Coronavirus in Wien
Geistervorstellung in der Theater Arche
Wer ins Theater geht, um dort in Kunst verwandelte Realität wiederzufinden, sollte einen Besuch der Theater Arche in Mariahilf in Erwägung ziehen: Das Stück Hikikomori erfüllt diesen Anspruch - aber nicht nur das.
MARIAHILF. Maximal fünf Personen dürfen sich wegen der Corona-Beschränkungen laut Kulturministerium in der Theater Arche zeitgleich aufhalten - das ist sich bei der Voraufführung von Hikikomori exklusiv für Journalisten knapp, aber doch ausgegangen: Manami Okazaki im Ein-Personenstück aus der Feder von Sophie Reyer und Thyl Hanscho auf der Bühne in der Münzwardeingasse 2a, Theater-Arche-Prinzipal Jakub Kavin hinter dem Ton- und Licht-Mischpult - und schließlich zwei Journalisten, die das Publikum spielen.
"Nur Wand in Sicht!", klagt Darstellerin Manami Okazaki in diesem erschütternd aktuellen Stück, in dem es eigentlich um ein typisch japanisches Gesellschaftsphänomen geht: Menschen ziehen sich zurück, oft leben sie noch bei ihren Familien in ihren Kinderzimmern, und reduzieren den Kontakt zur Gesellschaft auf ein Minimum - Hikikomori. Aus dem Bett wechselt Manami Okazaki in die Küche und von dort zum Keyboard, zum Mikrofon und schließlich zum Saxophon. "Die Möglichkeit der interdisziplinären Arbeit ist für mich als Regisseur eine enorme Bereicherung", so Jakub Kavin. "Die Masken der opernhaften Darbietung fallen zu lassen, ganz pur zu sein auf der Bühne, sich der Öffentlichkeit ungeschminkt preiszugeben und so zu spielen als wäre sie allein in ihrem Zimmer, das war der künstlerische Zugang den ich Manami Okazaki abverlangt habe."
Die Coronakrise auf der Bühne
Das Stück ist nicht nur der in der Coronakrise zu Hause eingeschlossenen Weltbevölkerung, sondern auch Multitalent Manami Okazaki wie auf den Leib geschneidert: Brilliert die klassisch ausgebildete Opern- und Wienerliedsängerin doch nicht nur an den verschiedenen Instrumenten, die ihr auf der kargen Bühne zur Verfügung stehen, sondern trifft mit ihrer eindringlich-verstörenden Vokalakrobatik den Nerv der Zeit mit geradezu akupunktueller Präzision. "Der Fokus meiner Arbeit liegt speziell und in hohem Maße auf dem Zeitgeschehen und ich habe den Anspruch Stücke zu machen, die den Zuschauern – entweder metaphorisch oder auch eins zu eins - etwas über die Zeit sagen, in der wir leben", so Jakub Kavin.
Tagesaktuelles Theater
Dieser Anspruch ist mehr als gelungen: Als unmittelbare Folge der sicht- und spürbaren Beklemmung, die Manami Okazaki von der Bühne ins Publikum transportiert, steigen unwillkürlich die täglichen Pressemeldungen über den aktuellen Stand der Coronakrise in einem auf. Wenn Theater ein Spiegel der Realität sein und das tatsächliche Geschehen in der Gesellschaft künstlerisch erhöhen soll, dann ist dem Stück Hikikomori in der Theater Arche die Landung am Punkt der Zeit gelungen.
Hikikomori in der Theater Arche:
Schauspiel: Manami Okazaki
Regie: Jakub Kavin
Autoren: Sophie Reyer, Thyl Hanscho
Musik: Manami Okazaki
Regieassistenz: Odilia Hochstetter
Bühne und Technik: Bernhardt Jammernegg, Jakub Kavin
Visuals: Jakub Kavin
Gemälde: Hiromitsu Kato
Weil in der Theater Arche wegen der Coronakrise genauso wie in allen anderen Kulturstätten sämtliche Aufführungen abgesagt werden müssen, gibt es für die öffentliche Premiere von Hikikomori noch keinen Termin. Jakub Kavin: "Am ersten Tag, an dem soziale Kontakte in öffentlichen Räumen nicht mehr das Allgemeinwohl gefährden, gibt es dann die Premiere!" Karten dafür kann man aber auch schon jetzt kaufen - auch zur Unterstützung des laufenden Betriebs der Theater Arche und damit von Kultur und Kunst in einer besonderen Zeit.
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