Eine Villacherin erzählt von ihrer späten Diagnose
Leben mit Autismus

- Redakteurin Birgit Gehrke im Gespräch mit Carla Küffner, Nicole Katholnig und Simone Dueller.
- Foto: MeinBezirk.at
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Die Villacherin Simone Dueller ist Autistin. Bis es zu dieser, befreienden, Diagnose kam vergingen Jahre. Nun ist sie Teil einer Arbeitsgruppe, die das Leben für Autisten leichter zu machen versucht.
VILLACH. Die Idee des kärntenweiten Projekts „AFA AutismusAutism Friendly Austria“ war es, Arbeitsgruppen mit Experten, Eltern von autistischen Kindern und Autisten zu gründen. Den wissenschaftlichen Teil der Forschung betreut die FH Kärnten. „Wir haben uns gefragt, wie kann eine autismusfreundlichere Umgebung geschaffen werden? Und wie kann man Leuten, die mit Autisten arbeiten, Informationen zukommen lassen“, erklärt Carla Küffner, Professorin am Studiengang Disability, Diversity und Digitalisierung, an der FH. Ebenso Teil des Projektteams ist Nicole Katholnig (Trainerin für ASS - Autismus Spektrum Störung, Praxis Querkopf).
Selbständig leben
„Uns geht es darum, dass Menschen mit Autismus möglichst selbständig leben können“, sagt Katholnig. Die Besonderheit des Projektes ist es, dass Betroffene als Experten direkt an der Forschung mitwirken – wie Simone Dueller. Gemeinsam mit Dueller kümmert sich Katholnig um das Thema „Gesundheit“. Konkret geht es darum, bei Ärzten eine „Autismus-freundliche“ Umgebung zu schaffen. „Für Autisten ist es oft sehr schwierig zu telefonieren. Es wäre eine Hilfe, wenn man Termine online ausmachen kann. Es geht auch darum, Warteräume reizarm zu gestalten oder Ärzte zu finden, die sich im Bereich Autismus weiterbilden wollen. Im Grunde sind es kleine Adaptionen, die auch für viele Menschen ohne diese Diagnose toll wären“, erklärt Simone Dueller. Denn: Barrierefreiheit ist oft eine Erleichterung für alle. Auch Behördengänge sind ein Problem. „Autisten nehmen sich oft als unfreundlich war, sie haben das Gefühl, sie werden nicht verstanden. Autismus ist ja nicht sichtbar und wenn es mehr Informationen darüber gibt, könnten Leute in den Behörden anders reagieren. Ich selbst würde öfter einfach sagen, dass ich Autistin bin, wenn ich wüsste, es wäre kein Nachteil für mich“, erklärt Dueller.
Reizüberflutung
Autismus ist für nicht Betroffene schwer zu erklären. „Ich empfinde eine unangenehme Situation hundertmal stärker. Es reicht schon, wenn es bei einem Behörden- oder Arztgespräch viele Reize gibt – ein offenes Fenster und man hört Baustellengeräusche, ein Gespräch, das ständig unterbrochen wird oder eine unruhige Umgebung“, sagt Dueller. Ein Ziel des Projektes ist es auch, eine Hotline anzubieten. Hier könnten Leute anrufen und sich niederschwellig informieren, wie man mit Autisten umgeht. Das kärntenweite Projekt läuft noch bis April 2023, es gibt aber Gespräche über andere Bereiche weiterzumachen. „Wir wollen auch zeigen, dass Autisten im Berufsleben wertvoll sind. In Skandinavien sind etwa in Computerfirmen viele Autisten angestellt. Man muss aber damit umgehen können, dass sie immer wieder eine Auszeit brauchen und vielleicht die Möglichkeit, sich zwei Stunden zurückzuziehen. Arbeitszeit, die jedoch später wieder aufgeholt werden kann. Auch Homeoffice kommt Autisten natürlich sehr zu Gute“, betont Nicole Katholnig.
„Leben gegen die Natur“
Bei Simone Dueller sind bis zur Diagnose etliche Jahrzehnte vergangen. „Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich irgendwie seltsam war. Schon seit der Schulzeit hatte ich Depressionen und Suizidgedanken, es wurden bei mir Phobien, Essstörungen, Depressionen, Posttraumatische Belastungsstörungen oder Borderline diagnostiziert und vieles davon kommt, weil man ständig gegen seine Natur lebt. Manche Diagnosen waren aber auch einfach falsch, wie bei vielen spätdiagnostizierten Autistinnen“, erzählt Dueller. Während dem Lockdown habe sie sich dann zum ersten Mal unbeschwert gefühlt. „Ich war nur in meiner Familie, ohne Kontakt zur Außenwelt und plötzlich war das Leben kein Kampf mehr. Ich dachte mir, was stimmt mit mir nicht, wenn die Welt stillstehen muss? Ich habe mich schon zuvor mit Autismus beschäftigt, hatte aber falsche Informationen. Ich arbeite ja in der Öffentlichkeit, spreche mit Menschen…“ Trotzdem: Mit dieser Erkenntnis kam es endlich zur Diagnose Autismus.
Diagnose als Erleichterung
„Es war auch eine Erleichterung zu wissen, was mit mir lost ist. Dass ich nicht kaputt bin, sondern mein Gehirn einfach anders verkabelt. Für die Außenwelt war das oft nicht so ersichtlich. Ich habe mit der Zeit einfach gelernt, wie ich sprechen und mich in gewissen Situationen verhalten muss, deshalb kann ich am sozialen Leben teilnehmen. Masking nennt sich das. Es hat nichts mit Verstellen zu tun, sondern man unterdrückt Verhaltensformen, die Spott einbringen könnten.“ Aufgrund des permanenten Stress sei auch die Suizidalität überdurchschnittlich hoch. „Dass ich, als bislang undiagnostizierte Frau heuer 40 Jahre als werde, ist ein Zusammenspiel aus gutem Netzwerk und Überlebenswillen. Die Statistiken sind erschütternd.“
Mehr Infos zu dem Projekt: https://forschung.fh-kaernten.at/autismus-freundlich/


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