Notarzt: Schockierende Reanimation?

- Wer hilft im Notfall? Da es im Bezirk einen massiven Mangel an Notärzten gibt haben niedergelassene Ärzte angeboten - quasi unter der Hand - einzuspringen.
- Foto: Rotes Kreuz
- hochgeladen von Bezirksblätter Archiv (Werner Pelz)
Zwei Stunden Wiederbelebungsmaßnahmen und ein hinzugezogener Fotograf sorgen für Irritation in Pflegeheim
Wurden beim Versuch der Wiederbelebung eines schwer kranken Patienten zu Versuchszwecken die Grenzen der Menschlichkeit überschritten? Das Neulengbacher Notarztteam sorgt für Verunsicherung.
REGION WIENERWALD/NEULENGBACH (wp). „Es war ein regelrechter ein Schock“, berichten Pflegekräfte, die bei der Reanimation eines knapp über 80Jährigen durch das Notarztteam Neulengbach dabei waren. Der im Sterben liegende Heimbewohner, bereits mit künstlichem Luftröhrenzugang ausgestattet, soll über zwei Stunden mit höchst belastenden Maßnahmen wiederbelebt worden sein.
Unethische Vorgangsweise?
Trotz einer durch das Notarztteam bereits nahe dem Herzen punktierten Vene, wurde zusätzlich ein Loch in einen Knochen des Sterbenden gebohrt, um Medikamente zuzuführen. „Eine höchst unübliche Vorgangsweise, die ethisch zu hinterfragen ist“, erklärt ein Notfallmediziner, der mit dem Fall befasst wurde. Zusätzlich erhielt der Patient noch sechs Liter Infusion in den Blutkreislauf verabreicht. „Das entspricht in keinem Fall den gängigen medizinischen Regeln, vor allem nicht bei so einem betagten Patienten, da das eine nicht zu rechtfertigende Belastung darstellt“, heißt es auch aus Fachkreisen.
Fotograf kam zum Sterbenden
Nicht genug damit: Vom diensthabenden Notarzt wurde dann noch ein Fotograf zu Dokumentationszwecken eingeladen. „Offenbar sollte der Patient so lange am Leben erhalten werden, bis der Fotograf eingelangt war und seine Fotos geschossen hatte.“
Danach wurde der Patient ins Landesklinikum St. Pölten gebracht, wo er schlussendlich verstarb.
„Wo sind die Grenzen der Menschlichkeit?“
Seitens der Pflegeheimleitung erschien der Einsatz auch mehr als fragwürdig: „Man kann einem Arzt nicht vorschreiben, was er zu tun hat, auch wenn die, von ihm gesetzten, Maßnahmen ungewöhnlich erscheinen. Man kann sich höchstens Gedanken machen, wo die Grenzen der Menschlichkeit aufhören.“
Anzeige bei Staatsanwaltschaft
Nun soll auch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden, um die Praktiken des Notfallteams Neulengbach unter ihrem Leiter, einem Universitätsprofessor des AKH Wien zu beleuchten. Zu klären sei, so Kritiker, ob etwa ahnungslose Notfallpatienten Opfer von medizinischen Studienzwecken werden, ohne dass sie bzw. ihre Angehörigen informiert werden, und ob es um das Sammeln von wissenschaftlich-medizinischen Daten geht. Und warum durch das Notarztteam Notfallmaßnahmen durchgeführt werden, die laut Medizinern ethisch fragwürdig seien. Für den Notarztchef gilt die Unschuldsvermutung, er war für die Redaktion nicht erreichbar.
„Keine Vorschriften“
Der zuständige Notfallkoordinator des Roten Kreuz Niederösterreichs, Christoph Rötzer meint dazu: „Ich kann zu diesem Fall nicht speziell Stellung beziehen. Allerdings gibt es keine Vorschrift, wie lange eine Reanimation dauern darf.“ Wissenschaftliche Daten können „natürlich gesammelt werden, wenn sie anonymisiert behandelt werden“. Ebenfalls könne auch ein Fotograf für die Dokumentation eines Einsatzes herangezogen werden. „Wenn die Fotos nicht öffentlich zugänglich gemacht, aber für Lehrzwecke verwendet werden, ist das durchaus vorstellbar.“ Der Patient oder Angehörige müssten darüber nicht informiert werden.
Unüblich?
(Kommentar)
Der, seit vorigem Jahr in Neuengbach agierende, Notarztchef ruft mit seinen offenbar umstrittenen Praktiken bei Einsätzen immer wieder Kritiker auf den Plan. In diversen Landeskliniken wollen Notarztkollegen Kritik nur hinter vorgehaltener Hand äußern. Zu groß ist die Angst, beim Arbeitgeber, dem Land Niederösterreich, anzuecken. Das Rote Kreuz und die Politik decken offenbar die seltsamen Praktiken in Neulengbach. Ansonsten lässt sich nicht erklären, warum die Notärzte und vor allem ihr Leiter ungestört werken können. Letztgenannter könnte dem Vernehmen nach sogar eine neue wichtige Position, nämlich im Bereich der Notfallambulanz im St. Pöltner Landesklinikum einnehmen.
Wie auch immer. Gut wäre, wenn die Vorgänge im Einsatzgebiet des Notarztteams Neulengbach einmal genauer unter die Lupe genommen werden, um entweder zu Änderungen und Konsequenzen zu gelangen, oder die dort üblichen Praktiken zu bestätigen. Bisher ist dies trotz Medienberichten nicht passiert. Wenn dies nicht durch das Rote Kreuz oder die zuständigen Politiker passiert, wird das wohl, aufgrund manch schwerwiegender Vorwürfe, die Staatsanwaltschaft in die Hand nehmen müssen.
Kontakt: wpelz@bezirksblaetter.com // Tel.: 0699 / 139 90 217
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