Zeitzeugenbericht
Sieben Jahre auf der Hut
Die Simmeringerin Erika Kosnar überlebte den Zweiten Weltkrieg und ist heute als Zeitzeugin an Schulen unterwegs.
SIMMERING. Wenn Erika Kosnar über ihr Leben spricht, dann spürt man keinen Hass. Dabei hätte die 88-Jährige allen Grund dazu. Kosnar wurde 1932 in der Hauffgasse als Kind eines Hilfsarbeiters und einer Schneiderin geboren - eine Arbeiterfamilie, das Geld war immer knapp. Ihre Eltern waren Juden. Die Mutter war aus Liebe konvertiert, konnte den Übertritt aber vor den Nazis geheim halten.
An die Zeit, als Hitler an die Macht kam, kann Kosnar sich gut erinnern. Sie war sechs Jahre alt: "Ich schaute aus dem Fenster und sah Juden, die den Gehsteig putzten. Rundherum standen Leute, die sie bespuckt, getreten und beschimpft haben. Endlich hatten sie jemanden, dem es noch schlechter ging." Ein einschneidendes Erlebnis für das junge Mädchen. Doch was sie bis heute nicht loslässt, ist die Reaktion des Vaters. "Mein Vater war immer groß und stark, mein Fels in der Brandung. Ich habe ihn noch nie so hilflos gesehen, wie an diesem Tag. Er hat geweint und gesagt 'Jetzt ist alles aus'", erinnert sie sich zurück. Der Vater wurde kurz darauf arbeitslos. 1941 kam schließlich die Vorladung in die Zentrale der Gestapo. Die Mutter begleitete ihn. Immer wieder murmelte sie am Weg die Worte "Du weißt nichts, du hast nichts". Doch Kosnars Papa hatte Glück im Unglück: "Der Mann dort in der Uniform war ein Mensch. Er ließ Milde walten".
Sieben Jahre Kampf
Als Kosnar 1941 nach der Abholung ihres Judensterns mit ihrer Mutter über die Schwedenbrücke ging, meinte sie nur: "Mama, wenn ich da reinspringe, hast du keine Probleme mehr." Die Mutter war geschockt, doch schon in der Straßenbahn ging es weiter: "Ein Mann hat gesagt, das Judenbengal soll aussteigen", erzählt Kosnar. "Gott sei Dank gab es damals Leute mit Zivilcourage, die mir geholfen haben".
Die fleißige und gute Schülerin musste auch die Schule verlassen. "Die Hitlerbilder hingen überall, die Lehrer hatten Hitlerabzeichen", erinnert sie sich. "Eines Tages kam die Lehrerin in die Klasse, sagte 'wir grüßen den Führer' und meinte, ich soll aus dem Klassenzimmer rausgehen, ich wäre nicht würdig, mit arischen Kindern zusammen zu lernen. Man wollte uns der Verblödung überlassen." Kosnar kam in eine Mischlingsschule, aber auch die wurde geschlossen. Lehrer waren Geschäftsleute, deren Geschäfte "arisiert" wurden, Schulkinder verschwanden. Ein Schulkollege mit dem Namen Albert nahm Kosnar mit ins Kloster, wo ihnen die Schwestern Unterricht gaben.
Es beginnt ein Kampf ums Überleben. Nahrungsmittel waren rar - vor allem wenn man Jude war. "Es gab einen einzigen Fleischhauer im Bezirk für uns, in der Kopalgasse", so Kosnar. "Das Fleisch dort war ungenießbar, nicht einmal Hunde hätten das gegessen". So musste die Familie "hamstern" fahren - natürlich immer unter Lebensgefahr. Die Mutter tauschte die Lebensmittel gegen ihre Schneider-Kunst. "Meine Mutter konnte gut schauspielen. Erst zuhause ist sie dann zusammengebrochen".
Kosnars Mutter war großem Druck der NS-Behörde ausgesetzt, mehrmals wurde ihr nahegelegt, sich zu trennen. Jede Auseinandersetzung regelte die Mutter, der Vater lief auf den Dachboden, sobald es läutete. Beide Eltern wurden 1944 von einer russischen Splitterbombe verletzt - Wien war unter Beschoss. 1945 wurde die Mutter wieder schwanger. Doch die Angst, was passieren würde, wenn dem Vater etwas zustößt, zwang sie zu einer Entscheidung. Sie ließ das Kind abtreiben, ging zur sogenannten "Engelmacherin", verkraftete den Verlust jedoch nie.
Ein neues Leben
Nach sieben Jahren dann das ersehnte Kriegsende. "Ich war im Hof, aus dem dritten Stock schrie eine Dame: 'Der Krieg ist aus!'", erinnert sich Kosnar. "Ich hatte Gänsehaut, Tränen in den Augen und mir blieb die Luft weg."
Erika Kosnar lernte ihren Mann kennen, bekam zwei Kinder, Enkel und Urenkel, arbeitete als Sekretärin und lebt auch heute noch in Simmering. Ihr Mann verstarb bereits vor 36 Jahren. Sie liebt Sudokus und klassische Musik - spielt auch selbst Klavier. 1986 erhielt sie ihren Opferausweis. Seit 2000 erzählt sie auf Veranstaltungen und in Schulen aus ihrem Leben. Diese Aufgabe liegt ihr sehr am Herzen. "Ich möchte ihnen etwas beibringen", sagt sie. "Aber ohne Bedauern. Ich drücke nicht auf die Tränendrüse."
Religiös ist Kosnar schon lange nicht mehr. "Alle glauben an einen Gott, aber dann schlagen sie sich. Mein Gott ist mein Gewissen", sagt sie bestimmt. Einen Rat an die Jugend hat sie: "Es ist wichtig, dass der nächsten Generation so ein Blödsinn erspart bleibt. Niemand kann sich aussuchen, wo er geboren wird. Ich bin dankbar, in so einem Land leben zu dürfen. Daher gilt: Wenn du auf alles vergisst, dann vergiss nur nicht auf deine Menschlichkeit."
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