Tierärztemangel am Land
Der Doktor und das liebe Vieh
Im Bezirk Wiener Neustadt sind rund 20 Tierärzte tätig. Nur ein Viertel davon hat Expertise mit Nutztieren. Vor allem am Land mangelt es an "Doktoren für das liebe Vieh".
WIENER NEUSTADT/BEZIRK. Es ist Sonntag, 4.50 Uhr. Doch nach der Uhrzeit fragt die Mutterkuh nicht, ihr Kälbchen liegt kurz vor der Geburt verkehrt und der Tierarzt muss her. Für Tierdoktor Bernhard Samm heißt es: "ausrücken". Nach 30 Kilometer Anfahrt zum Bauernhof und einigen routinierten Handgriffen kann Entwarnung gegeben werden: Das Kälbchen ist wohlauf. Der Arbeitstag für Samm allerdings ist noch lange nicht vorbei, es geht weitere 25 Kilometer weiter zum nächsten Patienten, einem Pferd, das akut lahmt. Das Symptom kann vieles bedeuten, von der einfachen Entzündung bis hin zu einem Bruch eines Gelenkes. Glücklicherweise erkennt der erfahrene Tierarzt schon nach wenigen Minuten, nach ein paar Schritten des Pferdes und ein genaues Abtasten des Gelenks, dass es sich um eine eher harmlose Bindegewebsentzündung handelt. Eine entzündungshemmende Spritze, eine Creme werden die Beschwerden in wenigen Tagen zum Verschwinden bringen. Sanft streicht der Doktor über den Hals des Pferdes, blickt auf die Uhr und ist wieder unterwegs.
Kaum Nutztier-Veterinäre
Seit 29 Jahren ist Bernhard Samm Tierarzt aus Leidenschaft. Im Jahr 2000 gründete er mit Tierarzt-Kollegen Alexander Weghofer (†2013) eine Tierarztpraxis in Lanzenkirchen, seit 2013 ist er Chef des Tierärzteteams Lanzenkirchen und hat neun tierärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zwei davon in Karenz. Zwei weitere Mitarbeiterinnen sind mit den vielen Hintergrundarbeiten beschäftigt, die notwendig sind, damit dieser Betrieb so funktionieren kann. "Es hat sich viel geändert in den letzten Jahren", so Samm. "Vor allem Nutztier-Veterinäre sind heute gefragt. Aber es ist ein großer Unterschied zwischen der Behandlung von Klein- und Nutztieren", sagt Samm, der an vier Tagen in seiner Ordination auch Kleintiere behandelt. Hier bietet er ein breites Feld, von Chirurgie, Gynäkologie bis hin zur Lasertherapie. "Heimtiere sind meist 'Familienmitglieder', hier wird von den Besitzern jegliche Behandlungsmöglichkeit verlangt. Bei Nutztieren ist es meist eine Kosten-Nutzenrechnung", gibt Samm zu bedenken.
Die Idylle vom Landtierarzt
So kommt es, dass Bernhard Samm und sein Team im Jahr rund 160.000 Kilometer von Tier zu Tier fahren, immer geduldig, immer verantwortungsvoll und mit großer Zuneigung zu den Patienten. Für viele ist Tierarzt ein Traumberuf. Doch die Idylle, am Land von einem Tier zum nächsten zu fahren und nur glückliche Momente zu erleben, täuscht. "Wenn Tiere euthanasiert werden, ist das für jeden von uns eine schwierige Aufgabe. Ich bin am Bauernhof aufgewachsen, war schon als Kind beim Schlachten dabei und habe daraus gelernt, dass der Tod zum Leben gehört." Vielleicht auch ein Grund für den ländlichen Tierärztemangel? "Es ist vor allem die unregelmäßige Arbeit, oft mit langen Fahrzeiten verbunden. Im Bezirk ist die Situation noch relativ stabil, doch in Zukunft könnte auch bei uns die Versorgung problematisch werden."
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