Manfred Jenewein
364 Bürgermeister in 100 Jahren im Bezirk Landeck
LANDECK (otko). In seinem bereits neunten Buch beleuchtet der Landecker Historiker Manfred Jenewein die turbulente Zeit der Gemeindepolitik von 1919 bis 1950. Dazu hat er auch alle 364 Bürgermeister seit 100 Jahren im Bezirk Landeck recherchiert.
Zeitraum voller Systembrüche
Am 27. Februar 2022 werden die WählerInnen im Bezirk Landeck zu den Urnen gerufen. Die nächsten Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen stehen an. Zum Start des Gemeinderatswahlkampfs präsentierte der Landecker Historiker und Lokalpolitiker Manfred Jenwein sein bereits neuntes Werk. Im neuen Buch "Gemeindepolitik in turbulenten Zeiten 1919 bis 1950" hat er penibel und wissenschaftlich einen Zeitraum voller Systembrüche – vom Ende der Monarchie, Erste Republik, Ständestaat, Nazi-Diktatur bis in die Besatzungszeit und Zweite Republik – recherchiert. Enthalten sind auch alle 364 Bürgermeister der letzten 100 Jahre. Bisher gab es noch keine Frau.
Aufwendige Recherche
Rund zwei Jahre hat Jenewein am Buch gearbeitet und einige Kuriositäten zusammengetragen.
"Die Recherche war aufwendig, da in einigen Gemeinden kaum Akten und Unterlagen vor der Zeit vor 1945 vorhanden waren. Die einzige Quelle war hier das Tiroler Landesarchiv. Auch die Suche nach Fotomaterial über die Bürgermeister gestaltete sich dabei sehr schwierig und aufwendig. Von 363 Dorfchefs konnte ich ein Foto auftreiben, nur Jakob Neururer aus Kauns, der von 1919 bis 1922 amtierte, fehlt",
erläuterte der Historiker.
In einigen Gemeinden müsse nun die bisherige Geschichte neu geschrieben werden. "In fast allen Dorfbüchern findet die Zwischenkriegszeit nicht statt. Auch die Nazizeit zwischen 1938 und 1945 wird gerne totgeschwiegen. Nun sind diese Lücken zu 99,9 Prozent geschlossen. Es gibt nur noch paar wenige Unklarheiten", so Jenwein.
42 Jahre Bürgermeister
Im Zeitraum von 100 Jahren gab es in der Bezirkshauptstadt Landeck mit 18 am meisten Bürgermeister. Am anderen Ende der Tabelle ist die Gemeinde See, die nur mit sechs Dorfchefs das Auslagen fand. Der längstdienende Bürgermeister war Johann Siegele aus Kappl mit 42 Jahren, der zwischen 1931 und 1945 sowie von 1946 bis 1974 im Amt war. Der kürzestdienende Bürgermeister war Franz Tschuggmall aus Serfaus, der von seinem Amt nach nur einem Tag im Jahr 1947 zurücktrat.
Bei den Gemeinderatswahlen im Jahr 1919 durften erstmals Frauen wählen. In 15 Gemeinden gab es damals nur eine Liste. Im ländlichen Raum gab es eine überwältigende Dominanz der Volkspartei (Bauernbund). Weitere Urnengänge auf Gemeindeebene gab es 1922 und 1928. Dan folgte aufgrund der Systembrüche eine Pause bis 1950.
Bisher unerforschtes Thema
Im Ständestaat ab 1934 wurden die Bürgermeister und Gemeinderäte ernannt, wobei es aber nur in 15 Gemeinden einen Wechsel gab. In der Stadt Landeck gab es 1933 nach der Auflösung des Gemeinderates eine Wahl, bei der die Nationalsozialisten stärkste Kraft wurden. Dies sorgte für österreichweites Aufsehen. Durch Losentscheid wurde die Stadt aber vor einem braunen Bürgermeister bewahrt.
Der große Bruch war dann die Machtübernahme der Nationalsozialisten. 78 Personen (Spitze der Einheitspartei Vaterländischen Front) wurden in der "Nacht der langen Messer" am 11./12. März 1938 im Bezirk Landeck von den Nazis verhaftet. In 18 Gemeinden wurden die Bürgermeister ausgetauscht. Trotzdem gab es nach dem Ende der Naziherrschaft eine beunruhigende Kontinuität in der Gemeindepolitik. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden rund 3.000 Personen als NSDAP-Mitglieder registriert. Acht von damals 28 Bürgermeistern blieben nach 1945 im Amt. Natürlich versuchten fast alle "Registrierten" im Zuge der Entnazifizierung wieder von dieser Liste zu kommen. Die Reinwaschung ging recht schnell vor sich, auch die "Sühnemaßnahmen" (Arbeitsdienst) und die Haftstrafen wurden abgesessen. Ein Beispiel dafür ist der ehemalige Kreisleiter Hans Bernhard, der 1948 vom Volksgericht Innsbruck zu zehn Jahren schweren Kerker verurteilt wurde. Im Jahr 1949 richteten fast alle Bürgermeister ein Gnadengesuch an den Bundespräsidenten, das auch von der ÖVP-Landesleitung unterstützt wurde. Der mächtigste Mann während der Nazi-Zeit im Bezirk Landeck wurde Ende 1949 bereits wieder freigelassen.
Ein interessanter Fall für Jenewein ist auch der Kappler Bürgermeister Johann Siegele, der von 1931 bis 1945 durchgehend im Amt war.
"Obwohl er 1938 von den Nazis verhaftet wurde, blieb er trotzdem Bürgermeister. 1945 wurde er von den Amerikanern sofort abgesetzt. Ab Herbst 1945 gab es bereits wieder Initiativen, dass er wieder Dorfchef werde sollte, was aber von der französischen Besatzungsmacht abgelehnt wurde. Die Kappler ließen aber nicht locker und bei einer Volksbefragung nach Haushalten erhielt er 199 von 200 Stimmen."
Irgendwann hätten dann den Franzosen und der Landeshauptmann aufgegeben und 1946 kehrte Siegele in das Bürgermeisteramt zurück. "Dieser Prozess der Entnazifizierung im Bezirk Landeck ist bisher kaum beleuchtet", verwies Jenewein.
Kurioses und Heiteres
In den 30 Jahren bis 1950 gab es auch allerlei kuriose Listen, die kandidierten. So gab es in See eine "Liste der Heimkehrer", in Kaisers (gehörte bis 1938 zum Bezirk Landeck) eine "Gegenpartei des Vorstehers", in Prutz die Partei der "Zugewanderten" oder in Schönwies "Die Partei der schärferen Richtung". 1928 traten bei der Gemeinderatswahl in Kaisers bei 69 Wahlberechtigten insgesamt fünf Listen an. Franz Grissemann war bisher der einzige Politiker, der in zwei Gemeinden Bürgermeister war. Von 1919 bis 1922 war er in Zams Dorfchef und nach seiner Heirat nach Ischgl war er dort von 1936 bis 1938 Bürgermeister.
In dem 220 Seiten umfassenden Buch sind neben einem allgemeinen Kapitel über die Wahlen und das politische Umfeld auch 30 spannende Jahre in den Gemeindestuben von Faggen bis Zams enthalten. Im Anhang sind zudem die Bezirkshauptmänner seit 1919 verzeichnet.
"Gemeindepolitik in turbulenten Zeiten 1919 bis 1950" ist zum Preis von 20 Euro bei Manfred Jenewein (manfred.jenewein@aon.at), in der Tyrolia Landeck sowie beim Grissemann in Zams erhältlich.
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