Medizin
Ernährungsvielfalt verringert Unverträglichkeiten

- Vortragender Dietmar Enko mit Moderatorin Martina Kohrgruber.
- Foto: C. Pendl
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Unser Lebensmittelangebot war noch nie so vielfältig wie heute, und dennoch gestaltet sich das Ernährungsverhalten häufig relativ einseitig. Dieser Mangel an Vielfalt in der Ernährung begünstigt aktuellen Forschungsergebnissen zufolge auch die Entstehung von Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelintoleranzen. Zudem können bestimmte Umweltfaktoren das Allergenpotential einzelner Nahrungsmittel erhöhen. Bei Nahrungsmittelintoleranzen gilt als Hauptthese der zu häufige Konsum stark denaturierter Lebensmittel.
GRAZ. Österreichs größte kostenlose und frei zugängliche Gesundheitsvortragsreihe Meinmed, die in Kooperation mit Gesundheits- und Forschungseinrichtungen wie der Med Uni Graz sowie der Österreichischen Gesundheitskasse angeboten wird, widmete sich vergangene Woche aktuellen Erkenntnissen rund um Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelintoleranzen. Vortragender Dietmar Enko vom Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik der Med Uni Graz informierte dabei vor allem über praxisrelevante Aspekte zum Umgang sowie zur Vermeidung solcher Allergien und Unverträglichkeiten.
"Wichtig ist, die Vielfalt der Ernährung beim Kind zu fördern."
(Dietmar Enko, Med Uni Graz)
Allergie oder Intoleranz?
Häufig werden diese beiden Begriffe verwechselt, denn als Nahrungsmittelallergie gilt die durch das Immunsystem vermittelte Reaktion gegen Bestandteile in Nahrungsmitteln. Die häufigsten Allergene dabei sind Kuhmilch, Hühnerei, Fisch, Schalentiere, Soja, Nüsse (vor allem Erdnüsse) oder verschiedene Mehlsorten. Als Nahrungsmittelintoleranz wird das Ungleichgewicht zwischen der Aufnahme von Nahrungsmittelbestandteilen und deren Abbau im Körper bezeichnet. Die Beschwerdebilder sind oft bunt und es können viele Organsysteme betroffen sein. Eine Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern gestaltet sich in vielen Fällen schwierig, oft handelt es sich um kombinierte Allergien und Intoleranzen.
"Jeder einseitige Ernährungsstil sollte vermieden werden."
(Dietmar Enko, Med Uni Graz)
Ursachen und Thesen
Einseitige Ernährungsformen sind die eine Seite, die starke Industrialisierung vieler Lebensmittel die andere. Diese gilt als Hauptthese für die Entwicklung von Nahrungsmittelintoleranzen. Angenommen wird, dass sich das menschliche Mikrobiom an die veränderte Lebensmittelproduktion der letzten 50 Jahre nicht angepasst hat. Eine weitere These bezieht sich auf veränderte Umweltfaktoren, durch welche sich das Allergenpotential einzelner Nahrungsmittel eventuell erhöhen kann. Im Rahmen der Hygienehypothese wird angenommen, dass Kinder, die am Bauernhof oder in der Nähe von Bauernhöfen aufwachsen, eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, später Intoleranzen und Allergien zu entwickeln, da das Immunsystem schon früh mit unterschiedlichen Mikroorganismen in Kontakt kommt, was die natürliche Entwicklung des Immunsystems fördern könnte. Auch Glutenunverträglichkeiten nehmen weltweit stark zu, sogar in Entwicklungsländern. "Ein Zuviel von einer Mehlsorte kann eine Ursache sein", so Enko.
"Der Lebensstil wurde bisher unterschätzt, und die Genetik wurde überschätzt",
untersteicht der Experte die vielfach beobachteten und untersuchten ernährungs- und lebensstilbedingten Einflussfaktoren. Weiters können Extremsport, Rauchen, Alkohol und Schlafmangel (bestehende) Symptomatiken auslösen oder verstärken. Zudem zeigen sich ein hoher Konsum an Zucker, Fruchtzucker und Alkohol auch bei diesem Themenkomplex – etwa in Hinblick auf Histamin- oder Kohlenhydratintoleranz – als nachteilig. Ungefähr 25 Prozent der Bevölkerung weisen eine Fettleber auf. Hauptursache in der westlichen Welt ist ein Zuviel an Fruktose, welches zu überschüssigem Fett wird und sich in der Leber ablagert. Der Konsum an Fruchtzucker (z.B. in vielen Süßigkeiten, Limonaden, Sirups, Obstsäften, Obst) ist heute im Durchschnitt je Einwohner fünfmal so hoch wie vor 20 Jahren, rund 800.000 Menschen in Österreich haben Diabetes, wie Dietmar Enko ausführt:
"Ein Zuviel an Zucker kann zudem auch depressive Verstimmungen auslösen. Die individuelle Grenze an Zuckerzufuhr muss durch Selbstbeobachtung jeder für sich selbst herausfinden."
Vermeidung und Behandlung
Wichtig ist daher laut aktuellen Forschungsergebnissen die Konfrontation mit der Nahrungsmittelvielfalt schon in den ersten Lebensjahren sowie die Verwendung saisonaler heimischer Lebensmittel – möglichst frisch gekocht. Je länger ein Lebensmittel gelagert oder eingefroren ist, umso höher ist in der Regel dessen Histamingehalt. Wenn sich Magen-Darmbeschwerden oder sonstige Unverträglichkeiten nach Nahrungsmittelaufnahme zeigen, ist es ratsam, eine genaue und umfangreiche Ernährungsanamnese zu machen sowie ein Ernährungstagebuch über mindestens drei Wochen zu führen, um so herauszufinden, welche Lebensmitttel oder Inhaltsstoffe die Ursache sein können. Von Provokationstests rät Enko eher ab. Diese werden in der Diagnostik auch vermieden, da es gefährlich sein kann, ein vermutetes Allergen am betroffenen Patienten auszuprobieren. Die laborchemische Diagnostik ist als Unterstützung in der Ursachenfindung und Begleitung zu sehen, weist dem Experten zufolge aber begrenzte Möglichkeiten auf. Bei Verdacht auf Kohlenhydratintoleranzen wie Laktose- oder Fruktoseintoleranz werden Inhalationstests angewendet. Enko rät, in diesem Rahmen auch die Sorbit-Verträglichkeit testen zu lassen.
Die Einflussfaktoren gestalten sich jedenfalls vielfältig: Viele Nahrungsmittelallergiker haben zuerst auch eine Pollenallergie, und die Reaktionslage des Körpers ist je nach Hormonhaushalt, Nervensystem, Stress oder Schlaf verschieden. Auf jeden Fall empfohlen, soweit es keine medizinischen Bedenken oder bestehende Allergien und Intoleranzen gibt: Biodiversität in der Ernährung durch Mischkost, moderater Sport und ausreichender, guter Schlaf.
Weiterführende Informationen:
- Meinmed - Medizinwissen für Österreich
- Histaminintoleranz - Wenn Nahrungsinhaltsstoffe krank machen
- Mikrobiom und Mensch - Forschungsaspekte
- Superfood Muttermilch für Baby und Mikrobiom
- Lichtblicke in der Behandlung von Typ 2 - Diabetes
- Nahrungsvielfalt für unser Immunsystem
- Lachen stärkt das Immunsystem
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