Personalnot
Mediziner: "Nehmen jeden, der sich bei uns bewirbt"

Roland Steiner: Erster Oberarzt an der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt  | Foto: MeinBezirk.at
  • Roland Steiner: Erster Oberarzt an der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt
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Personalmangel bei Gesundheitsberufen. Wie ein Intensivmediziner die Situation beschreibt.

KLAGENFURT. Vertreter des Gesundheitspersonals stiegen vergangene Woche auf die Barrikaden. Unter dem Motto: "Es ist fünf nach zwölf" wurden Kundgebungen abgehalten. Intensivmediziner Roland Steiner im Gespräch.

Herr Steiner, wie sieht die aktuelle Situation für Sie als Arzt und für Ihre Kollegen aus?
Roland Steiner: Die Arbeitsbelastung ist sehr hoch. Das hängt speziell auch mit der Intensivauslastung zusammen. Wir sind jeden Tag gefordert, eine Optimierung durchzuführen. Das heißt, wir versuchen den Patienten so schnell wie möglich von der Intensivstation wegzubekommen, auch in andere Krankenhäuser zu transferieren, wenn er etwa spezielle Behandlungen im Krankenhaus Klagenfurt nicht mehr benötigt. Wir kämpfen praktisch jeden Tag, von früh bis spät um jeden Platz.

Die Personalsituation soll schon vor Corona angespannt gewesen sein. Ist es jetzt in der Pandemie überhaupt noch machbar?
Machbar ist es immer. Es läuft dann im Endeffekt auf eine Triage hinaus. Das macht den Job auch immer mühsamer. Wer bekommt ein Intensivbett, wer bekommt keines mehr? Das zu evaluieren wird dann unter Umständen immer öfter stattfinden müssen. Und das macht einen enormen Stress.

Wobei es eine Triage im Rahmen von Corona noch nicht gegeben hat?

Naja, eine Triage hat es immer schon gegeben. Wenn ich sehr viel Plätze auf der Intensivstation frei habe, dann werde ich vielleicht auch einmal einen Patienten auf die Intensivstation legen, der nicht unbedingt eine intensivmedizinische Maßnahme braucht. Wenn sehr wenige Plätze frei sind, muss man sich das anschauen. Wenn jemand eine gute Prognose hat, ok, wenn man weiß, der Patient wird sich unter Umständen nicht mehr erholen, auch wenn er auf eine Intensivstation kommt, dann werde ich ihn wahrscheinlich auch nicht mehr übernehmen. Man muss sich aber vorstellen: Zu Nicht-Corona-Zeiten ist es so, dass jeder fünfte Patient auf einer Intensivstation verstirbt. In der Corona-Zeit ist der Anteil an den Versterbenden größer, das heißt wir stehen jetzt wahrscheinlich bei 30 Prozent.

Unabhängig von Corona. Wie sehen die Forderungen aus?
Wir haben derzeit das Problem, dass wir die Betten, die wir zur Verfügung haben, kaum bespielen können. Das heißt wir brauchen Personal. Wir wünschen uns natürlich im Endeffekt mehr Betten. Aber das hat keinen Sinn, wenn man sich mehr Betten wünscht und das Personal dafür nicht hat. Eine Intensivstation sollte maximal mit 80 Prozent ausgelastet sein. Wir waren aber schon vor der Coronakrise auf über 90 Prozent.

Wollen junge Ärzte noch Intensivmediziner werden?

Doch, junge Ärzte wollen gerne Intensivmediziner werden, das ist ja ein sehr interessanter Job, aber sie wollen es nur unter gewissen Prämissen. Da ist der Zeitfaktor, das ist dann sehr spezifisch auf den Einzelnen zugeschnitten. Wir haben Leute, die die Ausbildung anfangen, und in der Ausbildung nur 80 Prozent arbeiten. Und wir geben ihnen das auch, weil wir sowieso zu wenig Ärzte haben.

Wie kann man sich das System vorstellen?
Wir nehmen praktisch jeden, der sich bewirbt. Wo wir uns sehr schwertun ist, diese Kollegen auszubilden. Das heißt in der Phase, wo wir jetzt sind, muss der Arzt relativ schnell einen Arbeitsplatz besetzen, weil wir einfach zu wenig Ärzte haben, um alle Arbeitsplätze zu besetzen. Wir besetzen pro Tag 50 Arbeitsplätze auf der Anästhesie, auf Intensivstationen, für OPs, in der Schmerzambulanz. Wird sind am Limit. Wir schreiben fast europaweit aus. Fachärzte aus Österreich zu bekommen ist nahezu ausgeschlossen. Meistens bekommt man Gott sei Dank Fachärzte aus dem ehemaligen Osten. Jetzt bekommen wir gerade wieder einen aus Ungarn. Diesen Monat haben wir eine Ärztin aus Rumänien bekommen, sie ist sehr gut, Gott sei Dank haben wir sie. Wir sind mittlerweile eine internationale Abteilung geworden, wir haben Personal aus zehn bis zwölf Staaten. Ohne Ausländeranteil würde es nicht mehr funktionieren.

Sollen die Kriterien beim Medizinstudium gesenkt werden?
Nicht gesenkt, sondern verändert. Der soziale Aspekt wird kaum berücksichtigt. Es gibt überhaupt keinen Rückschluss darauf, dass jemand, der bei einem Multiple-Choice-Test durchkommt, ein guter Arzt wird. Der Charakter bildet sich im Studium und dann auch erst im Krankenhaus.

Soll man wegen des Geldes Arzt werden?
Nein. Definitiv nein. Die Arbeit, das Umfeld, die Kollegen, die Leistung, die Wertschätzung. Das sind jene Werte, die Zufriedenheit bringen. Das Geld bringt auf Dauer keine Zufriedenheit.

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