Mercosur-Abkommen
"Autos gegen Kühe" - Politikwissenschaftlerin Theresa Kofler kritisiert Handelsabkommen

3Bilder

Im September 2019 hat der österreichische Nationalrat die Regierung zu einem Nein zum EU-Mercosur-Abkommen auf EU-Ebene verpflichtet. Doch seit der jüngsten Wahl in Brasilien fordern Konzerne und einzelne Regierung immer vehementer einen Abschluss. Der Ukraine-Krieg und die Abkehr von Russland als Handelspartner dienen zusätzlich als Vorwand, um den Druck zu erhöhen. Noch verweisen alle Parteien sowie die Bundesregierung darauf, dass Österreich bei einem Nein zum Abkommen in der gegenwärtigen Form bleiben werde, insbesondere Landwirtschaftsminister Norbert Totschnigg.

Druck seitens der Wirtschaftsverbände zur Ratifizierung
Doch es gibt massiven Druck seitens der Industriellenvereinigung sowie der Wirtschaftskammer, vom Nein zum Mercosur-Abkommen abzurücken, berichtete die Politikwissenschaftlerin Andrea Kofler in einer Veranstaltung von attac Flachgau am 25. April in der Weintraube Seekirchen. Kofler ist seit vier Jahren Mittarbeiterin von attac Österreich und Sprecherin der Plattform "Anders Handeln", der Umwelt-, Entwicklungs- und Sozialorganisationen, Gewerkschaften sowie kirchliche Verbände angehören. Es gibt Gründe seitens der Industrie für einen raschen Abschluss: Die EU exportiert zahlreiche Industriewaren nach Südamerika - 2020 im Wert von 29,8 Mrd. Euro (s. Grafik 1), muss derzeit aber hohe Zölle entrichten: 35 Prozent für Autos und 18 Prozent für Autoteile, für chemische Produkte sind es ebenfalls 18 Prozent, für Maschinen 20 Prozent (s. Grafik 2). Aus dem Mercosur-Raum, der mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay den Großteil Südamerikas umfasst, wiederum werden vor allem Agrarprodukte in die EU importiert - 2020 im Wert von 18,8 Mrd. Euro, gefolgt von Bergbauprodukten und Treibstoffen, v.a. aus Zuckerrohr gewonnenem Biodiesel, im Wert von6,4 Mrd. Euro. Das wesentliche Ziel der EU-Kommission für ein Abkommen sei es, die Zölle auf Null runterzubringen, so Kofler.

Theresa Kofler: "Autos gegen Kühe" - Verlierer sind Menschenrechte und Umwelt
Etwas verkürzt könne man sagen, beim Mercosur-Abkommen gehe es um "Autos gegen Kühe", so Kofler. Das Abkommen hätte jedoch drastische Folgen für die Umwelt, das Klima und die Menschen- und Sozialrechte. Lateinamerikanische Industriegewerkschaften fürchten um ihre Arbeitsplätze, die europäischen Landwirte und Landwirtinnen um Billigkonkurrenz. Rindfleisch aus Argentinien oder Brasilien würde die europäische Fleischproduktion bedrohen. Umweltinitiativen und der Konsumentenschutz warnen vor dem Import von landwirtschaftlichen Produkten, die mit Pestiziden behandelt sind, wie sie in der EU längst verboten sind. Dazu kommen die gesundheitlichen Schäden für die Landarbeiter vor Ort. Die weitere Abholzung von Regenwald sowie die weitere Expansion der fossil getriebenen Mobilität sind zwei Kritikpunkte, die aus Sicht des Klimaschutzes schlagend werden. Die europäischen Chemieindustrie wiederum würde sich freuen, wenn sie in der EU verbotene Pestizide zollfrei nach Lateinamerika exportieren könnte. Die Autoindustrie hofft auf den Export von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, nachdem diese in der EU ab 2035 verboten sein werden, so Kofler. Eine von ihr zitierte Mitte 2022 veröffentlichte Studie "Mobilitätswende ausgebremst. Das Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie" zeigt, wie Autokonzerne die Verhandlungen über das Mercosur-Abkommen erheblich beeinflusst haben - und in besonderem Maße davon profitieren würden.

Schlupflöcher zum Brechen des Widerstands gegen das Abkommen
Politikwissenschaftlerin Kofler fürchtet zwei Möglichkeiten für die EU-Kommission, doch noch in diesem Jahr ein Abkommen zustande zu bringen - die aktuelle schwedische und die ihr im zweiten Halbjahr folgende spanische EU-Präsidentschaft drängen auf einen Abschluss, auch Deutschland mit seiner starken Autoindustrie fordert den Abschluss. Auf die Frage, warum selbst die deutschen Grünen mittlerweile einem Abkommen zustimmen, meinte Kofler: Man warnt vor einem Abkommen Chinas mit diesen Ländern, das noch schlechtere Umwelt- und Sozialstandards enthalten könnte. Für die attac-Mitarbeiterin ist diese Argumentation aber unverständlich: Aus Klimaschutzgründen sowie einer Achtung der Menschenrechte müsse Handel grundlegend neu gedacht werden.

Wo sieht Kofler Schlupflöcher? Ende März wurde eine Zusatzerklärung zum Abkommen geleakt, dieses soll die Kritik am Abkommen zur Abholzung des Regenwalds, zum Klimawandel und zur Verschlechterung von Arbeitsbedingungen entkräften. Neben dem demokratiepolitisch bedenklichen Umstand, dass diese Arbeit an einer Zusatzerklärung der Öffentlichkeit vorenthalten wurde, habe die Erklärung keine Sanktionsmöglichkeiten, bleibe daher unverbindlich, so Kofler.

Das zweite Schlupfloch sieht sie in einem möglichen Splitting des Abkommens. Anders als andere Freihandelsabkommen enthält das Mercosur-Abkommen auch einen politischen Teil - man spricht hier juristisch von einem Assoziierungsabkommen. Einem solchen muss von allen Parlamenten der EU-Mitgliederstatten zugestimmt werden - neben Österreich seien aber derzeit auch Belgien und die Niederlande dagegen. Kritik gäbe es auch in Frankreich, so Kofler. Würde man den Handelsteil, der Themen wie Zölle, Importquoten und nicht-tarifäre Handelshemmnisse umfasst, vom politischen Teil abtrennen, wäre der Weg frei. Als exklusive EU-Kompetenz könnte der Handelsteil dann ohne Ratifizierung durch die Parlamente in Kraft treten. Die Mitglieder der Plattform "Anders Handeln" warnen daher von einem Abschluss durch die Hintertür und machen weiter Bewusstseinsarbeit, um auf die umwelt-, klima- und menschenrechtlichen Probleme dieser Art von Freihandel hinzuweisen.

Was macht attac?
attac ist eines der Mitglieder der Plattform "Anders Handeln". Gegründet wurde attac 1998 in Paris mit dem Ziel der Einführung einer Finzanztransaktionssteuer - die Abkürzung bedeutet "Association pour une taxe Tobin pour l’aide aux citoyens" (deutsch: „Vereinigung für eine Tobin-Steuer zum Nutzen der Bürger“). attac ist mittlerweile in vielen Ländern aktiv und setzt sich für eine Regulierung der Finanz- und Freihandelsmärkte sowie für die Demokratisierung des Wirtschaftslebens mit Fokus auf die sozial ausgewogene Befriedigung der Grundbedürfnisse für alle Menschen ein. Eines der Projekte von attac Österreich ist derzeit die Sicherstellung eines Energiegrundanspruchs.

attac Flachgau setzt regional Impulse für ein anderes Wirtschaften. Die Koordination liegt derzeit bei Hans Holzinger, Wirtschafts- und Sozialgeograph aus Seekirchen. Die nächste Veranstaltung findet am 27. September in Kooperation mit der kunstbox Seekirchen, dem Klimabündnis Salzburg, der Klimabündnisgemeinde Seekirchen sowie dem Salzburger Bildungswerk statt. Es referiert die Berliner Autorin Sara Schurmann zum Thema "Klartext Klima. Warum Klimaschutz ins Zentrum aller unser Entscheidungen muss."

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN


Aktuelle Nachrichten aus Salzburg auf MeinBezirk.at/Salzburg

Neuigkeiten aus dem Bezirk als Push-Nachricht direkt aufs Handy

Newsletter abonnieren und wöchentlich lokale Infos bekommen

MeinBezirk auf Facebook: Salzburg.MeinBezirk.at

MeinBezirk auf Instagram: @salzburg.meinbezirk.at

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.