Stadtpolitik
"Es ist unerträglich wie man in Innsbruck die Demokratie mit Füßen tritt."

NEOS Innsbruck: Julia Seidl und Dagmar Klingler mit ihrem Blick auf die Stadtpolitik.  | Foto: Michael Venier
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INNSBRUCK. Die Politik in der Landeshauptstadt sorgt fast täglich für Aufreger. Knapp vor der Gemeinderatssitzung hat der überraschende Rückzug von Finanzdirektor Johannes Müller für Aufregung gesorgt. Im Gespräch mit Julia Seidl und Dagmar Klingler von den NEOS blickt das Stadtblatt auf das Politgeschehen aus der Sicht einer Oppositionspartei.

Das Interview

Stadtblatt: Sehr geehrte Frau Seidl, wie beurteilen die NEOS die politische Lage in Innsbruck?
Julia Seidl:
Die Stadtregierung verwendet unglaublich viel Zeit und Energie in personenbezogene Debatten. Man hat das gemeinsame Ziel, nämlich das Abarbeiten des Arbeitsübereinkommens, aus den Augen verloren, sollte es überhaupt jemals ein gemeinsames Ziel gegeben hat. Ich sehe das Projekt Viererkoalition von Bürgermeister Willi als gescheitert an. ÖVP und FI machen immer öfter gemeinsame Sache mit der FPÖ gegen die Grünen, die SPÖ sieht sich nicht mehr an das Arbeitsübereinkommen gebunden und hat damit faktisch die Koalition verlassen. Wer soll sich da noch auskennen?! Ich halte das für eine Zumutung und bin überzeugt, dass die Innsbruckerinnen, diese Streitereien satt haben. Und sie haben recht. Innsbruck braucht eine funktionierende Stadtregierung, die endlich etwas weiter bringt. Sollte die Ankündigungspolitik von Bürgermeister Willi nach dem März Gemeinderat umgesetzt werden, damit meine ich das "freie Spiel der Kräfte", wird es eher früher als später zu Neuwahlen kommen müssen. Denn diese Art der politischen Arbeit erfordert ein hohes Maß an Management und Führungsqualitäten, beides habe ich bereits in den vergangen drei Jahren schmerzlich vermisst.

Mit Spannung wird die GR-Sitzung erwartet. Wie verhalten sich die NEOS beim Abwahlantrag gegenüber Markus Lassenberger?
Es ist unerträglich wie man in Innsbruck die Demokratie mit Füßen tritt. Markus Lassenberger wurde durch eine demokratische Wahl zum Vizebürgermeister gewählt. Uns gefällt dieses Ergebnis auch nicht, darum haben wir seine Wahl auch nicht unterstützt. Nun jedoch zu versuchen mit Hilfe eines unbegründeten Abwahlantrag diese Wahl "zu korrigieren" weil sie ideologisch nicht passt, ist unfassbar. Damit begeben sich die Grünen und die SPÖ, die ja angekündigt hat, dem Abwahlantrag zuzustimmen, auf die selbe Ebene wie Depaoli. Die Systematik war beim Abwahlantrag von Uschi Schwarzl die selbe, eine Person die mir nicht gefällt - ob ideologisch oder persönlich - wird abgewählt. Dafür fehlen mir eigentlich die Worte! Es ist unsere Pflicht, die Demokratie zu verteidigen - egal ob die Angriffe von rechts kommen oder, wie diesmal, von links. Wir sind für sowas nicht zu haben, darum werden wir dem Abwahlantrag nicht zustimmen. Wir überlegen uns vielmehr, sogar den Raum vor der Abstimmung zu verlassen, um unserer Missachtung für diese Aktion Nachdruck zu verleihen.

Sehr geehrte Frau Klingler, das Thema Bildung spielt eine große Rolle für die NEOS. Welche Möglichkeit hat bei diesem Thema die Stadt Innsbruck?
Dagmar Klingler:
Die Stadt Innsbruck als Schulerhalterin bietet reichlich Anknüpfungspunkte für uns, um Flügel zu heben. Wir haben bereits erreichen können, dass in allen Pflichtschulen in Innsbruck Warmwasser installiert wird, dass die Schulen mit umweltfreundlichen Papier beliefert werden und dass die Anmeldung für die Nachmittagsbetreuung online erfolgen wird, sobald die Bildungsservicestelle etabliert ist.

"Schatz, welche Innsbrucker Volksschule wird unser Kind besuchen? Welche Optionen haben wir?" lautet das Thema der "Aktuellen Stunde"?
In der kommenden Gemeinderatssitzung stellen wir in der aktuellen Stunde das Thema der Innsbrucker Volksschulsprengel zur Debatte. Dieses System ist grundlegend notwendig, um Schulstrukturen zu erhalten, erfüllt aber so manche Notwendigkeiten, die sich für Innsbrucker Eltern ergeben, nur wenig zufriedenstellend. Die Wahlfreiheit muss transparent ermöglicht werden, es gibt auch die Möglichkeit dazu. Dazu beantragen wir einen Bildungsstadtplan für Transparenz und Wahlfreiheit, der eine genaue Vorgehensweise skizziert. Innsbruck als Bildungsstadt kann sich nur weiterentwickeln, wenn starre Systeme, wie eben dieses Sprengelsystem, dynamisch genützt werden.

Ist das Thema Bildung einer der Schwerpunkte der NEOS?
Die Bildungsthemen sind und bleiben weiterhin vielfältig und reichhaltig: Wir bleiben weiterhin am Thema der schulischen Nachmittagsbetreuung dran und werden nicht aufhören die Missstände durch die personelle Versorgung durch Genova zu thematisieren, bis sie behoben sind. Bezüglich der digitalen Ausstattung der Schulen müssen wir auch in Innsbruck Standards erreichen, wie sie in anderen Gemeinden schon lange gegeben sind. Und auch wenn unser Antrag zur Optimierung der schulärztlichen Versorgung abgelehnt wurde, ist es trotzdem traurige Gewissheit, dass es an der Hälfte der Innsbrucker Schulen keine Schulärzte gibt- das darf so nicht bleiben. Inklusion ist an etlichen Innsbrucker Schulstandorten noch keine gelebte Praxis, die Lücken der Ferienbetreuung müssen geschlossen werden und eine Sommerschule mit einem gescheiten Konzept muss auf die Füße gestellt werden. Zu tun gibt es genug! Es freut uns, dass viele Innsbrucker Bürgerinnen und Bürger uns NEOS als Bildungspartei wahrnehmen und sich mit ihren Problemen an uns wenden. Dadurch können wir genau dort Änderungen vorantreiben, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Unsere Synergien auf landes- und bundespolitischer Ebene kommen uns dabei hilfreich zu Gute.

Frau Seidl, gemeinsam mit FPÖ und Gerechtes Innsbruck bringen die NEOS einen dringenden Antrag und eine dringende Anfrage zum gesperrten Fußgängertunnel in Mühlau ein. Stehen Bürgerinteressen also über Parteiinteressen?
Julia Steidl:
Mir ist wichtig, dass in Innsbruck etwas weiter geht. Wir sind alle gewählt, um die Interessen der Bürgerinnen zu vertreten. In Mühlau versuche ist seit Jänner eine Lösung zu finden. Je mehr meiner Kolleginnen sich beteiligen, desto besser! Daher freue und bedanke ich mich, über die aktive Unterstützung von FPÖ und Gerechtes Innsbruck. Für mich bedeutet eine professionelle Zusammenarbeit, dass immer Themen und Lösungen im Vordergrund stehen. Diesen Zugang vermisse ich in der aktuellen Stadtregierung zeitweise sehr.

Es steht der Obmannwechsel im Kontrollausschuss bevor. Ein etwas komplizierte Situation, da ja GR Depaoli keinen Sitz im Ausschuss hat und eine der "größeren" Parteien einen Sitz freimachen müsste. Wie sehe Sie die Situation?
Die Kontrolle der Finanzgebahrungen und damit die ordnungsgemäße Verwendung von Steuergeldern braucht eine ernsthafte, seriöse Beschäftigung mit der Materie. Das Ziel ist Fehler oder Missstände aufzudecken, um diese in Zukunft zu vermeiden. Populismus und Scheiterhaufenpolitik, um die eigene Personenmarke zu stärken, sind dieser Sachpolitik abträglich. Ich bin seit drei Jahren stellvertretende Vorsitzende, kenne die Abläufe gut und bewerbe mich für den Vorsitz. Eine verstärkte Zusammenarbeit der Opposition um Fragen zu bündeln, wäre eine Weiterentwicklung und Effizienzsteigerung des Ausschusses, die ich forcieren werde.
Die Vereinbarung von 2018 sieht vor, dass die zwei zusätzlichen Ausschusssitze zwischen den Einmannfraktionen und NEOS aufzuteilen sind und daraus ein Vorsitz gewählt wird. Eine Neubewertung der Situation nach drei Jahren Gemeinderatsarbeit halte ich für notwendig und angemessen. Die Gespräche für den Vorsitzwechsel zwischen den Einmannfraktionen und uns, haben gerade begonnen.

Passend zum Thema Kontrollausschuss, wie sehen die NEOS das Thema Finanzen und Stadt Innsbruck?
Die finanzielle Lage der Stadt ist und war schon vor Corona angespannt. Viele Herausforderungen wurden in die Zukunft verschoben. Der Schuldenrucksack für die nächsten Generationen ist immer schwerer geworden. Die Stadt ist hier in der Verantwortung, den nächsten Generationen eine gewisse finanzielle Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Dringend notwendig ist eine mittel- und langfristige Strategie, wie wir die Schulden der Großprojekte zurückzahlen wollen. Wir fordern seit drei Jahren, eine Finanzfahrplan, auf den warten bis heute! Was das Budget betrifft, erwarten wir uns von Bürgermeister Georg Willi, dass er dieses nach den gesetzlichen Vorgaben erstellt und kein - salopp gesagt "Märchenbuch" - vorlegt. Wir müssen den Zahlen vertrauen können. Diese Vertrauen wurde in den letzten Monaten durch die fehlenden 4 Mio. für Mitarbeiterinnen oder den nicht budgetierten Kosten für den MCI Vergleich und anderen Unstimmigkeiten stark erschüttert. Es braucht volle Transparenz und Nachvollziehbarkeit!

Welche besonderen Schwerpunkte stehen für die NEOS politisch in den nächsten Wochen im Mittelpunkt?
Eine rasche, großflächige Impfung ist unsere einzige Chance im Herbst wieder ein halbwegs normales Leben leben zu können. Wir müssen als Stadt beim Land Druck machen, dass wir hier schneller weiter kommen, als bisher. Die Umsetzung des Wirtschaftspakets und eine Investition in die Aufenthaltsqualität in der Stadt braucht es dringend. Wir müssen bis zum Sommer die PS auf den Boden bringen, damit die Wirtschaft wieder durchstarten kann. Parallel würden wir einen starken Fokus auf Ansiedlungspolitik legen, besonders in den Gewerbegebieten auch auf Aufwertung setzen. In den nächsten Monaten werden wir einen Sozialfahrplan brauchen, der die sozialen Folgen, die Corona durch Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit hervorgerufen hat und noch wird, abzufedern. Darauf sind wir aktuell noch nicht ausreichend vorbereitet.

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