Erste Hilfe in Sachen Sex

- Was passiert im Bett? Vor allem sexuelle Probleme sind immer noch ein großes Tabuthema, sagen Experten.
- Foto: Bilderbox.com
- hochgeladen von Elisabeth Pötler
In Graz eröffnet die erste sexualmedizinische Praxis der Steiermark. Die Leiterin Elia
Bragagna sagt: Es gibt immer größeren "Performance-Druck“.
Diverse Videos im Netz zeigen anschaulich: In Sachen Sex gibt es fast nichts, was man nicht sehen kann. Aber sind wir deshalb aufgeklärt? Die Ärztin und Sexualtherapeutin Elisa Bragagna sagt, wir sind „verpornographisiert“ und müssen lernen über unsere eigene Sexualität und Probleme zu reden. Denn: „46 Prozent aller Frauen und 39 Prozent aller Männer haben in ihrem Leben, zumindest vorübergehend, sexuelle Probleme – meist ohne Hilfe zu bekommen.“
Am 29. Jänner eröffnet sie mit ihrem Team in der Münzgrabenstraße die Sexualmedizinische Praxis Graz.
Frau Bragagna, wie aufgeklärt sind wir denn heute?
Elia Bragagna: Im Internet können wir alles mögliche finden, aber das Internet ist eine riesige Verkaufsplattform, wenn wir nicht auf seriöse Seiten kommen, dann stehen wir da…
Warum denken Sie, dass wir in Graz eine sexualmedizinische Praxis brauchen?
Weil Sie unterversorgt sind (lacht)! Seit Ende Oktober führen wir eine Hotline, die Beratung durch sexualmedizinisch geschulte Ärzte bietet (siehe unten) – da haben wir viele Anrufe aus dem Süden Österreichs.
Liegt das nicht daran, dass man anonym anrufen kann?
Viele Anrufer sagen: Sie haben Probleme, trauen sich aber nicht mit ihrem Arzt darüber zu sprechen. Anscheinend vermitteln wir Mediziner oft das Bild, dass man mit uns nicht über Sex reden kann.
Was wird denn die Sexualpraxis in Graz anbieten?
Wir haben ein interdisziplinäres Team mit Experten aus der Gynäkologie, Urologie, Schmerzmedizin, Allgemeinen Medizin mit einem neurologischen Schwerpunkt, Angebote für onkologische Patienten, Beckenbodentraining … Wir sehen den Körper als ganzes, und betrachten verschiedene Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf die Sexualität.
Sie arbeiten seit 13 Jahren als Sexualtherapeutin in Wien. Was sind die häufigsten Probleme der Menschen?
Sex ist zu einem Perfomance-Akt geworden. Viele Menschen sind verunsichert: Sie haben das Gefühl, dass sie die Vorgaben, die sie sehen, nicht erfüllen können. Unglaublich viele Männer schlucken etwa Viagra – so viele Kranke gibt es gar nicht! Viele Männer glauben, sie müssen wie eine Maschine funktionieren.
Bei den Frauen leidet jede zehnte unter Lustlosigkeit – etwa durch Überforderungen – sie leiden, weil sie das Gefühl haben, sich selbst nicht mehr zu kennen, oft gibt es dann auch Probleme in der Partnerschaft. Ihre Probleme tragen viele Paare oft jahrelang mit sich herum, bevor sie sich Hilfe holen.
Woher kommt der „Performance-Druck“?
Wir orientieren uns an pornographischen Vorbildern, die nicht der Realität entsprechen. Oft bekomme ich die Frage von Frauen: „Wie kann ich Analsex ohne Schmerzen machen?“ Dann frage ich: „Machen Sie das gerne?“ „Nein, aber es gehört doch dazu“ … Sexualität ist etwas Zwischenmenschliches, Persönliches, wir müssen wieder lernen, auf uns selbst zu hören. Viele Frauen haben auch Schmerzen, weil sie Sex haben, ohne es zu wollen.
Gelingt es in den Beziehungen nicht, offen über Ihre Wünsche oder Probleme zu reden?
Gerade in der Anfangsphase, den ersten eineinhalb Jahren, versucht jeder, sich selbst schönzureden, man ist offen für alles… Dann kommt die Phase, wo man sagen muss, dass man auch anders ist. Man muss lernen über Sexualität zu reden, wenn es keine Probleme gibt, nur dann kann man auch über Probleme reden. Grundsätzlich sagen viele Leute leichter „Nein“ zu bestimmten Sachen als zu sagen, was ihnen guttut.
Was Frauen und Männer belastet
Sexuelle Gesundheit ist laut der WHO ein Menschenrecht. Sexualmediziner wie Bragagna kritisieren, dass das Augenmerk hierzulande aber eher auf der Reproduktionsmedizin als auf einer erfüllten Sexualität im Allgemeinen liegt. Dazu einige Daten:
Nachholbedarf. Nur zehn Prozent aller Patienten werden von ihren Ärzten routinemäßig zu ihrer sexuellen Gesundheit befragt.
Frauen. Jede zehnte Frau leidet an sexueller Lustlosigkeit.
Jede 20. Frau hat laut Statistik eine Erregungsstörung.
Ebenfalls jede 20. Frau leidet unter einer Orgasmusstörung.
Männer. Jeder vierte bis fünfte Mann leidt unter vorzeitigem Samenerguss.
Ab dem 50. Lebensjahr hat im Schnitt jeder zweite Mann Erektionsprobleme.
Fehlende Aufklärung. Viele Erkrankungen haben Auswirkungen auf die Sexualität – von Erkrankungen der Herzkranzgefäße (führen zu Erektionsstörungen) bis zum metabolischen Syndrom (führt bei Frauen zu Sexualstörungen). Auch Medikamente haben vielfach Auswirkungen auf die Sexualität, vielfach sind die Patienten darüber aber nicht informiert. Auch im Zusammenhang mit einigen Krebserkrankungen sind die sexuellen Auswirkungen zum Teil ein bedeutendes Thema.
BERATUNG UND BEHANDLUNG
Am 31. Jänner eröffnet die Sexualmedizinische Praxis Graz ihre Tore: Vor Ort ist ein siebenköpfiges Team aus Ärzten und Therapeuten mit sexualmedizinischer Ausbildung.
Kontakt:
Münzgrabenstraße 7, 8010 Graz
Tel. 0316 / 722 100 100
Mail: therapie@sexmed.at
Mehr Infos: www.sexmed.at
Am „Tag der offenen Tür“ am 31. Jänner stellt sich die Praxis mit ihren Angeboten allen Interessierten vor: Zwischen 9.30 und 14.30 Uhr sind halbstündige Vorträge jener Ärzte geplant, die in der Praxis ordinieren. Sie erklären, wie sie aus Sicht ihres Fachgebietes helfen können.
Die „SexMed“-Hotline
Die Sexualmedizinische Praxis Graz bietet nun schon seit Ende Oktober österreichweit die erste „Telefonische Sexualberatung“ durch sexualmedizinisch geschulte Ärzte. Die Rufnummer lautet 0900 88 80 80.
Ein Telefongespräch kostet pro Minute 1,80 Euro.
Die nächsten Beratungszeiten:
14.1 : 15 – 18 Uhr, 16.1 : 16 – 20 Uhr, 19.1 : 8 – 18 Uhr, 20.1 : 12 – 18 Uhr, 21. 1: 14 – 18 Uhr, 22.1 : 18 – 20 Uhr.


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