Maria Saal und der Tonhof: Ein Dorf und seine verschreckte Bevölkerung

Gerhard Lampersberg
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Die Maria Saaler haben die letzten Jahrzehnte mehr oder minder tapfer überstanden: Da war der Künstler, der sich in einem himmelblauen Sarg durchs Dorf tragen ließ und sich im Sarg betrank und die herbeieilenden, von ihm abhängigen Bauern segnete und ihnen ihre Sünden vergab. Da gab es den berühmten Schriftsteller, der in Maria Saal aufwuchs. Der Künstler hörte den Dichter beim Vorlesen von Gedichten in "Tante Mary's Nachtcafe" (Cafe am Platzl) zu. Er forderte ihn auf in sein großes Haus auf dem Dorfhügel zu kommen. Oben gab es Imbiß und Tee und berühmte Menschen....
1980, als die Erinnerung an den Dichter in Maria Saal schon leicht verblasste, erschien eine Gedichtesammlung, auf die ich später noch zu sprechen komme.

Das Dorf hatte es nie leicht mit seinen Komponisten, Theaterautoren, Kritikern, Romanschriftstellern, sensiblen Dichtern und sensiblen Historikern. Dass auch die angehenden, hoffnungsvollen Freaks und Künstler im Dorf litten und am Dorf zu leiden hatten, kam so manchem gstandenen Maria Saaler damals nicht in den Sinn.

Die Tonhof Kinder und das Ehepaar Lampersberg

Auf der östlichen Kuppe des Maria Saaler Berges steht der Tonhof. Die Geschichte des Tonhofes ist eng verknüpft mit dem legendären Künstler-Ehepaar Maja und Gerhard Lampersberg, die das Gebäude 1954 zur Hochzeit erhalten hatten. Maja Lampersberg geb. Weis-Ostborn, aus einer altösterreichischen Aristokratenfamilie stammend, war sicher nach Alma Mahler-Werfel und Bertha Zuckerkandl eine der letzten großen alten Damen der österreichischen Kulturgeschichte, die in ihren Salons Künstlern und Kunstinteressierten ein Forum für gemeinsame Gespräche boten. In Wien lernte das Paar den jungen Thomas Bernhard kennen und lud ihn nach Maria Saal ein. Der Tonhof wird zwischen 1957 und 1959 Bernhards Zuflucht und Heimat. Namhafte Künstler wie Gerhard Ruhm und Christine Lavant waren Gäste der Familie Lampersberg. Spätere Besucher waren H. C. Artmann, Wolfgang Bauer, Peter Turrini, Josef Winkler, Peter Handke oder Gert Jonke. Die großzügige Mäzenin Maja Lampersberg ermöglichte durch ihre Gastfreundschaft den "Tonhof-Kindern" zu schreiben, zu komponieren und zu malen: "Das Haus war immer offen...". “Getreue, wunderbare Freunde” sind die Lampersbergs für Christine Lavant, “gewaltige Herausreißer” aus ihrem “Elendsgeflecht”.

Natürlich hatte der eine oder andere Nachwuchskünstler wie H.C.Artmann auch Kontakt mit der mehr oder minder verschreckten Bevölkerung und den damals zahlreichen Wirtshäusern im Dorf, was oft zu skurillen Szenen im Ort führte.

Ein paar Schritte zurück

Peter Turrini verließ in den frühen Sechziger Jahren das Dorf. Seine frühen Stücke wie "Rozznjagd" (1971) und "Sauschlachten"(1972) sorgten für Aufsehen im Dorf.
Nach seiner ersten Uraufführung schrieb eine Zeitung "Dieser Kärntner Orang-Utan soll in die Wälder zurückgehen aus denen er ausgebrochen ist." Turrini wird schlagartig bekannt, weil dieser einaktige Wutausbruch von zwei jungen Außenseitern handelt, die sich ihres bisherigen Lebens entledigen wollen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Dieses Motiv hat Turrini seither immer wieder verwendet. Auch, wenn er hier vor allem seine eigene Wut verarbeitet hat, so traf er dennoch den Nerv einer ganzen Generation.
Ein weiterer Schock für die Gemeinde war dann 1980 der Gedichteband "Ein paar Schritte zurück" in dem der Sohn des italienischen Maria Saaler-Tischlermeisters die Tragödien seiner Kindheit und verpatzten Jugend in seinem Heimatdorf beschreibt. Der Gedichteband erregte einiges Aufsehen, nicht nur in Österreich, sondern weit darüber hinaus: Ein Skandal im alten Maria Saal. "Das wichtiges ist, sagte meine Mutter, dass man vor den anderen gut dasteht", schrieb der Dichter im Lyrikband. Die Maria Saaler Kommunalpolitiker konnten sich zwei Jahrzehnte später nicht dazu durchringen, Peter Turrini die Ehrenbürgerschaft zu verleihen.

Luigi Umberto Fink

Im Jahr 1978 zog Luigi Umberto Fink nach Maria Saal. Nach einem Gedichtband und zwei Romanen in den Fünfziger Jahren und 1960 schrieb Luigi Umberto zahlreiche Reise- und Sachbücher, vor allem Biographien von historischen Persönlichkeiten. Sehr bekannt hierzulande war Finks kritische Kolumne „Humbert Fink meint“ in der „Kronen-Zeitung“, die er von 1983 bis 1992 verfasste. Humbert war ein oft unbequemer, überaus kritischer und kompromissloser Kommentator und Analysator des täglichen Geschehens. Für viele junge Kärntner im Kulturbetrieb war er Ende der Achtziger Jahre als Kritiker ein unbewegliches Relikt aus einer anderen Zeit und manche sind ihm lange bitterböse geblieben. Selbst hat er sich als Arbeiter bezeichnet: "Und ob ich ein Künstler oder sonstwas bin, entscheidet das Publikum. Ich bin ein Arbeiter an meiner Schreibmaschine und sonst gar nichts".

Schlangenkind

Als Maria Saal sich mit dem mittlerweile in ganz Europa bekannten Peter Turrini einigermaßen arrangiert hatte und es bereits sehr still um das Ehepaar Lampersberg und den Thonhof geworden war, brach ein neuer, wilder Schriftsteller in Maria Saal ein: Er hieß Truschner. "Truschner wer?" tönte es in Maria Saal. Der Enkel vom alten Kogler war er! Aufgewachsen ist der 1967 geborene Peter bei seinen Großeltern. Später holt ihn die in der Stadt Salzburg lebende Mutter zu sich.

2001 schreckt die schon von zahlreichen Künstlern vortraumatisierte Marktgemeinde aus ihrem Schlaf auf: Wieder arbeitet sich einer an Maria Saal ab. Das Buch wird landauf landab abgefeiert: "In seinem beeindruckenden Debütroman erzählt Peter Truschner auf schonungslose und bildkräftige Weise vom Heranwachsen in der Hölle der Provinz." "Hölle der Provinz?" Die Maria Saaler gingen kollektiv in Deckung. Sie hatten schon Übung darin.
"Schlangenkind", heißt der Roman von Peter Truschner und der mittlerweile in Berlin lebende "Maria Saaler" bekommt dafür den Preis des Bundeskanzleramtes für literarische Debüts. 2007 wird sein zweiter Roman für den Deutschen Buchpreis nominiert und auch Peter Turrini meldete sich zu Wort: "Ein Teil des Romans Schlangenkind spielt in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Das hat beim Lesen zu meiner Neugier beigetragen; aber es war vor allem die Art und Weise, wie Peter Truschner erzählt, die mich gefangengenommen hat. Da ist einer, der dem Realismus seine unverwechselbare Poesie hinzufügt. Am Ende sah ich mein Dorf, einzelne Menschen aus diesem Dorf, mit seinem poetischen Blick."

Hört man da eine aufkommende Altersmilde beim ehemals wilden Rebellen Turrini heraus? In den vergangenen Jahren wurde es ein wenig ruhiger um Maria Saal. Ist das die Ruhe vor dem nächsten Sturm?

Auszeichnung im Heimatdorf

In der Datenbank des Music Information Center Austria steht beim Eintrag von Gerhard Lampersberg unter "Auszeichnungen": 1999 fand seine Ernennung zum Ehrenbürger der Gemeinde Maria Saal im Gemeinderat ebenso wie die Ehrenbürgerschaft Peter Turrinis keine Mehrheit.

Vielleicht ist dies das größte Kompliment, das man den beiden Künstlern im Dorf machen konnte.

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