Johannes Pressl
Tankstellenshops als Vorbild für Grundversorgung

Johannes Pressl, Gemeindebundpräsident | Foto: Roland Ferrigato
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Gemeindebundpräsident Johannes Pressl im Gespräch mit MeinBezirk über den Sparzwang von Gemeinden, und er fordert eine Grundsteuerreform, die Kostenübernahme der Produkthersteller bei der EU-Abwasserreichtlinie und lässt mit mehreren Ansätzen zur Sicherstellung der Grundversorgung in den Gemeinden aufhorchen.

ÖSTERREICH. Im Rahmen einer Ungarn-Reise stand Gemeindebundpräsident Johannes Pressl MeinBezirk zu aktuellen Fragen rund um Österreichs Gemeinden Rede und Antwort.

Herr Präsident, welche Auswirkungen könnte eine schwarz-rot-pinke Regierung auf die Gemeinden haben?
Johannes Pressl: In den kommenden Verhandlungen wird der Gemeindebund versuchen, seine Interessen einzubringen, da Gemeinden vor großen finanziellen Herausforderungen stehen. Die Wirtschaft schwächelt, und die Kosten in Bereichen wie Spitälern, Pflege und Kinderbetreuung steigen überproportional. Jede Regierung muss sich auf einen klaren Reformkurs einigen, um Österreich wieder wirtschaftlich zu stärken. Bis strukturelle Reformen greifen, bedeutet dies, dass die Gemeinden weitere finanzielle Unterstützung benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Drei zentrale Forderungen wurden bereits formuliert: Erstens, der Staat soll Gemeinden dort unterstützen, wo sie ihre Aufgaben nicht mehr allein bewältigen können. Zweitens, Gemeinden sollen ihre eigenen Einnahmen stärken dürfen, zum Beispiel durch eine Grundsteuerreform. Drittens auch die Gemeinden selbst müssen effizienter werden und Sparpotenziale heben, etwa durch Digitalisierung oder Überprüfung von Ausgaben. 

Könnte es in Zukunft notwendig sein, bestimmte etablierte Sicherheitsstandards, etwa bei der Anschaffung von Geräten wie Feuerwehrautos, zu überdenken? 
Es bringt nichts, verschiedene notwendige Bereiche wie Feuerwehr, Kindergarten oder Pflegeheim gegeneinander auszuspielen. Stattdessen sollten wir in allen Bereichen nach Optimierungsmöglichkeiten suchen. Ein Beispiel dafür ist eine aktuelle Aktion in Niederösterreich, bei der Hilfeleistungsfahrzeuge (HLF2) normiert und kostengünstiger beschafft werden. Früher kosteten individuell ausgestattete Fahrzeuge bis zu 600.000 Euro, doch durch eine gemeinsame Aktion des Landesfeuerwehrverbands und des Gemeindebunds können sie nun für unter 400.000 Euro erworben werden. Das zeigt, dass durch kreative Ansätze und Standardisierungen Einsparungen möglich sind, ohne die notwendigen Funktionen zu beeinträchtigen. Diese Diskussion über Effizienz und Verantwortung müssen wir auch in anderen Bereichen führen.

Glauben Sie, dass Österreich manchmal, wie in Bezug auf die Umsetzung der EU-Abwasserrichtlinie, insbesondere der vierten Ausbaustufe, vielleicht zu ambitioniert vorgeht? Im Vergleich zu anderen EU-Ländern, die in diesem Bereich weit hinter uns liegen, könnte man sich fragen, ob wir in manchen Bereichen möglicherweise über das Notwendige hinaus agieren.
Es ist oft schnell gesagt, dass andere Länder weit hinter uns liegen, doch das ist nicht immer der Fall. In Bezug auf die vierte Reinigungsstufe der Abwasserrichtlinie sind wir skeptisch, da erhebliche Folgekosten drohen. Dennoch besteht Konsens, dass Mikroplastik, Reifenabrieb und Arzneimittelrückstände aus dem Abwasser entfernt werden müssen, um Umwelt und Gesundheit zu schützen. Eine zentrale Frage ist die Zahlerverantwortung: Sollen alle am Kanalnetz angeschlossenen Bürger die Kosten tragen, oder sollte eine Herstellerverantwortung greifen? Letzteres könnte Unternehmen dazu bewegen, umweltschädliche Stoffe durch umweltfreundlichere Alternativen zu ersetzen. Auch in der Regulierung von Importen und Produkten sind klare Regeln und Kontrollen erforderlich, ähnlich wie es bei Lebensmitteln der Fall ist. Das erfordert Anstrengungen von Politik, Verwaltung und Europa, um Standards durchzusetzen und problematische Importe zu regulieren. 

In der Steiermark ist das Projekt Community Nurses gerettet. Wie sieht das Projekt in anderen Bundesländern aus?
In Österreich gibt es dazu unterschiedliche Vorgangsweisen in den Bundesländern. Auch in Niederösterreich und Salzburg soll "Community Nursing" weitergeführt werden. In Oberösterreich werden die Geldmittel in die bestehende Soziallandschaft integriert. Jedes Bundesland hat die Freiheit, das Projekt individuell zu gestalten. Das gemeinsame Ziel ist überall, frühzeitig Vorsorgemaßnahmen zu treffen, damit Menschen möglichst lange zu Hause leben können, bevor sie in teurere Pflegeeinrichtungen müssen. Die Rolle der Community Nurses ist es, durch Beratung und Unterstützung dazu beizutragen. Und ob das gelingt, das soll auch zukünftig laufend evaluiert werden – auch mit klaren Messgrößen. Wenn die Community Nurses dazu beitragen, teurere Pflegestufen weiter hinauszuschieben, ist das gut investiertes Geld; andernfalls sollte über alternative Organisationsformen auch später noch in den Bundesländern nachgedacht werden. 

In Niederösterreich haben 108 der 573 Gemeinden keinen eigenen Lebensmitteleinzelhändler mehr. Das trifft vor allem ältere und weniger mobile Bürgerinnen und Bürger besonders hart. Die SPÖ fordert nun dringend Investitionen, um die Grundversorgung sicherzustellen. Wie kann das gelingen und wie sieht es in den anderen Bundesländern aus?
Die Situation der Nahversorgung in den Bundesländern ist unterschiedlich, insbesondere in touristischen Gemeinden, wo die Anzahl der Gäste die Wirtschaftlichkeit der Geschäfte auch in kleinen Orten unterstützt. Mir ist wichtig, genau zu analysieren, bevor Lösungen formuliert werden. Eines der Probleme ist, dass die Kunden ein umfassendes und auch kostengünstiges Warenangebot wünschen, damit ein Geschäft, attraktiv ist. In kleineren Orten mit nur wenigen Einwohnern und schwacher Kundenfrequenz ist ein Nahversorger daher oft nicht wirtschaftlich.
Viele Verbraucher ziehen es jetzt schon vor, zu größeren Discountern zu fahren, um günstigere Preise zu erhalten. Um die Nahversorgung flächendeckend zu verbessern, sind daher verschiedene Ansätze notwendig:
Wirtschaftlichkeit sichern: Eine Weiterentwicklung der personalfreien Läden, die in Ansätzen schon sehr gut funktionieren, sollte die Wirtschaftlichkeit von Läden in ländlichen Gebieten gewährleisten. Digitale Lösungen wie die Self-Checkout-Kassen kombiniert mit 24h Kameraüberwachung sollten wir dafür weiterentwickeln. Öffnungszeiten anpassen: Die bisher einheitliche Öffnungszeitenregelung für ganz Österreich sollten wir für ländliche Regionen überdenken. Für entlegene Regionen könnten erweiterte Regelungen – bspw. Nacht- bzw. Samstag und Sonntagsöffnung sinnvoll sein. Tankstellenshops könnten als Vorbild dienen, die dann halt auch ohne Tankstelle – aber dafür im Ortskern länger offen haben und damit einen Grundbedarf an Nahversorgung decken. Ergänzt werden sollte das mit Mobilitätslösungen wie Rufbussystemen. Da nicht jeder Ort eine angemessene Nahversorgung bieten kann, ermöglicht ein Rufbus oder Gemeindetaxi den Menschen, zu Nahversorgungsorten zu gelangen. Ein Beispiel ist das VORflex-System, das in einer niederösterreichischen Pilotregion bereits sehr erfolgreich umgesetzt wird. Dabei handelt es sich um ein flexibles Rufbussystem, das in bestehende Linien integriert ist und es ermöglicht, den Bus bei Bedarf vorab zu bestellen. In meiner Gemeinde gibt es dafür zum Beispiel 60 definierte Haltepunkte, zu denen die Nutzer zu Fuß gehen können, um dann von dort zum Einkaufsort und wieder zurück mit dem VORflex Rufbus zu fahren. Diese Mobilitätslösungen sind entscheidend, um sicherzustellen, dass auch ältere oder weniger mobile Menschen Zugang zu Nahversorgung haben.

Im Hinblick auf E-Voting haben Sie einen Vorstoß gemacht und die Regierung aufgefordert, dieses System in Zukunft bei Wahlen einzuführen. Bisher scheint die Reaktion jedoch eher verhalten zu sein. Glauben Sie, dass Sie weiterhin an diesem Thema dranbleiben werden, oder erwarten Sie, dass sich das Bewusstsein für E-Voting in den kommenden Jahren möglicherweise ändern könnte? 
Die Diskussion über E-Voting bleibt aktiv, und es ist wichtig zu betonen, dass das traditionelle Wählen im Wahllokal mit Wahlzetteln Vorrang hat und nicht abgeschafft werden soll. Das Ziel ist, ein E-Voting-Angebot für diejenigen zu schaffen, die das herkömmliche Wählen nicht nutzen. Der Vorstoß zielt darauf ab, die Digitalwirtschaft und die Verwaltung zu motivieren, Lösungen zu entwickeln, selbst wenn die Diskussion gerade von einer reflexartigen Skepsis über die Machbarkeit begleitet wird. Es ist auch für mich unrealistisch, sofortige Ergebnisse zu erwarten; der Prozess wird Zeit benötigen. Dennoch sollen die Vorteile des E-Votings hervorgehoben werden, wie die Erleichterung für Wähler und die Entlastung der Wahlkommissionen, wie im Beispiel Estlands zu sehen ist, wo 60 Prozent der Wähler E-Voting nutzen. Die Aufforderung an die Digitalwirtschaft besteht darin, die Anforderungen des Verfassungsgerichtshofs zu berücksichtigen und die Umsetzung von E-Voting voranzutreiben. 

Anlässlich der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft sind wir hier auf einem Ungarn-Besuch. Was für Dinge könnte man sich von ungarischen Gemeinden als Gemeindebund oder als Gemeinde abschauen?
Der Bürgermeister der Gemeinde Diósjenő hat den Wunsch geäußert, mit seiner Gemeinde ein Wohlstandsniveau zu erreichen, das Österreich bereits hat. Mich hat das aufgerüttelt, weil es auch bei uns in den Gemeinden wieder wichtiger werden muss, nicht nur bestehende Erfolge zu verteidigen, sondern auch neue Ziele zu verfolgen. Der Bürgermeister von Diósjenő hat eine klare Vision für die Zukunft seiner Gemeinde. Diesen Gestaltungswillen, den wir überall gespürt haben, den nehme ich mir mit nach Österreich. Dann werden wir die großen Herausforderungen der nächsten Zeit auch bestens meistern.

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