Kommentar: Muss man alles aus der Nase ziehen?
- hochgeladen von Andreas Edler
Kennen Sie das? Sie hetzen von der Arbeit weg, um das Kind abzuholen, das vermeintlich sehnsüchtigst auf sie wartet, und erkennen im Moment des Wiedersehens nicht die erwartete Freude, sondern ein angewidertes Gesicht, aus dessen Mund ein "Och, jetzt schon abgeholt?" kommt. Mir geht es oft so.
Wenn ich dann das arme, fremdbestimmte Geschöpf nach Hause trete (im übertragenen Sinn – was denken Sie denn von mir?) und small-talkmäßig nachfrage "Na, wie war’s denn?", kommt zu 99,9 Prozent ein gelangweiltes "Gut!" zurück. In den restlichen 0,01 Prozent der Fälle werde ich ignoriert. Ja, ich weiß: Man sollte etwas kreativer sein, wenn man ein angeregtes Gespräch beginnen will. Das gilt beim Nachwuchs genauso wie an der Bar, wo ein saloppes "Kennen wir uns nicht?" ebenfalls nicht reicht. Leute an der Bar und Kinder quatschen nur dann, wenn sie das selbst wollen. Aus der Nase lassen sie sich nichts ziehen.
Beim Barbesucher reicht in den meisten Fällen der richtige Grad an Betrunkenheit, damit die Zunge lockerer wird. Da ich meinen Kindern nichts Hochprozentiges einflöße (was denken Sie von mir?), muss ich wohl damit leben, dass sie mit der verbalen Wahrheitslawine immer erst dann herausrücken, wenn der Tag zur Nacht wird. Und da haben Kinder und Betrunkene noch etwas gemeinsam: Erst, wenn sie sich so richtig "ausgekotzt" (noch einmal: im übertragenen Sinn – was denken Sie von mir?) haben, sacken sie friedlich in sich zusammen, sodass man sie nur noch in ihr Bettchen tragen muss.
Alina Rheindorf ist Autorin, Journalistin & zweifache Mama.
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