Ivica Osim: Bescheidener Virtuose inmitten der Weltelite
Ivica Osim wurde 80: Eine Spurensuche mit France-Football-Korrespondent Walter Kowatsch-Schwarz.
Ivica Osim ist zurück in Liebenau: Am vergangenen Sonntag nahm die Sturm-Graz-Trainerlegende beim Spiel gegen Red Bull Salzburg wieder einmal auf der Tribüne der Merkur Arena Platz. Und irgendwie passte die Szene zu seiner für ihn typischen Bescheidenheit: Gäbe es kein Corona, so hätten die schwarz-weißen Fans wohl minutenlang Osim-Sprechchöre angestimmt, was ihm unangenehm gewesen wäre. So aber war der seit 6. Mai 80-Jährige fast allein im Stadion, um "seinem" SK Sturm auf die Füße zu schauen. Spuren hat Osim, der im Laufe seines Lebens Spitznamen wie Offensiv-Apostel, Fußball-Botschafter, Philosoph, Denker oder Diplomat erhalten hat, aber auch außerhalb von Graz hinterlassen.
Cruyff, Best, Osim
Was heute fast untergeht: Auch der Fußballspieler Ivica Osim war einst eine große Nummer. "Er war 1968 auch auf der Liste der zu wählenden Spieler für den Ballon d'Or – neben anderen nominierten Größen wie Franz Beckenbauer, George Best, Johan Cruyff oder Gerd Müller", erklärt der Grazer Walter Kowatsch-Schwarz, der als einziger heimischer Journalist für das Fachmagazin France Football jährlich mitbestimmt, wer der beste Kicker weltweit ist.
Selbst habe sich Osim, der in seinen acht Jahren in Frankreich zu den besten ausländischen Spielern zählte, aber gar nicht als Ball-Virtuose gesehen. "Mit einer Größe von 1,90 Metern kann man nicht elegant sein. Ich hatte immer eine große Last am Rücken, habe aber doch einige Duelle gewonnen", sagte die Legende einst. Mit der großen Last meinte er seine breiten Schultern, die ihn aber nicht vor schnellen Dribblings hinderten. "Osim hat mir vor seinem Geburtstag in aller Bescheidenheit erzählt, dass er in Frankreich als technisch überragender, eleganter Spieler bezeichnet wurde", so Kowatsch-Schwarz. Fast typisch für ihn: "Er hat in seiner Frankreich-Zeit keine rote Karte oder Verwarnung wegen Foulspiels erhalten."
Angst vor Elfmetern
Die Gegner fürchteten ihn, so wie er sich als Trainer einst vor Elferschießen fürchtete: "In Japan hat Osim als JEF-United-Coach noch die Schützen nominiert, ist dann in die Kabine verschwunden und erst wieder hinausgekommen, als der 5:4-Sieg im Cupfinale feststand", schmunzelt Kowatsch-Schwarz. "Diese Aversion gegen das Elfmeterschießen rührt von der Niederlage Jugoslawiens gegen Argentinien bei der WM 1990 in Italien her." Gerade die Verbindung zu seiner Heimat war und ist Osim, der einst auch österreichischer Teamchef werden hätte können, immer sehr wichtig. Seine ersten Trainersporen verdiente er sich bei Željezničar Sarajevo ("eine verdammte Herausforderung für das Kind des Landes"), Engagements bei Großklubs schlug er teilweise aus, um näher an seiner Familie, die die Kriegswirren im zerfallenden Vielvölkerstaat hautnah miterlebte, zu sein. "Wenn man weiß, was in Bosnien passiert, habe ich nicht das Recht, mich zu beklagen", sagte er damals – und landete als Coach in Graz. Der Rest ist Geschichte – eine echte Erfolgsgeschichte ...
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