Thomas Waitz, Listen-Zweiter
Gesetzesblockade ist "billiger Populismus"

Thomas Waitz ist auf der Liste der Grünen die Nummer zwei bei der Europawahl, bietet sich aber als Nummer Eins an. Im Interview mit MeinBezirk.at kritisiert er die ÖVP für ihren Umgang mit dem Renaturierungsgesetz, das die Partei blockiert. | Foto: Thomas Waitz
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  • Thomas Waitz ist auf der Liste der Grünen die Nummer zwei bei der Europawahl, bietet sich aber als Nummer Eins an. Im Interview mit MeinBezirk.at kritisiert er die ÖVP für ihren Umgang mit dem Renaturierungsgesetz, das die Partei blockiert.
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Der grüne EU-Abgeordnete und Listen-Zweiter für die kommenden EU-Wahlen, Thomas Waitz über seine Parteikollegin Lena Schilling, die Gratwanderung bei Gentechnik, den "Populismus" der ÖVP punkto Renaturierungsgesetz, und das Verbrenner-Aus.

ÖSTERREICH. Thomas Waitz, EU-Abgeordneter der Grünen und Co-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei, könnte die Listen-Erste Lena Schilling bei der EU-Wahl überholen. Der gebürtige Steirer ist bekannt für seinen Kampf gegen das grausame Fleischproduktionssystem, das „Kälber aus Österreich in den Nahen Osten exportiert, während wir wiederum unser Kalbschnitzel von Massentierhaltungsbetrieben aus den Niederlanden importieren.“ Als Bio-Bauer und Forstwirt weiß er nicht nur, woher unsere Lebensmittel kommen und wohin sie gehen, er hat seinen Blick auch auf unsere ökologische Zukunft gerichtet und kämpft für ein grünes Morgen für Mensch und Tier. Im Interview schießt er scharf gegen den Koalitionspartner ÖVP.

MeinBezirk.at: Sie vertreten seit 2017 die Grünen im EU-Parlament und haben sich als künftiger EU-Delegationsleiter der Grünen in der ORF-Sendung „Hohes Haus“ ins Spiel gebracht. Warum sollte man Thomas Waitz und nicht Lena Schilling wählen?
Thomas Waitz: Gerne sollen Menschen Lena Schilling wählen. Ich habe nur meine Bereitschaft dazu kundgetan. Die Leitung in Brüssel heißt extra Arbeit. Da gibt es kein extra Geld dafür und kein extra Personal. Da gibt es vor allem eine Koordinationsaufgabe Richtung Österreich. Das hat nichts damit zu tun, wer wie auf der Listenreihung ist, und ich stehe nach wie vor dazu. Ich wollte immer Nummer zwei sein und bin nach wie vor Nummer zwei. 

Sie kandidieren als Listenzweiter bei der EU-Wahl. Mit 5 Prozent der Vorzugsstimmen (also, wenn die WählerInnen bewusst Ihren Namen oder die Ziffer 2 ins Kästchen schreiben) wären Sie automatisch vorgereiht. Rechnen Sie damit?
Nein, ich rechne nicht damit. Ich finde es aber gut, dass Bürgerinnen und Bürger darauf aufmerksam gemacht werden und ich hoffe, dass viele unserer Wähler und Wählerinnen grundsätzlich Vorzugsstimmen vergeben. Eine Vorzugsstimme für unsere Dritt-gereihte Ines Vukajlović ist sicher auch eine sehr gute Wahl. Ich hoffe ja immer noch darauf, dass wir zu dritt in das Parlament einziehen. Sie ist eine hervorragende Sozial- und Integrations- und Menschenrechtspolitikerin, die wirklich begeistern kann. Also ich freue mich über Vorzugsstimmen für uns alle, auch für Lena Schilling.

Laut einer von Peter Hajek für ATV und Puls 24 durchgeführten Erhebung liegen die Grünen nunmehr bei zehn Prozent, im Vergleich zu November bedeutet das bloß ein Minus von zwei Prozentpunkten. Die Grünen schnitten mit 14 Prozent bei der letzten EU-Wahl recht passabel ab und waren zuletzt mit drei Abgeordneten im EU-Parlament vertreten. Wie viele Mandate erwarten Sie nach der Wahl?
Ich glaube, dass die Vertretung grüner Anliegen in der Europäischen Union zentral ist für die Zukunft der Bürgerbürgerinnen und Bürger, Österreichs und der Europäischen Union, für die nächsten Generationen, auch für Fairness in der Gesellschaft. Das sind die Themen, für die ich auf der Straße stehe und wie viele Mandate es dann wirklich werden, diese Entscheidung liegt in der Hand der Wähler und Wählerinnen. Aber ich bin immer noch motiviert, auch für das dritte Mandat zu kämpfen. 

Die Grünen lehnten zu Jahresbeginn die Lockerung der neuen Gentechnik (NGTs) entschieden ab, da sie mangelnde Transparenz beim Einkauf und wirtschaftliche Bedrängnis für biozertifizierte Landwirte befürchten. Sie kritisieren, dass die Europäische Volkspartei das Gesetz ohne ausreichende Debatte und Kompromissbereitschaft im Eiltempo durchzusetzen versuchte. Wie ist die Haltung der Grünen zur Gentechnik?
Insbesondere dort, wo sie in geschlossenen Systemen angewandt wird, zur Erzeugung von Medikamenten oder auch bestimmten Rohstoffen, ist Gentechnik zulässig. Wenn es um die Ausbringung in die freie Natur geht, geht es mir um eines: Es muss das Vorsorgeprinzip gewahrt bleiben. Derzeit braucht es eine umfassende Prüfung, ob gentechnisch veränderte Pflanzen negative Auswirkungen auf die Umwelt bzw. negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Und dieses Vorsorgeprinzip abzuschaffen, das halte ich für fahrlässig. Auch die Frage der Kennzeichnung ist wichtig: Unsere Bürger und Bürgerinnen haben ein Recht darauf zu erfahren, was sie kaufen und was sie essen. In diesem einen Bereich gibt es auch die Unterstützung von manchen konservativen Abgeordneten, die Patentierbarkeit von Leben. Bei Gentechnik mit klassischen Züchtungsmethoden kann es dazu kommen, dass praktisch jede Art von Saatgut, egal mit oder ohne Gentechnik, patentiert werden kann. Wir haben heute schon vier Weltkonzerne, die mehr als 50 Prozent des Saatgutmarktes beherrschen und das sind alles vier Chemiekonzerne, die wollen vor allem ihre Chemie verkaufen, und erzählen uns da irgendwas von Klimaresistenz und irgendwo, wenn man sich ansieht, was heute zur Patentanmeldung angemeldet ist, dann sind 98, 99 Prozent aller Patentanmeldungen herbizidresistente Pflanzen, Pestizid angepasste Pflanzen und genau nicht das, was uns die Industrie hier das Blaue vom Himmel verspricht. 

Soll Umweltministerin Gewessler im EU-Rat für das Renaturierungsgesetz stimmen?
Wenn alle einheitlich dagegen stimmen, muss es sich daran halten, ist sie gebunden. Allerdings haben zwei rote Bundesländer angekündigt, dass sie aus dieser einheitlichen Bundesländerstellungnahme ausscheren. Das reicht aber nicht. Gleichzeitig beharrt die ÖVP, dass es ihre Zustimmung braucht. Das ist für mich absurd. Der Landwirtschaftsminister fragt ja auch nicht die Umweltministerin, wenn er der Abschaffung der Umweltvorgaben in der gemeinsamen Agrarpolitik zustimmt. Das ist üblich so, dass die Minister und Ministerinnen in ihren Zuständigkeitsbereichen selbst entscheiden. 

Der Landwirtschaftsminister verweist bei seinen Argumenten darauf, dass Österreich in den meisten Bereichen ohnehin schon Vorreiter ist, sodass wir das Gesetz nicht brauchen. Und dass dieses Gesetz dazu führen würde, dass die Landwirtinnen und Landwirte noch mehr bürokratische Hürden aufgebunden bekommen....
Das sind echte Falschnachrichten vom Herrn Minister. Das Einzige, was daran stimmt, ist, dass Österreich heute schon in vielen Bereichen die Kriterien erfüllt, also gar nicht einmal so viel tun müsste. Und dass der Herr Minister durchaus versteht, warum die Renaturierung wichtig ist, sieht man an einem Staatsvertrag, der in Vorarlberg zwischen Österreich und der Schweiz getroffen wurde, zur Renaturierung des Rheins, um Überschwemmungen unserer Siedlungsgebiete zu verhindern. Da stellt er sich nachher auf die Brücke zwischen Lustenau und der Schweiz und verkündet mit Freuden die Unterschrift unter dieses Renaturierungsprojekt.
Also offensichtlich hat er schon verstanden, warum es wichtig ist. Und das gleichzeitig auf europäischer Ebene zu blockieren, ist billiger Populismus. Und die Bauern aufzuhetzen, ist eine Fake-News-Kampagne, die die ÖVP gerade in verschiedenen Bereichen macht. Niemand soll dabei enteignet werden! Das ist schlichtweg falsch. Mir bleibt eigentlich die Luft weg, weil wie kann man so unverfroren Falschnachrichten in die Öffentlichkeit hinaus posaunen. Das ist absolut unseriös.

Gewessler will Renaturierungsgesetz unterschreiben

Was wären die größten Vorteile des Renaturierungsgesetzes aus Ihrer Sicht?
Es geht darum, Flüssen wieder Überschwemmungsgebiete und Platz zur Verfügung zu stellen, um von den Kanälen wegzukommen, damit diese mehr Wasser fassen können, damit Überschwemmungsgebiete da sind, wo der Fluss übergehen kann. Wir haben leider immer öfter Extremwetterereignisse. Wir könnten mit dem Gesetz verhindern, dass unsere Siedlungs- und Gewerbegebiete künftig überschwemmt werden. In Slowenien hat die Schadenssumme durch Überschwemmungen 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Das ist fast ein Drittel des gesamten Steueraufkommens! Das ist für einen Staat kaum mehr zu stemmen. Und selbstverständlich müssen Landwirte, deren Grund und Boden für Renaturierung gebraucht wird, dafür entschädigt werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel in den Salzach-Auen in Salzburg: Da wurden gerade vom Land 500 Hektar Aue angekauft.
Es geht auch um die Vernässung von Mooren, auch da geht es darum, das Wasser am Land zu halten, um dem Wasser Zeit zu geben, in den Grundwasserkörper einzusickern, weil wir haben immer mehr Dürren, auch im Sommer, und da brauchen wir in der Landwirtschaft dringend immer mehr Grundwasser, um unsere Flächen zu bewässern und in einen naturnahen Zustand zu versetzen. In meiner Heimat, der Südsteiermark, brauchen wir da genau gar nichts ändern, weil wir arbeiten sehr naturnah mit sogenannter Plenterwirtschaft (Unter „Plenterwirtschaft“ versteht man eine „urwaldähnliche“ Waldbewirtschaftung, bei der – im Unterschied zur Kahlschlagwirtschaft – Einzelbäume aus einem alters- und arten mäßig sehr unterschiedlich aufgebauten Waldbestand entnommen werden, Anm.). Auch die Bundesforste betreiben übrigens mittlerweile naturnahe Waldwirtschaft. Da könnten wir uns eigentlich stolz hinstellen und sagen, wir machen das bereits. Bei den Agrarflächen geht es darum, in Ackergebieten, die mit Trockenheit kämpfen, weiter Getreideproduktion zu ermöglichen. Da geht es um Anpassung an den Klimawandel und um eine Sicherstellung der Produktion, sowohl von Holz als auch von Landwirtschaft, und um eine Sicherung des Eigentums von Bürgern und Bürgerinnen, um Überschwemmungen zu verhindern.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig hat in einem Maßnahmenkatalog ein Zukunftsbild für Österreichs Landwirtschaft und den ländlichen Raum erarbeiten lassen. Dabei wurde als größte Bedrohung für Österreichs Landwirtschaft der Green Deal der EU-Kommission gesehen. Wie sehen Sie das als Bio-Bauer?
27 Prozent Biolandwirtschaft in Österreich und der Green Deal sollen dafür sorgen, vor allem im Landwirtschaftsbereich, weil die gemeinsame Agrarpolitik wurde ja vor dem Green Deal beschlossen. Ich weiß nicht, ob das dem Herrn Minister noch bewusst ist. Das Problem, das wir in der Landwirtschaft haben, ist, dass die Erzeugerpreise den Landwirten kein Überleben mehr erlauben. Wir verlieren tausend Betriebe pro Tag in der Europäischen Union und wir müssen dafür sorgen, dass Landwirte und Landwirtinnen für umweltfreundliche, klimafreundliche und tierwohlfreundliche Landwirtschaft auch einen vernünftigen Erzeugerpreis bekommen. Und da geht es um die Frage der Lebensmittelimporte in die Europäische Union, das ist ein unfairer Wettbewerb. Vor allem auch halten wir diesen Kostendruck nicht aus. Die Förderverteilung in der Europäischen Union geht massiv zugunsten von Großbetrieben und zulasten von kleinen Betrieben. Das zerstört uns die Landwirtschaft. Und der Handel und die Weiterverarbeiter, also wenn man sich die Wertschöpfungskette ansieht, wie wenig davon bei den Bauern liegen bleibt und wie sehr andere sich eine goldene Nase daran verdienen, dann haben wir auch da ein Problem. Auch der Verdacht auf Kartellbildung, etwa bei den Supermärkten, stellt ein Problem dar. Das sind die wirklichen Probleme der Landwirtschaft. Das eigene Versagen von 60 Jahren Agrarpolitik der ÖVP jetzt auf den Green Deal zu schieben, das ist purer Wahlkaufpopulismus.

Qualität zu Dumpingpreisen als Hürde für Bauern

Soll die EU an den Plänen zum Verbrenner-Aus 2035 festhalten? 
Auch hier führt die ÖVP in die Irre: Hier geht es um eine neue Zulassung von Fahrzeugen. Das heißt, niemandem soll sein Auto weggenommen werden. Es werden also auch noch länger Verbrenner auf unseren Straßen unterwegs sein. Und es ist auch falsch, dass es ausschließlich Elektroautos sein sollen. Künftig sollen mehrere Technologien zum Einsatz kommen können, aber eben keine Emissionen. Denn wir wissen, die Verbrennung von fossilen Energieträgern, die wir aus dem Boden ausgraben, führt zur Klimaerwärmung. Außerdem gibt es Zehntausende frühzeitige Tote in der Europäischen Union aufgrund der Luftverschmutzung, die maßgeblich vom Verkehr, also vom Verbrenner kommt. Und drittens haben wir ein Problem, dass der Verbrennermotor wenig effizient ist. Es ist eine Technologie, die im letzten Jahrtausend gut funktioniert hat, wo wir auch wirtschaftlich gut davon profitiert haben. Nun sollten wir jene Technologien in der Autoindustrie produzieren, die in diesem Jahrtausend gefragt sind und nicht krampfhaft an dem festhalten, was früher mal gut funktioniert hat. Es geht darum, dass wir uns weiterentwickeln. Es geht auch um die Effizienz des Energieeinsatzes. Da zählt der Verbrenner nicht zu den effizientesten Motoren.

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