Verfassungsgerichtshof
Kinder müssen in Asylfragen angehört werden
Kinder sollen bei Entscheidungen über Asylbescheide angehört werden. Diese Entscheidung traf der Verfassungsgerichtshof im konkreten Fall eines Geschwisterpaars aus Kasachstan, das mit ihrer Mutter abgeschoben werden sollte. Das sei eine "willkürliche Entscheidung" gewesen und müsse nun neu geprüft werden. Unterdessen sieht Irmgard Griss von der Kindeswohlkommission erste Erfolge.
ÖSTERREICH. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, dass auch Kinder bei Entscheidungen in Asylfragen angehört werden müssen, lässt an den Fall Tina im Jahr 2021 erinnern. Die damals zwölfjährige und voll integrierte Tina wurde am 28. Jänner 2021 mit ihrer Familie nach einem negativen Asylbescheid nach Georgien abgeschoben. Ihre Schule wie auch prominente Unterstützerinnen und Unterstützer versuchten bis zur letzten Minute, die Abschiebung des in Österreich geborenen Mädchens zu verhindern. 18 Monate später entschied der Verfassungsgerichtshof, dass die Abschiebung rechtswidrig gewesen war. Tina lebt schon seit Dezember 2021 wieder mit einem Schülervisum in Österreich und geht zur Schule.
Geschwisterpaar aus Kasachstan
Nun geht es um eine weitere Familie, die abgeschoben werden sollte. Ein zehn- und zwölfjähriges Geschwisterpaar aus Kasachstan erhielt gemeinsam mit ihrer Mutter einen negativen Asylbescheid, wie Ö1 im Morgenjournal berichtet. Die Familie war vor neun Jahren nach Österreich gekommen, als die beiden Kinder noch Kleinkinder gewesen waren. Norbert Kittenberger, Rechtsanwalt der auf Asyl- und Menschenrechtsfragen spezialisierten Dr. Julia Ecker Kanzlei, brachte den Fall vor den Verfassungsgerichtshof. Er war erfolgreich, der negative Asylbescheid wurde für rechtswidrig erklärt.
Die konkrete Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes lautet wie folgt:
"Im konkreten Fall erweist sich die Ermittlungstätigkeit im Bezug auf Aspekte des Kindeswohls als unzureichend, zumal die beiden Minderjährigen nicht zu ihrer Situation befragt wurden."
Weiters heißt es in der Entscheidung:
"Für diese Beurteilung ist relevant, wo und wann das Kind geboren ist, ab welchem Alter es in Österreich lebt, ob es die Sprache des Herkunftsstaates beherrscht, ob es bereits einmal im Herkunftsstaat gelebt hat, welche sozialen Tätigkeiten bislang in Österreich gesetzt wurden, insbesondere ob und inwieweit in Österreich die Schule besucht wurde, sowie die Frage, ob sich das Kind in einem anpassungsfähigen Alter befindet."
"Willkürliche Entscheidung"
Deshalb sei es nicht nachvollziehbar, warum das Bundesverwaltungsgericht einer Abschiebung zugestimmt hatte, wenn es die Integration der Kinder gar nicht hätte beurteilen können. Sogar von einer "willkürlichen Entscheidung" sei die Rede. Dazu Kittenberger im Morgenjournal: "Oft schaut man sich in Asylfällen an, welche Auswirkungen die Entscheidungen auf Erwachsene haben können und hängt die Kinder quasi dran." Es würde schon länger heißen, dass die Interessen der Kinder beachtet werden sollen, "aber oft wird es nicht gemacht", so Kittenberger.
Somit gibt der Verfassungsgerichtshof zum ersten Mal vor, was Behörden und zuständige Gerichte zu beachten hätten, sobald es um die Abschiebung von Kindern geht. Im Fall der Geschwister aus Kasachstan muss nun erneut entschieden werden, ob sie wirklich mit ihrer Mutter abgeschoben werden sollen oder nicht.
Irmgard Griss: "Unverständlich"
Irmgard Griss, ehemalige Richterin des Obersten Gerichtshofs und Präsidentin der Kindeswohlkommission, sieht in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs eine Folge der Arbeit der Kindeswohlkommission. Denn die Kriterien, die der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung nennt, seien auch jene, die die Kindeswohlkommission in einem Bericht bereits vorgelegt hatte.
Ein großes Problem sieht Griss in den langen Verfahrensdauern. "Je länger das Verfahren dauert, desto stärker sind die Kinder im Regelfall in Österreich integriert und desto stärker müssen auch die Interessen der Kinder gewichtet werden", so die NEOS-Politikerin im Ö1-Morgenjournal. Für sie sei es "unverständlich, dass man sich nicht näher damit auseinandersetzt, wie es den Kindern geht".
Kinder müssen angehört werden
Es sei für Kinder sinnvoll und zumutbar, im Asylverfahren angehört zu werden, "von dem Alter an, wo Kinder sich verständlich äußern können". Mit acht- oder zehnjährigen Kindern könne man sprechen, eine "absolute Altersgrenze" sieht Griss nicht. Sie fordert jedoch entsprechende Schulungen für Richterinnen und Richter sowie Referentinnen und Referenten ein: Sie müssten lernen, wie man mit Kindern spricht, wie man mit ihnen umgeht und was es mit Kindern mache, wenn sie stundenlang im Gericht warten müssten, ohne dass sich jemand um sie kümmern kann.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits Richtlinien für das Kindeswohl ausgearbeitet. Darin sieht Griss "eine sehr positive Entwicklung", ein Bewusstsein wurde "bis zu einem gewissen Grad" bereits erreicht. Jedoch fehle immer noch ein "ständiges Kinderrechte-Monitoring".
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