Mehr Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nötig
200.000 leben in Österreich in Armut
Somit sind Laut Statistik Austria sind zwei Prozent der Bevölkerung erheblich sozial und materiell benachteiligt. Das bedeutet für Betroffen hierzulande eine Einschränkung im Alltag. Severin Rapp von der WU Wien erklärt, dass dazu sieben der 13 Punkte zutreffen müssen. "Das sind Dinge wie, dass unerwartete Ausgaben nicht finanziert werden können oder, dass sie im Zahlungsrückstand sind", so Rapp im Ö1-Mittagsjournal. Für Martin Schenk, Mitbegründer der Armutskonferenz, sei gewiss, dass es kein Herumkommen um Veränderungen bei der Sozialhilfe oder dem Arbeitslosengeld gebe.
ÖSTERREICH. 18 Prozent der Bevölkerung sind zwar nicht arm, dafür aber armuts- und ausgrenzungsgefährdet. Das liegt daran, dass das Median-Einkommen etwa durch Kollektivverträge jährlich steigt, während andere lange Zeit auf eine solche Erhöhung warten. Sie rutschen dann in gewisser Weise unter die Armutsgrenze ab, weil sie im Vergleich zur übrigen Gesellschaft deutlich weniger verdienen. Hat ein Haushalt nur bis zu 60 Prozent des Median-Einkommens zur Verfügung, so gilt dieser als einkommensarm. Für Ein-Personen-Haushalte lag diese Grenze 2022 bei 1.392 Euro netto monatlich.
Soziologin Christine Siegert gibt zu bedenken, dass bei der Studie Haushalte als Ganzes befragt wurden. Einkommensungleichheiten innerhalb von Haushalten, etwa wenn eine Person deutlich mehr verdient als die andere, kann es zu finanziellen Abhängigkeiten kommen. Wohnungslose, Menschen in Alten- und Pflegeheimen sowie Flüchtlingsheime oder Behinderteneinrichtungen wurden bei der Studie nicht berücksichtigt, weshalb diese nur einen Bruchteil der Realität abbilde, so Siegert.
Soziale versus materielle Armut
200.000 Menschen in Österreich – 41.000 mehr als im Jahr davor – lebten 2022 in Armut. Die Risikogruppen sind nach wie vor Alleinerziehende, Haushalte mit Kindern, Arbeitslose, alte Menschen und chronisch Kranke, weiß Martin Schenk. Gerade Letzteren wird besonders wenig Aufmerksamkeit gewidmet. "Und zwar kann das Mama oder Papa sein – oder Kinder, die eine psychische oder physische Erkrankung haben. Das sind alte Frauen, Frauen über 65, die allein stehen und 'Working Poor' (Menschen die trotz Erwerbstätigkeit in Armut leben, Anm.)", erläutert Schenk.
Um beispielsweise (Kinder-)Armut besser definieren zu können, wurden Kinder dazu befragt. Dabei unterscheiden sie zwei Kategorien: arm drauf oder arm dran zu sein. "Arm dran haben sie gemeint, wenn die Mama Mitte des Monats nicht mehr weiß wie sie die Miete bezahlen soll, wenn der Papa arbeitslos wird", so Schenk. "Arm drauf" sei man, wenn man in der Klasse etwa von Mobbing betroffen oder die Wohnung schimmelig und kein Ort zum Lernen sei. Es gibt also eine Unterscheidung zwischen materieller und sozialer bzw. gesundheitlicher Armut. Studien hätten gezeigt, dass Kinder, die in Armut aufwuchsen, Schmerz dreimal so stark empfinden wie besser gestellte Kinder. Auch Corona habe starke Auswirkungen auf das Wohlbefinden gehabt, wovon Kinder unter der Armutsgrenze deutlich stärker betroffen waren.
Strukturelle Veränderung unvermeidbar
Wo vorher strukturelle Probleme waren, seien auch jetzt noch welche – unabhängig von der Teuerung: "Das sind schlechte Sozialhilfe, die nicht funktioniert, das Arbeitslosengeld, das sehr niedrig ist im europäischen Vergleich, ein Bildungssystem das eher untere Einkommen benachteiligt. Da gibt es sehr viele Probleme, die man gleichzeitig angehen muss, dann hat man hohen Impact."
Die Regierung habe zwar bereits Maßnahmen gesetzt, diese hätten 2022 auch Wirkung gezeigt und noch mehr Armut verhindert. Aus diesem Jahr stammen auch die aktuell verfügbaren Daten. "Einerseits: Ja, wenn man sozialstaatliche Maßnahmen ergreift, wirken sie. 2023 trifft das leider nicht mehr zu, weil die Teuerung so in die Höhe gegangen ist, dass diese Maßnahmen jetzt nicht mehr ausreichen", erklärt Schenk.
Nun brauche es strukturelle Veränderung bei der Sozialhilfe, dem Arbeitslosengeld und die Schließung der Therapielücke bei Kinder und Jugendlichen, wenn es um psychische Erkrankungen gehe. "Man muss kombinieren Geldleistungen mit Infrastruktur und Dienstleistungen: Dann hat man eine Wirkung."
Das könnte dich auch interessieren:
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.