1192, 1193 oder 1194 - Auf der Suche nach dem Geburtstag unserer Stadt mit Prof. DI Dr. Reidinger

- Gastgeberin Direktorin Mag. Ute Hammel und Gemeinderat Dr. Michael Klosterer (links) als Vertreter der Stadt lauschten begeistert den Ausführungen von Prof. DI Dr. Erwin Reidinger (rechts)
- hochgeladen von Michael Klosterer
1994 feierte Wiener Neustadt sein 800-jähriges Bestehen - zu unrecht, wie sich durch neue Erkenntnisse immer mehr herausstellt. Prof. DI Dr. Erwin Reidinger hat sich nicht erst mit seiner Dissertationsarbeit 1996 mit dem Titel "Wiener Neustadt - Planung oder Zufall" mit dem Virus "Stadtgeschichte" angesteckt, an der er heute nach wie vor in unverminderter Weise "leidet". Der Unterschied zum biologischen Virus besteht aber darin, dass dessen Replikation uns viel neues Wissen zu den Ursprüngen unserer "Allzeit Getreuen" gebracht hat - und über die gewonnenen Erkenntnisse berichtete Dr. Reidinger vor Kurzem im Festsaal der HTL vor dem interessierten Publikum!
Es begann 1186...
Die Region um Wiener Neustadt war bereits vor der Stadtgründung ein Angelpunkt - einerseits für den Handel in Nord-Süd-Richtung (Blätterstraße), auf der anderen Seite in Ost-West-Richtung war die Pforte zwischen Leitha- und Rosaliagebirge ein idealer und oftmals genutzter Einfallsbereich für die Ungarn. Doch vor der Stadtgründung war dieses Gebiet nicht nur Grenzraum in Ost-West-Richtung, sondern auch in der bereits angesprochenen Nord-Süd-Achse: die damalige Grafschaft Pitten (die ca. die Bezirke Neunkirchen, Wiener Neustadt Stadt und Land umfasste) war der Grenzbereich der Steiermark zu Österreich. Durch die Georgenberger Handfeste (einem Erbvertrag) vom 17. August 1186 zwischen dem Traungauer Herzog Otakar IV. (Steiermark) und dem verwandtschaftlich verbundenen Babenberger Leopold V. (Österreich) war ein Zusammenwachsen vorprogrammiert, wenngleich diese bereits bei der Besiegelung eindeutig zu Gunsten des Babenbergers ausgelegt war: Otakar war kinderlos und krank, was natürlich die Chancen für eine Einverleibung Österreichs durch die Steiermark massiv senkte. So starb dann auch Otakar 1192 und der zufällig beim Reichstag zu Worms weilende Leopold V. wurde bereits wenige Tage später von Kaiser Heinrich VI. mit der Steiermark belehnt.
Wiener Neustadt - eine geometrisch perfekte mittelalterliche Stadtplanung
Leopold V. konnte nun auch die Sicherung seines Reiches im Osten vorantreiben, wo die neue Stadt am oben genannten Angelpunkt und Bruck/Leitha eine wichtige Rolle spielten. Entgegen oftmaliger Äußerungen, dass Wiener Neustadt gegründet worden ist, weil das Lösegeld Richard Löwenherz zur Verfügung gestanden wäre, ist dies unabhängig von diesem zu sehen - wenngleich der unerwartete Geldsegen sicher kein Nachteil für den Gründungsvorgang und den Ausbau war. Bereits im Jahr der Belehnung dürfte die Stadt ausgesteckt worden sein: Dafür sprechen auch die Achsen der Pfarrkirche (heute Dom), die in Richtung des Sonnenaufgangs (die Sonne als Symbol Christi) des Pfingstsonntags 1192 (Langhaus der Kirche) und des Pfingstsonntags 1193 (Chor) gelegt wurden (wodurch der Achsknick in der Kirche erklärt werden kann). Die Achse des Langhauses schneidet weiters auch die Nord- und Westseite der Stadtbefestigung genau in der Mitte. Parallel zur Achse des Langhauses des Doms liegt auch die Diagonale zwischen dem Nordost- und dem Südwestturm, dessen Schnittpunkt mit der Winkelhalbierenden der Nordwestecke als Punkt "H" am Hauptplatz fixiert ist. Dieser ist 5,07 m vom Gründungspunkt "A" entfernt, der ebenfalls am Hauptplatz eingemessen und dokumentiert ist und der als Drehachse für die Verknickung des Grundrechteckes und die Lage des Nordwestturmes "geometrisch verantwortlich" ist.
Durch die Beachtung der oben genannten astronomisch-geometrischen Faktoren seitens der Planer ergab sich eine Verknickung des Grundrisses der 390 x 330 Klafter (1 Klafter = 6 Fuß = 1,77 m) großen Stadt (die auf einem Grundrechteck von 400 x 340 Klaftern beruhte), weswegen der ideale rechte Winkel nicht einzuhalten war und somit die "Allzeit Getreue" nur eine fast ideale Geometrie im Sinne eines Rechteckes ergibt.
Ironie des Schicksals war bei der Erforschung des Zeitalters der Stadtgründung für Dr. Reidinger war, dass er - so wie von den meisten Menschen erwartet - die "geometrische Erleuchtung" auf dem Hauptplatz zu finden suchte, die sich dann aber erst im zuletzt betrachteten Objekt Dom dann endgültig offenbarte.
Auf Grund der belegbaren Daten und der geometrischen Genauigkeit dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit bewiesen sein, dass die Stadtanlage nicht zufällig vonstatten ging - und das die bauliche Umsetzung und somit die Stadtgründung bereits 1192 anzusetzen ist. Interessanterweise war bis 1942 auch davon ausgegangen worden, ehe der 2 Jahre später datierte Geburtstag 70 Jahre lang in den Köpfen der Menschen Eingang gefunden hat.
Geschichte wird neu erlebbar gemacht
Die Landesausstellung 2019 ist nicht nur eine Trägerrakete für unsere Stadt im zukünftigen wirtschaftlichen und touristischen Sinne, sondern diese hat auch den Anstoß gegeben, sich der kulturellen Werte der Vergangenheit zu besinnen. So werden aktuell u.a. Teile der Stadtbefestigung freigestellt und die Kasematten saniert. Und ein paar weitere Dokumente aus Dr. Reidingers Vortrag sollen veranschaulichen, wieviel Kultur in der Stadt "zu ebener Erd' " oder unter derselben liegt.....
Weitere Erläuterungen und Bilder unter https://www.michael-klosterer.at/dr-erwin-reidinger-in-der-htl/




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