten aber auch ein Produktionsfaktor sein. Voraussetzung ist aber, wie bei jedem anderen Menschen, eine ehrliche Inklusion, eine ehrliche Unterstützung seitens des Staates, seitens der jeweiligen Körperschaften bis auf Gemeindeebene", findet Fritsch, "Menschen sind produktiv, wenn sie leben. Wenn sie nur existieren, sind sie teuer."


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