Inklusionspreis 2024
Die besten Projekte für gelebte Inklusion stehen fest
Der Österreichische Inklusionspreis hat in diesem Jahr mit insgesamt 130 Einreichungen einen neuen Rekord aufgestellt. Die neun Preiskategorien decken wichtige Lebensbereiche ab, darunter Bildung, Arbeit & Wirtschaft, Medien & Kommunikation, Gesundheit, Freizeit & Kultur, sowie Technologie & Digitalisierung. Gemeinsam mit den Österreichischen Lotterien zeichnete die Lebenshilfe Österreich Organisationen und Initiativen aus, die neue Maßstäbe für Barrierefreiheit und gesellschaftliche Teilhabe setzen.
ÖSTERREICH. Ein Highlight ist der Förderpreis, der mit 5.000 Euro dotiert ist und an das vielversprechendste Projekt vergeben wird. Die Siegerprojekte wurden bereits benachrichtigt und kommen aus verschiedenen Regionen Österreichs. Besonders bemerkenswert ist, dass Wien gleich mehrere Preisträger stellt. Die Projekte zeichnen sich durch Innovation, gesellschaftliche Teilhabe und Übertragbarkeit aus – zentrale Kriterien bei der Jurybewertung.
Die Gala mit der feierlichen Preisverleihung fand am 26. November 2024 statt. Die Verleihung fand im Kursalon Hübner in Wien statt und wurde von ORF-Moderatorin Miriam Labus moderiert. Die Jury setzt sich aus Expertinnen und Experten für Inklusion, Barrierefreiheit und gesellschaftliches Engagement zusammen:
- Christine Steger (Behindertenanwältin, Republik Österreich)
- Franz-Joseph Huainigg (Beauftragter für Barrierefreiheit, ORF)
- Hanna Kamrat (Vizepräsidentin, Lebenshilfe Österreich)
- Julia Moser (Mitgründerin von FmB – Frauen* mit Behinderungen)
- Lena Öllinger (Inklusionsexpertin, MyAbility)
- Maria Jelenko-Benedikt (MeinBezirk.att)
Auch prominente Persönlichkeiten wie der Musiker Paul Pizzera, der Athlet Andreas Onea oder die Journalistin Nina Horazcek gehören zur Jury, konnten jedoch diesmal nicht anwesend sein.
Sonderpreis Lebenshilfe: Café Mia
Im Café Mia, das von der Bäckerei Mangold betrieben wird, arbeiten heute sieben Menschen mit Behinderungen. Gemeinsam mit den Partnern Lebenshilfe Vorarlberg und Bäckerei Mangold wurde ein Platz für Freunde des Genusses und für Menschen mit Beeinträchtigung geschaffen. Die Personen werden von einer Mentorin des Landeskrankenhauses Hohenems betreut, ansonsten wird das Café ausschließlich von den Menschen mit Behinderungen betrieben. Das Sortiment, die Bezahlmöglichkeiten und das Konzept, das die Mitarbeit auch für kognitiv schwächere Menschen ermöglicht, ist ein Modell, das vervielfältigt werden kann und Menschen mit Behinderungen die Chance auf neue, inklusive Arbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt ermöglicht.
Das Projekt bzw. das System, das im Café Mia zum Einsatz kommt, kann jederzeit auch auf andere Standorte angewendet werden. Zentrales Element ist das Bestellsystem mit Karten sowie die ausschließlich bargeldlose Bezahlmöglichkeit. Sowie ein auf die Möglichkeiten angepasstes, reduziertes Sortiment. Da das Sortiment reduziert ist, sowie auch die Öffnungszeiten zum Teil an die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen angepasst wurden (keine Wochenenddienste), ist es das Ziel, dass sich das Café Mia mit einer schwarzen Null selbst trägt.
Technologie & Digitalisierung: INNklusion
Die Initiative „INNklusion“ setzt auf interdisziplinäre Zusammenarbeit, um innovative Assistenzlösungen zu entwickeln. Studierende und Menschen mit Behinderungen arbeiten in verschiedenen Lehrveranstaltungen gemeinsam daran, bestehende Barrieren abzubauen und Inklusion aktiv zu fördern. In enger Zusammenarbeit mit den Ideengeberinnen und Ideengebern analysieren sie Bedürfnisse, erarbeiten Konzepte und testen Prototypen – alles mit dem Ziel, die Gesellschaft nachhaltig inklusiver zu gestalten.
Wesentlich ist dabei, dass Menschen mit Behinderungen in jeder Phase des Entwicklungsprozesses eingebunden werden, von der Bedarfsanalyse bis hin zur praktischen Umsetzung. Durch individuell angepasste Lehrkonzepte, kontinuierliche Betreuung und Reflexion wird eine diskriminierungsfreie Umgebung geschaffen, die allen Beteiligten Raum für aktive Mitgestaltung bietet. Ein regelmäßiger Austausch fördert nicht nur die Integration von Studierenden und Menschen mit Behinderungen, sondern ermöglicht auch einem breiteren Publikum den Zugang zu diesen Entwicklungen – etwa durch öffentliche Vernetzungstreffen.
Das Projekt stellt nicht nur den Austausch und die persönliche Erfahrung in den Vordergrund, sondern auch die Entwicklung konkreter, barrierefreier Lösungen wie etwa für den öffentlichen Nahverkehr oder das Einkaufen in reizarmen Umgebungen. Diese innovativen Ideen sollen die Gesellschaft sensibilisieren, Vorurteile abbauen und eine breitere Akzeptanz schaffen.
Die entwickelten Assistenztechnologien werden auf der Website der Initiative sowie in Online-Datenbanken zur freien Verfügung gestellt, ergänzt durch umfassende Nutzungsdokumentationen. Diese Materialien zielen darauf ab, eine möglichst breite Verbreitung zu ermöglichen und die Implementierung der Lösungen zu erleichtern.
Gesundheit: barrierefreie Sexualpädagogik
Die sexuelle Selbstbestimmung von jungen Menschen zu fördern, ist ein zentrales Anliegen des Vereins. Dabei ist der Zugang zu sexueller Bildung für viele Kinder und Jugendliche, insbesondere für jene mit Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen, oft mit Barrieren verbunden. Mit speziell entwickelten Workshops bietet der Verein Rosalinda einen barrierefreien Zugang zu sexualpädagogischen Themen.
Das Ziel dieses Projekts ist sexuelle Bildung für alle – besonders für Kinder und Jugendliche, die einen Bedarf an einem barrierefreien Zugang haben. Dazu gehören Schülerinnen und Schüler im Bereich der Inklusion und Sonderpädagogik, Förderklassen, Familienklassen sowie Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer Lebensgeschichte bisher nicht ausreichend Zugang zu sexueller (Basis-)Bildung erhalten haben. Der Ansatz fördert die Selbstwirksamkeit, sexuelle Gesundheit und Selbstbestimmung dieser jungen Menschen.
In Wien existieren zwar zahlreiche Institutionen, die sexuelle Bildung anbieten, jedoch richtet sich dieses Projekt mit speziellen Qualifikationen wie Traumapädagogik, Sonderpädagogik, Sexualpädagogik und unterstützter Kommunikation gezielt an die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen, die bislang nicht im Fokus der sexuellen Bildung standen. Der Ansatz fördert die Selbstwirksamkeit, sexuelle Gesundheit und Selbstbestimmung junger Menschen.
Freizeit & Kultur: Salon Stolz
Entdecke das Leben und Werk des Komponisten und Dirigenten Robert Stolz. Mit dem Salon Stolz ist eine Kultureinrichtung geschaffen worden, die die Musik und das Lebenswerk von Robert Stolz allen Menschen zugänglich macht. Ein durch und durch inklusiver Ort, der die Melodien von Robert Stolz ins heute tragen soll.
Salon Stolz macht Lust auf Musik und schafft Raum für Begegnung und gemeinsame Erlebnisse. Räumlich und inhaltlich ist der Salon für alle Menschen zugänglich. Das inklusive und interaktive Museum macht Musik und Tanz für alle Menschen erlebbar, unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen. Es gibt Angebote in Gebärdensprache, zum Tasten, Hören, Sehen, inklusive Programme, speziell geschultes Personal und eine gelebte Willkommenskultur.
Medien & Kommunikation: Perspektivenwechsel
„Perspektivenwechsel“ ist eine inklusive Fernsehreihe, die seit 2020 auf Okto läuft. Die Grundidee der Sendung ist es, Behinderung nicht als etwas Besonderes zu zeigen, sondern als einen Aspekt menschlicher Vielfalt. Denn Menschen mit Behinderungen leben, lieben und leisten wie andere auch. Die mediale Präsenz von Menschen mit Behinderungen sei wichtig - nicht nur auf Netflix, sondern auch im Journalismus und im Medienbetrieb. Das Team von „Perspektivenwechsel“ setzt sich für barrierefreie Videoproduktion ein:
"Wir erklären schwierige Begriffe, alle Folgen sind untertitelt und die ersten Staffeln mit Gebärdensprache (ÖGS) versehen. In unseren Sendungen treten Gäste mit und ohne Behinderung auf. Und auch in der Redaktion und am Set arbeitet ein mixed-abled Team zusammen. In vielen Medien wird nur über Menschen mit Behinderung berichtet. Selten nehmen sie eine aktive Rolle ein. Bei Perspektivenwechsel ist das vor und hinter der Kamera anders."
Perspektivenwechsel gibt es seit fünf Jahren. Bislang haben sie über 40 Folgen zu einer breiten Themenpalette produziert. Ihre Vision: Eine Art inklusive Medienakademie aufzubauen, um mehr Menschen den Zugang zur Videogestaltung zu ermöglichen und Diversity Mainstreaming zu leben.
Arbeit & Wirtschaft: Kleinstadtbiotop
Das barrierefreie KLEINSTADTBIOTOP ist ein 1.300 m² großer Wirtschaftsstandort mitten am Stadtplatz in Vöcklabruck. Inklusive Beschäftigung, Zusammenarbeit und Teilhabe stehen hier im Vordergrund. Jeden Tag wird dies von acht Geschäften, zwei Restaurants, fünf Büros der Caritas OÖ, Amnesty Youth und dem Verein KLEINSTADTBIOTOP gelebt und weiterentwickelt. Neun Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten im Handel und der Gastronomie und machen die Jause für die Nachhilfekinder der Caritas. Sie kümmern sich um den MARKTPLATZ mit Kinderspielecke, der ein Ort für Begegnungen und Veranstaltungen ist. Der SERVICE DESK (Verwaltung, Information), der offene Stricktreff und der Lebenshilfeshop wurden von der LH aufgebaut und sind wichtige Bereiche im Haus, so der Verein.
Das Motto „Shopping, Kulinarik, Erlebnis & Begegnung – Alle(s) unter einem Dach“ beschreibt dieses inklusive Projekt im Stadtzentrum, das auch noch ein Ort für verschiedene Kurse ist. 2025 sind eigene Lehrgänge für Gastronomie und Einzelhandel geplant, um die Weitervermittlung von inklusiven Beschäftigten zu erleichtern.
Bildung: Inklusive Oberstufe
Trotz unterzeichnetes UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist Schulbildung für Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen zwischen 14 und 18 Jahren de facto nur in Sonderschulen (BVJ), einem einjährigen Schultyp möglich. Das ERG Donaustadt und die Diakonie Bildung haben es sich zur Aufgabe gemacht, gegen diesen Missstand anzukämpfen und haben eine "Inklusive Oberstufe" an einer AHS ins Leben gerufen - mit Erfolg!
14 Schülerinnen und Schülern mit kognitiven Beeinträchtigungen (Down-Syndrom, Entwicklungsverzögerung, Lernbehinderung, etc.) werden in drei regulären Oberstufenklassen (5. Klasse, 6. Klasse und 7. Klasse) mit extra Inklusionspädagoginnen und -pädagogen, zusätzlichen Teamlehrerinnen und -lehrer und individueller Stundentafel unterrichtet.
So erfahren die Kinder aktiv Teilhabe mit Peers.
Über Schulversuche (siehe MORG Grödig) oder Kooperationen mit polytechnischen Schulen oder BVJ (wie am ERG Donaustadt) ist es möglich, Inklusion in der Oberstufe durchzuführen. Dazu müssen aber mehrere Stakeholder wirklich interessiert sein oder das Projekt zumindest dulden (Ministerium, Bildungsdirektionen, Partnerschulen und deren Leitungen).
Förderpreis: Our Bodies
Our Bodies ist das erste feministische Gesundheitsmagazin in Österreich. Es greift Themen rund um Körper, Gesundheit, Geschlecht und Sexualität auf, die vielfach unbekannt oder tabuisiert sind. Der Verein wirft einen kritischen Blick auf das Gesundheitssystem und richtet sich explizit an Menschen mit Behinderungen, die auch zu den Autorinnen und Autoren zählen. OurBodies.at ist barrierearm, inklusiv und kostenfrei, deswegen freuen sie sich umso mehr um den Preis derLebenshilfe Österreich:
"Barrierefreiheit bzw. -armut sowie Niederschwelligkeit sind uns wichtige Anliegen: Wir schreiben zu allen Texten eine Kurzfassung in Einfacher Sprache. Die Website ist barrierearm programmiert. In einem aktuell geförderten Teilprojekt veröffentlichen wir 10 Artikel zu Gesundheit & Menschenrechten, zu denen wir zusätzlich ÖGS-Übersetzungen anbieten."
Bei Our Bodies wird Diversität auf allen Ebenen verwirklicht: Es gibt Diversität unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den veröffentlichten Themen, den porträtierten Personen und Interviewpartnerinnen sowie -partnern.
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