Othmar Karas
Österreich als großer Gewinner der Europäischen Union

Othmar Karas: "Für mich ist klar: Ich werde bis zum letzten Tag meine Funktion als Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments ausüben." | Foto: Roland Ferrigato
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  • Othmar Karas: "Für mich ist klar: Ich werde bis zum letzten Tag meine Funktion als Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments ausüben."
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Warum wir Hauptprofiteure des Binnenmarkts sind, erklärt Othmar Karas gegenüber MeinBezirk.at.

ÖSTERREICH. Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, hatte in einer Rede im Herbst 2023 mit der ÖVP abgerechnet und bekannt gegeben, bei den Europawahlen nicht mehr für diese Partei zu kandidieren. Im Gespräch mit MeinBezirk.at erläutert Karas, der derzeit in ganz Österreich für die Teilnahme an den EU-Wahlen wirbt, warum die EU-Wahl so bedeutend für unser Land ist, warum die Rechten so gefährlich sind, und was er für eine Meinung von der Grünen Spitzenkandidatin Lena Schilling hat.

Herr Vizepräsident, Sie haben in Ihrer Rede vergangenen Herbst mit der ÖVP abgerechnet und bekannt gegeben, bei den Europawahlen nicht mehr für diese Partei zu kandidieren, auch weil Sie mit den christlich-sozialen Werten der ÖVP nicht mehr einverstanden sind. Bereuen Sie diesen Entschluss?
Nein, den Entschluss habe ich zum richtigen Zeitpunkt aus voller Überzeugung gefällt.

Sie scheinen politisch nicht abgeschlossen zu haben. Werden Sie bei den Nationalratswahlen mit einer eigenen Liste antreten?

Ich sage Ihnen offen, dass sich an meiner Position nichts geändert hat, wie ich sie am 12. Oktober vertreten habe. Für mich ist klar: Ich werde bis zum letzten Tag meine Funktion als Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments ausüben. Und das ist auch ein Grund, warum ich durch ganz Österreich fahre, um für das europäische Projekt zu werben. Ich werbe für ein Anliegen, für das Europäische Parlament als das Herzstück der europäischen Demokratie, als Bürgerkammer Europas und seine Rolle im Entscheidungsbildungsprozess in der Europäischen Union. Wir als Europaabgeordnete sind die Repräsentanten von 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern und ich werbe für ihre Arbeit und die Gestaltungsmöglichkeiten.

Sie haben in Ihrer Rede im Herbst von der "Rolle Österreichs als Bremser in der EU" gesprochen. Was muss Österreich tun, um sich in der EU als starker Partner anzubieten?
Generell ist es in der Politik wichtig, dass man für etwas eintritt, an Lösungen arbeitet und dafür Mehrheiten findet. Daher werbe ich dafür, dass die Menschen an der Wahl teilnehmen, sie sich an demokratischen Prozessen beteiligen. Denn wir können die Probleme der Zukunft und die Herausforderungen, die die Bürgerinnen und Bürger in den Gemeinden und Regionen spüren, nicht alleine meistern – vom Klimawandel über die Migration, den Energiepreis, die Inflation, die Standortqualität und die Wettbewerbsfähigkeit. Alle diese Fragen können wir nur gemeinsam bewältigen – als Motor für die Mitgestaltung der Zukunft der Europäischen Union - einer handlungsfähigeren, effizienteren, schnelleren, sozialeren und demokratischeren Union. Da können wir uns als Österreich in unserer geopolitischen Lage und mit unserer Erfahrung stark einbringen, weil wir ja im Herzen der Europäischen Union liegen. Zwei Drittel unseres Wohlstands in den Regionen erwirtschaften wir außerhalb Österreichs, aber innerhalb der Europäischen Union. Daher ist für uns der Binnenmarkt so wichtig. Der österreichische Markt hat neun Millionen Kundinnen und Kunden, der Heimatmarkt Europa hingegen 450 Millionen. Wir sind einer der Hauptprofiteure des Binnenmarkts und der Erweiterung der Europäischen Union.

Klimawandel, Inflation, Pandemie, Teuerung, Kriege: Die Krisen sind derzeit tiefgreifend wie lange nicht zuvor. Viele Menschen fürchten sich vor den Herausforderungen, von denen ja viele nur in der Europäischen Union bewältigt werden können. Trotzdem könnten die rechten Parteien stark an Stimmen gewinnen – vor allem bei den Jungen. Woher kommt dieser merkliche Rechtsruck von Parteien, die, auch in Österreich, die Europäische Union eigentlich ablehnen, und wie können sich die progressiven Kräfte gegen den Rechtsruck rüsten?
Sie haben einen treffenden Punkt angesprochen: Die Extreme wollen diese Europäische Union und die Zusammenarbeit als Teil der Lösung nicht. Sondern sie wollen Europa und die europäische Idee destabilisieren und zeigen daher immer mit dem Finger auf andere, weisen Schuld zu und versuchen, mit einer einfachen Botschaft auf komplexe Fragen zu antworten - und das ist der Nationalismus. Das kennen wir aus der Geschichte und das ist äußerst gefährlich, weil es in keiner einzigen Frage Probleme löst, Herausforderungen bewältigt oder diese als Chancen begreift, sondern eher nur die Ohnmacht stärkt. Menschen, die Sorgen haben, die Angst haben, die nicht informiert sind oder die sich ohnmächtig fühlen, sind oft sehr empfänglich für eine solche einfache Botschaft. Daher muss man klarstellen, dass diese Fragen, die wir heute haben, keine einfache Botschaft als Antwort haben. Es gibt die eine Antwort nicht und Nationalismus ist keine zielführende Antwort. Ich bin sehr für die politische Auseinandersetzung und für eine offensive Richtungsdebatte.

Ich bin dafür, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam Lösungen auszuarbeiten und sich dem Populismus entgegenzustellen. In einer liberalen parlamentarischen Demokratie liegt es an uns, für das Notwendige und das Richtige zu werben und dafür Mehrheiten zu finden, unter den Parteien und unter den europäischen Staaten.

Die EU-Wahl Spitzenkandidaten im Überblick

In Österreich stehen aber die Vorzeichen nicht schlecht, dass die FPÖ die Wahlen im Herbst gewinnt. Wie würde eine FPÖ-geführte Regierung auf den Status Österreichs in Europa Einfluss nehmen?
Ich bin davon überzeugt, dass es nie zu spät ist, anders Politik zu machen und um jede Stimme zu werben. Und daher trete ich massiv für die Informationskampagne des Europäischen Parlaments ein, "Go to Vote", weil es auf jede Stimme ankommt. Jede Stimme entscheidet nicht nur, wer im Europaparlament sitzt, sondern auch über die Prioritäten, die eine Mehrheit im Europaparlament haben, über die nächste Europäische Kommission und über jene Richtung, die Europa zu gehen hat. Daher werde ich nie müde, die Bürgerinnen und Bürger aufzurufen, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und ihre Entscheidung zu treffen.

Mir sind die Umfragen freilich bekannt. Und sie sind alarmierend, weil sie ein Spiegelbild der Fehlentwicklungen sind. Die Extreme haben weder in Europa noch in Österreich eine Mehrheit. Sie wachsen aber leider – auch wegen hausgemachten Fehlern der Mitte-Parteien. Wir müssen die Stärke der Demokratie und der Zusammenarbeit wieder bewusster machen. Daher ist es mir wichtig, dabei zu helfen, die Zusammenarbeit der politischen Parteien der Mitte zu stärken und jener Personen, die bereit sind, Kompromisse zu erarbeiten.

Die europäische Idee lebt in den Gemeinden und die europäische Politik ist jener in den Gemeinden sehr ähnlich. Denn kein Bürgermeister kann sich auf die anderen ausreden, wenn er auf der Straße angesprochen wird. In der Gemeinde zählt die Problemlösung, das Vertrauen, das Miteinander für den Erfolg. Und in der Europäischen Union ist das auch so.

Welche Auswirkungen hat der Asyl- und Migrationspakt der EU auf den Arbeitsmarkt im Hinblick darauf, dass wir ja immer mehr Arbeitskräfte auch aus Nicht-EU-Ländern brauchen, etwa in der Pflege?

Die Zusammenarbeit in Europa hat im Migrationsbereich seit der großen Flüchtlingskrise 2015 lange versagt. Wir haben ein Problem und mit dem gemeinsamen Asyl- und Migrationspakt endlich einen ersten Schritt zu einer gemeinsamen europäischen Antwort gefunden. Wir stärken damit den Schutz der Außengrenze und beantworten ein Stück weit die Frage des Umgangs mit den Flüchtlingen und mit dem Kampf gegen illegale Migration. Das zeigt, dass wir Ergebnisse erzielen können, wenn der politische Wille vorhanden ist. Ich möchte den Pakt aber nicht überbewerten. Er ist ein wichtiger Schritt, aber noch keine endgültige Lösung.
Die Frage der gezielten Arbeitsmigration beantwortet der Asyl- und Migrationspakt nicht. Als Präsident des Hilfswerks Österreich erinnere ich eindringlich daran, dass wir bis 2030 wegen der demografischen Entwicklung 100.000 neue Pflegekräfte benötigen. Ähnliche Probleme haben wir auch in anderen Branchen. Hier muss man gezielt Menschen anwerben, die die benötigten Qualifikationen haben, und über Nostrifizierungen Lösungen finden. Dabei darf man nicht verallgemeinern, sondern muss sehr berufsspezifisch, regionalspezifisch, unternehmensspezifisch agieren.

Wobei es Länder gibt, die so schnell wie möglich versuchen, Menschen, die auf der Flucht sind, in den Arbeitsmarkt zu integrieren, weil sie verstanden haben, dass hier eine Win-Win-Situation entstehen kann... .
Da bin ich sehr sensibel und würde das gerne differenzieren. Menschen auf der Flucht haben ein Recht auf ein Asylverfahren. Das Asylverfahren entscheidet, ob jemand ein Recht auf Asyl hat. Wenn jemand ein Recht auf Asyl hat, hat er ein Recht, hierzubleiben. Das muss man von der Arbeitsmigration trennen, weil die rechtliche Grundlage eine andere ist. Wenn jemand kein Recht auf Asyl hat, dann müsste er wieder zurückgewiesen und abgeschoben werden. In dieser Phase kommen möglicherweise neue Formen der Aufenthaltsgenehmigung ins Spiel. Bei der Frage der Suche nach Personal mit entsprechenden Qualifikationen kann zum Beispiel humanitäres Bleiberecht eine Rolle spielen.

Muss Österreich seine Neutralität im Hinblick auf die militärischen Krisen neu denken? Und was, wenn Österreich als neutrales Land angegriffen werden würde?
Ich glaube, dass wir dringend eine ehrliche und offene Sicherheits- und Verteidigungsdebatte benötigen. Wir sollten diese notwendige Debatte nicht mit der Neutralitätskeule unterbinden. Die Neutralität löst nicht alle Sicherheitsprobleme. Ich trete weder für eine Neutralitätsdebatte ein, noch für eine NATO-Debatte, sondern für eine europäische sicherheits- und verteidigungspolitische Debatte in Österreich und Europa. Österreich hat seit 1995 und auch durch die Ergänzung unserer Bundesverfassung 1998 immer klargestellt, dass die Neutralität Österreichs nicht im Widerspruch zum Aufbau einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik steht. Daher nehmen wir auch an den gemeinsamen europäischen Projekten in diesem Bereich teil. Und wir sind Mitglied der NATO-Partnerschaft für den Frieden und haben uns zu dem neuen strategischen Kompass der Europäischen Union zur Schaffung einer Verteidigungsunion bekannt. Die Debatte muss ehrlicher geführt werden. Es gibt keine Neutralität zwischen Krieg und Frieden. Es gibt auch keine Neutralität zwischen Diktatur und Demokratie, und dieses Grundprinzip halten wir sowohl in den Vereinten Nationen als auch in der Europäischen Union ein.

EU-Wahl – welche Partei passt zu mir?

Wie sehr spielt die EU eine Rolle in den Gemeinden?
Die wichtigste Herausforderung für die europäische Politik ist, im direkten Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern zu sein. Alle Bürgerinnen und Bürger Europas leben in Gemeinden und Regionen. Mehr als 92 Prozent des gesamten EU-Budgets wird in den Gemeinden und Regionen ausgegeben. Es geht um Projekte in Schulen, im Umweltbereich, im Forschungsbereich, in den Unternehmen. Ich bitte alle Europagemeinderätinnen und -räte und alle Medien in der Regional- und Gemeindepolitik und alle Politiker, die Europäische Union und deren Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger konkret sichtbar zu machen. Da herrscht Nachholbedarf.

Was sagen Sie zu den grünen Turbulenzen rund um die grüne Spitzenkandidatin Lena Schilling?
Ich will und kann in diesem Zusammenhang nicht zu allem Stellung nehmen. Dazu fehlt mir die Innensicht und ich habe die Debatte zu wenig im Detail verfolgt. Ich kenne Frau Schilling aus zwei persönlichen Begegnungen. Da ist sie mir als eine junge, sehr engagierte Frau aufgefallen, die die übernommene Spitzenkandidatur für die Grünen sehr ernst nimmt, und die auch bereit ist, dazuzulernen. Was mich irritiert hat, war ihre Aussage, dass der Charakter nichts mit der politischen Tätigkeit zu tun habe. Das halte ich grundsätzlich für falsch. Für mich ist der Charakter entscheidend dafür, warum und wie man Politik macht.

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